Autor

Ludwig Fels

Der 1946 im fränkischen Treuchtlingen geborene Ludwig Fels ist ein Autor, der von jeher und ausgiebig sein Mißtrauen gegenüber dem allzu versöhnungsbereiten Regelgang der Literatur artikuliert hat und der dabei, im Schreiben wie im Leben, auf Empörung, Wut, Auflehnung, Haß, aber auch auf Trauer und Verzweiflung nicht verzichtet. „Die Kunst ist keine Zuflucht mehr“, konstatierte er vor Jahren in einem seiner wichtigsten Prosabücher, „Kanakenfauna“, und später heißt es in einem Werkstattbericht: „Jeder Satz ist Vergangenheitskitt, Hoffnungsbrei: man macht sich vor, man könne sich zurückhalten, falls man angegriffen wird. Eine Schreibmaschine ist Ausdruck einer Lebensunlust: man verkriecht sich und verniedlicht den Rest seiner Umwelt auf ein überschaubares Maß.“
Das mutet wie eine kraftmeierische Dichter-wider-Willen-Pose an, entstammt jedoch bei Fels einem Impuls aus Lebenserfahrung: Der da so kritisch mit sich und seiner Zunft ins Gericht geht, kennt wie kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller von heute die Arbeitswelt jenseits der Schreibtische. Zehn Jahre lang hat sich Fels als Hilfsarbeiter an den verschiedensten Stellen verdingt. Er war Maschinist in Farbwerken, Stanzer, Brauereibediensteter, Zulieferer in einer Schaumstoff- und Packer in einer Halbleiterfabrik. Dennoch hat er sich nie als Arbeiterdichter verstanden. Seine Milieukenntnis, das proletarische wie auch subproletarische Sozialpanorama, hat Fels von Buch zu Buch mehr dazu benutzt, die Bewußtseinszustände seiner „Helden“, meist Außenseiter und sozial Deklassierte, zu begründen. Sein literarisches Temperament hat ihn daran gehindert, rührselige Schicksalsbeschwörungen zwischen Drehbank und Fließband oder wohlfeile Werktätigen-Plädoyers aus seinem Lebenslauf abzuleiten. Vielmehr strotzen seine Geschichten vor Aggressivität und Abwehr angesichts beschaulicher Proletariersehnsüchte; mit expressivem Sprachfuror wird eine Gegenwelt der Träume, Sehnsüchte, phantastischen Lebensentwürfe errichtet, die seinen Protagonisten jene zähe Widerstandskraft gegen die Schwerkraft ihrer Verhältnisse mitgibt, welche ihr bestes, weil anarchistisches Lebensgefühl nährt.
Für Fels selbst war der anarchische Drang, die ihn bedrängenden Bilder und Visionen in ein nur von seiner poetischen Sprachkompetenz gesteuertes Formsystem zu fassen und dafür das bisherige soziale Beziehungsnetz zu verlassen, so etwas wie der Katapultstart in die so freie wie unsichere Schriftstellerexistenz. Begonnen hat er als Lyriker, mit Gedichtbänden voll illusionslos-lakonischen Texten, die gleichwohl den Hoffnungen und Ausbrüchen, dem Leid und den Leidenschaften seiner Generation einen ungebärdigen Ausdruck verleihen. Wesentlich für sein Werk erscheint das Grundthema des versuchten Ausbruchs aus bisherigem Leben und die Imagination einer anderen, exotisch umflorten Existenz. Das gilt für die durch Kneipen und Kaschemmen streifenden Protagonisten seiner Romane ebenso wie für die berserkerhaft ihr Ich einfordernden Helden seiner ersten drei Theatertexte („Lämmermann“, „Der Affenmörder“, „Lieblieb“). Dabei fällt, als Fluchtort-Beschwörung gegen die Vormacht der Realität, immer wieder das Zauberwort Afrika. In dem Roman „Rosen für Afrika“ ist es das Reiseziel für die Ausreißerphantasien des Flughafenpackers Paul Valla, der mit dem Gepäck fremder Reisenden auch seine unstillbaren Lebenssehnsüchte in die zum Abflug bestimmten Maschinen lädt. Und in dem jüngsten Schauspiel von Ludwig Fels, „Soliman“, ist Afrika gleichsam eine rückwärtsgewandte Wunschprojektion: Heimat als der verlorene, unerreichbare Herkunftsort, der gleichwohl als Vision die Ferne bestimmt.
Der Dichter Ludwig Fels, dessen poetische Proklamationen der Schwermut gestützt sind von einem anarchischen Gefühl der Revolte, hat in dem exemplarischen Fall des Aufklärungsopfers Angelo Soliman eine sein Werk beziehungsreich weiterführende Titelfigur gefunden. „Ich schlafe ein in Afrika, ich wache auf in Austria“, klagt der aus seinem angestammten Lebensraum entwurzelte Schwarze, und in die Klage mischen sich nicht nur des Autors afrikanische Träume von einer „anderen Existenz“, sondern auch die von Sehnsucht und Heimweh erfüllten Nachtgesichte all jener Fremden und Ausgewanderten, die den Verheißungen einer aufgeklärten Zivilisation gefolgt sind und vornehmlich deren Kälte zu spüren bekommen haben. Ludwig Fels, der von jeher die Bewußtseinszustände von sozial Bedrängten, an den Rand Gezwungenen ergründet hat, schließt in „Soliman“ mehr Fremdes in sein Schauspiel ein, als in unserem Gesichtsfeld Raum hat. (Oliver vom Hove)

Am Volkstheater
Soliman, 1991/92

  

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