2003/04
Haupthaus

Amerika
von Franz Kafka
(bearbeitet von Helmut Berger)

Premiere 24. Mai 2004

Mit
Uwe Falkenbach
Günter Franzmeier
Hannes Gastinger
Xaver Hutter
Thomas Kamper
Karl Ferdinand Kratzl
Vivien Löschner
Klaus Tauber
Gabriele Schuchter

Inszenierung: Helmut Berger
Ausstattung: Gudrun Kampl
Licht: Klaus Tauber
Musik: Martina Cizek

Als der siebzehnjährige Karl Roßmann, der von seinen armen Eltern nach Amerika geschickt worden war, weil ihn ein Dienstmädchen verführt und ein Kind von ihm bekommen hatte, in dem schon langsam gewordenen Schiff in den Hafen von Newyork einfuhr, erblickte er die schon längst beobachtete Statue der Freiheitsgöttin wie in einem plötzlich stärker gewordenen Sonnenlicht. Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte. So beginnt Kafkas „Der Verschollene“ (1912–1914), bekannter unter dem Titel „Amerika“. Der Roman blieb bekanntlich unvollendet. Dank der Interpretation des Kafka-Freundes Max Brod, von dem auch der Titel „Amerika“ stammt, galt das Fragment lange als heller und optimistischer als andere Werke Kafkas. Die Ansicht beruht wohl auf einem Missverständnis, das die jugendliche Hauptfigur und die „neue Welt“ hervorgerufen haben mögen. Sein für den Überlebenskampf in dieser neuen Welt denkbar schlecht gerüsteter „europäischer Mittelschüler“ ist dem Kampf zwischen Ich und Autorität vielleicht noch hilfloser ausgeliefert als andere Figuren und sein Amerika nicht weniger „Zeichnung der Welt, wie sie nicht sein sollte“ (Günter Anders) als andere Orte Kafkas. Eine Tagebuchnotiz aus dem Jahr 1915 belegt, dass „Rossmann und K. (im „Prozeß“), der Schuldlose und der Schuldige, schließlich beide strafweise umgebracht werden“. Max Brod schuf auch die erste Bühnenfassung des Werks. Helmut Bergers neue Bearbeitung für das Volkstheater folgt Kafkas Text und sucht nicht Interpretationen, sondern Assoziationen, geht nicht auf die Bühne, sondern ins Theater, in den Zuschauerraum, sucht nicht das Drama, sondern versucht, Kafkas Text sinnlich umzusetzen und erfahrbar zu machen.

 
Pressestimmen

Helmut Bergers Bearbeitung für das Volkstheater liefert bewusst (?) keine Interpretation, sondern folgt Kafkas Text. Er liefert zu den Szenen des Abstiegs von Karl Roßmann filmähnliche Bilder, die an die Stummfilmästhetik eines Charlie Chaplins erinnern. Karl stolpert als reiner Tor und mit großen Augen von einem Fettnäpfchen sofort ins nächste. Gespielt wird vor dem Vorhang auf einer Spielfläche, die in den Zuschauerraum hineinragt (Bühne: Gudrun Kampl). Im Hintergrund eine weiße Leinwand, die als Schattentheater genützt wird. Berger sucht mit der Raumlösung die Nähe zum Publikum. Funktionieren kann Bergers Konzept mit einem Publikum, das einen unvoreingenommenen Zugang zu Kafka hat. Dann kann man dem Regisseur und Bearbeiter Berger attestieren, dass ihm berührende und packende Momente gelingen. Hervorragend das Schauspielerteam, das zur Verfügung steht. Allen voran der junge Xaver Hutter als Karl Roßmann, der auch optisch große Ähnlichkeit mit Charlie Chaplin hat. Karl Ferdinand Kratzl, Günter Franzmeier, Thomas Kamper, Hannes Gastinger und Vivien Löschner sind mehrfach besetzt und liefern eindrucksvolle Charakterstudien ab.
Brigitte Suchan, Wiener Zeitung

Tief schraubte Helmut Berger die Erwartungen in sein Regie-Debüt. Er hoffe vor allem auf Leute, die das Buch nicht kennen, meinte er im Interview. Lokal-Talente machen sich angesichts der Festwochen-Walze gleich klein. Müssten sie aber nicht. Franz Kafkas „Amerika“ ist mit einigen Abstrichen eine schöne Aufführung. Und zwar vor allem, wenn man den Text (Suhrkamp) gelesen hat, dann versteht man das Bühnengeschehen nämlich besser.
„Amerika“, diese frühe, Fragment gebliebene Fantasie, schlägt um Längen alle CNN-Dramen-Derivate. Aus der Perspektive eines gescholtenen Kindes (folgt nicht, ist dumm, kann nicht grüßen) schildert Kafka die Erlebnisse des 16-jährigen Karl Roßmann, eines „Verschollenen“. So lautete des Dichters Titel, „Amerika“ erfand Kafka-Freund Max Brod. Fachleute orteten in dem Werk, verglichen mit Kafka-Klassikern wie „Das Schloss“, „Der Prozess“ und vielen Erzählungen, eine hellere Stimmung. Das ist schwer nachzuvollziehen. Eine maschinelle Realität saugt Menschen ein, bewegt sich scheinbar chaotisch, faktisch mafios. Selbst in der Kunst, jenem berühmten Naturtheater von Oklahoma, in das sich Karl flüchtet, dominieren Machtspiele und Ausbeutung.
Helmut Berger und seine Ausstatterin Gudrun Kampl wählten karge, schattenhafte, groteske Bilder. Die Ästhetik erinnert an Buster Keaton, Charlie Chaplin. Roßmann (Xaver Hutter), der treuherzige Bruder Simpel aus dem alten Europa, erlebt nach seiner Ankunft im Land der unbegrenzten Möglichkeiten eine Odyssee. Er kämpft für den geschundenen Heizer (Karl Ferdinand Kratzl), wird vom reichen Onkel (Hannes Gastinger) umschlungen – und wieder fallen gelassen, gerät an Kleinkriminelle (Günter Franzmeier, Thomas Kamper) und an bizarre Frauen (in denen Kafka seine Bordell-Erlebnisse spiegelte). Gabriele Schuchter hat einen köstlichen Auftritt als Oberköchin. Viel Aufmerksamkeit zieht Vivien Löschner auf sich: als im buchstäblichen Sinne schlagkräftiges Millionärs-Töchterchen Klara und als geschundene Therese.
Barbara Petsch, Presse

Regisseur Helmut Berger näherte sich bei seiner Theaterfassung von Kafkas unvollendet gebliebenem Text mit Witz und Humor. Das ist so ungewöhnlich nicht. Manche Szenen bei Kafka lesen sich ja wie das Drehbuch zu einem Slapstick-Film. Und so lässt Berger seinen von Xaver Hutter gespielten Karl Rossmann von einem Unglück ins nächste purzeln.
Er trifft auf den prinzipientreuen Onkel (Hannes Gastinger), das Gaunerpaar Delamarche (Günter Franzmeier) und Robinson (Thomas Kamper), die hilfsbereite Oberköchin (Gabriele Schuchter) und die verständnisvolle Schreibkraft Therese (Vivien Löschner). Gekleidet sind die Darsteller wie in Chaplin-Streifen und zwischendurch - aber auch während der Pause – spielt eine kleine Truppe Musik.
Helmut Schneider, Salzburger Nachrichten

Ein Kafka-Roman auf der Bühne – das klingt sehr nach einer kopflastigen, pädagogisch wertvollen Lektion in Sachen Literaturgeschichte. Ein Verdacht, den Regisseur Helmut Berger im Volkstheater gar nicht erst aufkommen lassen will. Denn seine Interpretation von Franz Kafkas „Amerika“ ist um Ironie, Witz und spielerische Leichtigkeit bemüht. Alles soll anders, plastisch, lebendig sein in der von Helmut Berger sehr klug erstellten Textfassung des erst von Max Brod posthum unter dem Titel „Amerika“ herausgebrachten Fragments. Auch in szenischer Hinsicht: Denn auf der Bühne des Volkstheaters wird fast gar nicht gespielt. Einige Logen sind gesperrt; im Parkett hat die Ausstatterin Gudrun Kampl eine (kleine) Spielfläche errichtet. Eine Metall-Treppe führt fast bis an den Plafond; der Begriff „Logentheater“ bekommt so eine neue Bedeutung. Das Ziel ist klar: Nähe zum Publikum!
In diesem Umfeld – einige Projektionen werben für Amerika – stolpert Karl Roßmann also in die neue, gar nicht so schöne Welt hinein. Schnell lernt der von seinen Eltern abgeschobene Jüngling, dass auch in den Staaten Lumpen am Ruder sind. Der wenig feine Herr Pollunder, der fiese Oberportier in einem Hotel, oder die zwei Vagabunden Delamarche und Robinson – sie alle malträtieren Karl kräftig. Am Ende wartet das „Naturtheater von Oklahoma“ – auch eine Behörde.
Xaver Hutter (Karl) zeichnet einen echten Charakter. Auch Karl Ferdinand Kratzl verkörpert seine Mehrfachrollen angenehm dezent und dennoch prägnant.
Peter Jarolin, Kurier

Produktionen A