2003/04
Haupthaus |
Antigone Premiere 6. September 2003 Zitat: „Zum Hasse nicht, zur Liebe bin ich.“ Antigone: Meriam Abbas Inszenierung: Thirza Bruncken Uraufführung 442 v. Chr. Sophokles hat die Eigenverantwortung in die Seele der Menschen versenkt. Die aber sind zu jung, zu klein, zu infantil, lehrt Thirza Bruncken. Sie stellt die Fabel vom vergeblichen Widerstand weiblicher Menschenliebe gegen männliche Ordnungsgebote mit Anleihen aus der heutigen Pop-Vergnüglichkeit nach – im Comics-Design, mit Lichtwechseln von schummerig bis grell, Techno-Lärm und davon gebeutelten Leibern. Die bildungsbeflissenen Wurfanker hin zur Moderne – Grabbe, Artaud, Nietzsche – retten freilich nicht das Wirkungsspiel, aus dem die Tragödie geboren ist: die Katharsis; sie verstärken, im Gegenteil, den Unnahbarkeitsanspruch, die Hermetik der Inszenierung. Viel griechisch-antikes Gut konnte Thirza Bruncken mit der Hilfe ihres Ausstatters Robert Ebeling ins Heute retten; er und der Lichtdesigner Rainer Casper rückten, mit feinstem Farben- und Formensinn wie kaum wer vor ihnen, die sperrige Bühnenhalle zum Publikum. Das nahm das ambitiöse Kunstgebilde kaum an. Man hat das Gefühl, einem Kindergeburtstag beizuwohnen, der von Teenagern gefeiert wird, die nicht erwachsen werden wollen, dem aber auch nichts entgegenzusetzen haben. Zwischen den Choreographien lässt Bruncken die Schauspieler Hölderlins Texte (dazwischen ein bisschen Artaud und Grabbe und Nietzsche) in leeren, stimmungslosen Wortketten aufsagen. Harte Techno-Beats unterstreichen die Sinnlosigkeit des Unterfangens der Regisseurin, die weder das Stück noch irgendeine Botschaft zu transportieren weiß. Doch, es gibt eine Rettung des Abends. Nachdem diese aber unrettbar mit Aufführung und Untergang verbunden ist, entwickelt sich das Zuschauer-Verhältnis zur Ausnahme-Schauspielerin Meriam Abbas zu einer Art Solidaritäts-Empfinden. Nicht mit ihrer Rolle, sondern mit der Verlorenheit, in der sie gegen Inszenierung, Bühne, Sounds und Schauspielerkollegen ankämpfen muss. Bei soviel Ablenkung ist hohe Konzentration erforderlich, um sie allein zu fokussieren, um ihre wunderbar intonierten Worte mit ihrer herrlich warmen und zugleich starken Stimme zu hören, um ihren heroischen Trotz, mit dem sie nicht nur ihre Rolle spielt, sondern gegen alles um sich herum anspielt, zu teilen. Thirza Bruncken wendet sich in ihrer Interpretation vor allem an die Pop-Generation. Beatmusik und bizarrer Disco-Dance durchbrechen das Geschehen, die aufeinander prallenden Dialoge und aufregenden Botenberichte. Grandios ist der Chor der alten Thebaner mit Barbara Nüsse besezt. Christoph Zadra als Kreon steht im Mittelpunkt dieser interessanten Neudeutung. Seine Konflikte sind die Probleme des Politikers und sind für uns am leichtesten nachvollziehbar. Mit Intensität kämpft Meriam Abbas als Antigone für ihre Überzeugungen und ihr Recht auf Menschlichkeit und reißt damit alle in den Abgrund. Eindrucksvoll gestaltet Fritz Hammel den mitfühlenden Boten, Günther Franzmeier den Mahner Tiresias, Anna Franziska Srna die zögernde Ismene, Heiko Raulin den liebenden Hämon. Eine zeitweise faszinierende Neudeutung des zeitlosen Mythos. Sollten ein Blinder und ein Tauber zum gemeinsamen Besuch von Thirza Brunckens Inszenierung der sophokleischen „Antigone“ am Volkstheater aufgebrochen sein, so mag ihnen die Verständigung über die durchlebten neunzig Minuten im Anschluss nicht leicht gefallen sein. Es war eben, gewissermaßen, keiner jener Abende, an denen sich Wort und Bild zu einem dichten Bedeutungsgeflecht ergänzten. Bruncken hat sich einen Namen gemacht mit Inszenierungen zeitgenössischer Autoren. Mag sein, dass ihr die Verhandlung von Konflikten, deren gegensätzliche Standpunkte durch einzelne Figuren repräsentiert werden, heute als überholt erscheint. Mag sein, dass sie Sophokles, dass Antigone, dass Kreon, der starre Machthaber, sie schlicht nicht interessieren. Mag sein, dass deshalb Antigone (und mit ihr die wunderbare Meriam Abbas) spurenlos im All verschwand. Radikal zeitgenössisches Theater. |