2003/04
Haupthaus

Antigone
von Sophokles
(in der Übertragung von Friedrich Hölderlin)

Premiere 6. September 2003

Zitat: „Zum Hasse nicht, zur Liebe bin ich.“

Antigone: Meriam Abbas
Ismene: Anna Franziska Srna
Kreon: Christoph Zadra
Hämon: Heiko Raulin
Tiresias: Günter Franzmeier
Wächter: Fritz Hammel
Chor: Barbara Nüsse

Inszenierung: Thirza Bruncken
Ausstattung: Robert Ebeling
Lichtdesign: Rainer Casper

 
Im Bruderkrieg um die Macht in Theben haben sich die Söhne des König Ödipus gegenseitig getötet. Der neue König Kreon lässt den Verteidiger der Stadt, Eteokles, mit allen Ehren begraben, dem Angreifer Polyneikes verweigert er die Bestattung. Antigone und Ismene, die Schwestern der beiden, reagieren unterschiedlich auf den Befehl: Ismne resigniert und unterwirft sich, Antigone ist entschlossen dem Befehl zu trotzen. Während sie den toten Bruder mit Erde bedeckt, wird sie vom Wächter überrascht. Kreon verurteilt sie und Ismene, die er ohne Beweise zur Mittäterin erklärt, zum Tode. Die Argumente seines Sohnes Hämon, der mit Antigone verlobt ist, und die Fragen des "Chors" treiben ihn nur dazu, Antigone nicht töten, sondern lebendig begraben zu lassen und das Urteil gegen Ismene aufzuheben. Selbst die Warnungen des Sehers Tiresias hält er für Verrat, doch dessen Unglücksprophezeiungen bewegen ihn schließlich doch, zu Antigones Grab zu eilen. Dort findet er Antigone und Hämon tot. Seine Gemahlin Eurydice nimmt sich das Leben, als sie vom Tod ihres Sohnes erfährt. Zu spät erkennt Kreon seine eigene Haltung als menschenverachtend.
Antigone vertritt das Recht auf Widerstand. Ihre Rebellion gegen einen unmenschlichen Befehl, ihr Nein zu den Anmaßungen der Macht wird zum Sieg der Menschenwürde über eine Realpolitik, die ohne Rücksicht auf übergeordnete Werte die Kunst des Möglichen vertritt. Antigone und der Realpolitiker Kreon sind für uns zu Chiffren geistiger, politischer und moralischer Auseinandersetzung geworden, auch eines Kampfes um Gerechtigkeit, in dem es heute wie damals keine Lösung zu geben scheint.
Das im 20. Jahrhundert meistgespielte antike Stück inspiriert immer wieder zu neuen Interpretationen, neuen Bearbeitungen, neuen Projekten.

Uraufführung 442 v. Chr.

 
Pressestimmen

Sophokles hat die Eigenverantwortung in die Seele der Menschen versenkt. Die aber sind zu jung, zu klein, zu infantil, lehrt Thirza Bruncken. Sie stellt die Fabel vom vergeblichen Widerstand weiblicher Menschenliebe gegen männliche Ordnungsgebote mit Anleihen aus der heutigen Pop-Vergnüglichkeit nach – im Comics-Design, mit Lichtwechseln von schummerig bis grell, Techno-Lärm und davon gebeutelten Leibern. Die bildungsbeflissenen Wurfanker hin zur Moderne – Grabbe, Artaud, Nietzsche – retten freilich nicht das Wirkungsspiel, aus dem die Tragödie geboren ist: die Katharsis; sie verstärken, im Gegenteil, den Unnahbarkeitsanspruch, die Hermetik der Inszenierung. Viel griechisch-antikes Gut konnte Thirza Bruncken mit der Hilfe ihres Ausstatters Robert Ebeling ins Heute retten; er und der Lichtdesigner Rainer Casper rückten, mit feinstem Farben- und Formensinn wie kaum wer vor ihnen, die sperrige Bühnenhalle zum Publikum. Das nahm das ambitiöse Kunstgebilde kaum an.
Die Presse

Man hat das Gefühl, einem Kindergeburtstag beizuwohnen, der von Teenagern gefeiert wird, die nicht erwachsen werden wollen, dem aber auch nichts entgegenzusetzen haben. Zwischen den Choreographien lässt Bruncken die Schauspieler Hölderlins Texte (dazwischen ein bisschen Artaud und Grabbe und Nietzsche) in leeren, stimmungslosen Wortketten aufsagen. Harte Techno-Beats unterstreichen die Sinnlosigkeit des Unterfangens der Regisseurin, die weder das Stück noch irgendeine Botschaft zu transportieren weiß. Doch, es gibt eine Rettung des Abends. Nachdem diese aber unrettbar mit Aufführung und Untergang verbunden ist, entwickelt sich das Zuschauer-Verhältnis zur Ausnahme-Schauspielerin Meriam Abbas zu einer Art Solidaritäts-Empfinden. Nicht mit ihrer Rolle, sondern mit der Verlorenheit, in der sie gegen Inszenierung, Bühne, Sounds und Schauspielerkollegen ankämpfen muss. Bei soviel Ablenkung ist hohe Konzentration erforderlich, um sie allein zu fokussieren, um ihre wunderbar intonierten Worte mit ihrer herrlich warmen und zugleich starken Stimme zu hören, um ihren heroischen Trotz, mit dem sie nicht nur ihre Rolle spielt, sondern gegen alles um sich herum anspielt, zu teilen.
Kurier

Thirza Bruncken wendet sich in ihrer Interpretation vor allem an die Pop-Generation. Beatmusik und bizarrer Disco-Dance durchbrechen das Geschehen, die aufeinander prallenden Dialoge und aufregenden Botenberichte. Grandios ist der Chor der alten Thebaner mit Barbara Nüsse besezt. Christoph Zadra als Kreon steht im Mittelpunkt dieser interessanten Neudeutung. Seine Konflikte sind die Probleme des Politikers und sind für uns am leichtesten nachvollziehbar. Mit Intensität kämpft Meriam Abbas als Antigone für ihre Überzeugungen und ihr Recht auf Menschlichkeit und reißt damit alle in den Abgrund. Eindrucksvoll gestaltet Fritz Hammel den mitfühlenden Boten, Günther Franzmeier den Mahner Tiresias, Anna Franziska Srna die zögernde Ismene, Heiko Raulin den liebenden Hämon. Eine zeitweise faszinierende Neudeutung des zeitlosen Mythos.
Kronenzeitung

Sollten ein Blinder und ein Tauber zum gemeinsamen Besuch von Thirza Brunckens Inszenierung der sophokleischen „Antigone“ am Volkstheater aufgebrochen sein, so mag ihnen die Verständigung über die durchlebten neunzig Minuten im Anschluss nicht leicht gefallen sein. Es war eben, gewissermaßen, keiner jener Abende, an denen sich Wort und Bild zu einem dichten Bedeutungsgeflecht ergänzten. Bruncken hat sich einen Namen gemacht mit Inszenierungen zeitgenössischer Autoren. Mag sein, dass ihr die Verhandlung von Konflikten, deren gegensätzliche Standpunkte durch einzelne Figuren repräsentiert werden, heute als überholt erscheint. Mag sein, dass sie Sophokles, dass Antigone, dass Kreon, der starre Machthaber, sie schlicht nicht interessieren. Mag sein, dass deshalb Antigone (und mit ihr die wunderbare Meriam Abbas) spurenlos im All verschwand.
Der Standard

Radikal zeitgenössisches Theater.
APA

Produktionen A