Biedermann und die Brandstifter
von Max Frisch
(Deutsch von Gottfried Greiffenhagen und Peter Zadek)
Premiere 22. November 2002
Herr Biedermann: Toni Böhm
Babette, seine Frau: Anna Franziska Srna
Anna, ein Dienstmädchen: Johanna Mertinz
Schmitz, ein Ringer: Horst Kotterba
Eisenring, ein Kellner: Günter Franzmeier
Ein Dr. phil: Alexander Lhotzky
Der Chor: Wolf Dähne, Roger Murbach, Ronald Seboth, Rolf Schwab
Inszenierung: Anselm Weber
Bühnenbild: Thomas Dreißigacker
Kostüme: Lydia Kirchleitner
Musik: Wolfgang Siuda
Die Geschichte vom braven Bürger und Haarwasserfabrikanten Gottlieb Biedermann, der alle Warnungen in den Wind schlägt und den Brandstiftern, die sich auf seinem Dachboden einnisten, vertraut, ihnen schließlich sogar selber die Zündhölzer reicht, ist zweifellos eine Parabel, aber eine wohltuend offene, vieldeutige, immer wieder aktuell interpretierbare. Das „Lehrstück ohne Lehre“, wie Frisch selbst das Stück nannte, ist eine geniale Synthese aus realistischer Gesellschaftskomödie und absurdem Theater. Ein moderner Klassiker, der seit seiner Uraufführung 1958 nie von den Bühnen verschwunden ist.
Pressestimmen
Anselm Weber hat fürs Volkstheater Max Frischs Parabel findig abgestaubt. Die Aufführung lässt das Böse als omnipräsent, ambivalent, schwer greifbar erscheinen. So wird Frischs Fabel extrapoliert in die heutige Zeit.
Toni Böhm überzeugt als Gottlieb Biedermann. Mit staunendem Lachen kippt er jäh aus seiner Sicherheit und kann es nicht fassen. Am Ende sieht er sich als Opfer der Verhältnisse und kann nichts für seinen Untergang. Noch in der Hölle bleibt der Bürger seiner egoistischen Selbstgerechtigkeit treu.
Unauffällig gut geführt präsentiert sich das Ensemble: Anna Franziska Srna als Biedermanns Gattin Babette, bei Frisch gebrochen, hier recht lebendig, ein Echo des Mannes; Horst Kotterba als Schmitz und Günter Franzmeier (köstlich hinterfotzig) als Eisenring, Alexander Lhotzky als Dr. phil und Johanna Mertinz als verhuschtes Hausmädchen Anna. Eine gut durchdachte Aufführung.
Barbara Petsch, Die Presse‚
Unvermindert aktuell ist die Parabel über das Versagen des Bürgertums, das zunächst versucht, aus der nahenden Katastrophe seinen Vorteil zu ziehen, dann aber nichts mehr damit zu tun haben will.
Anselm Weber überzeichnet nicht. Der Regisseur ist kein Vertreter des gagsprühenden Regietheaters, versucht keine Anbiederung ans Heute. Er führt den gekürzten Deutschstundenklassiker behutsam und aktuell vor, jedenfalls ohne Modernisierungen.
Toni Böhm verkörpert den charakterlosen Schwächling und saturierten Spießbürger staubtrocken, selbstgefällig und feige, verlogen – und unvorstellbar ahnungslos. Horst Kotterba als Sepp Schmitz tritt als Wolf im Schafspelz auf, geriert sich plump vertraulich und falschfreundlich, nie verlegen um sentimentale Lügengeschichten. Günter Franzmeier als Kellner Eisenring, in seiner Bosheit raffinierter, bringt das Warnspiel – anwendbar auf Terrorismus und juvenile Amokläufer ebenso wie auf die Klimakatastrophe – auf den Punkt.
Werner Rosenberger, Kurier
Der Zündstoff von „Biedermann und die Branstifter“ ist nach wie vor von explosiver Natur. Denn die konsequent skizzierte Ohnmacht, in die sich Hauptdarsteller Gottlieb Biedermann (Toni Böhm) durch sein anbiederndes Verhalten hineinmanövriert, ist ein Paradebeispiel dafür, dass gute Miene in Bezug auf „böse Mitspieler“ unangebracht ist.
Für die Premiere schuf Regisseur Anselm Weber eine Stimmung, die irgendwie zwischen Spannung und Abgeklärtheit angesiedelt war. Selbst wenn mit Toni Böhm ein gewohnt charismatischer Mann am Werk war, dominierte Webers – eher rational gesteuertes – Regiekonzept.
Christiane Dobretsberger, Wiener Zeitung
Draußen vor der Tür steht Horst Kotterba als Schmitz – ein Schmitzchen Schleicher mit Vorliebe für weiche Eier, der die Dame des Hauses umgarnt: Mit seinem Kumpan Günter Franzmeier als Eisenring, dem Gehirn der brandschatzenden Sache, plant er Böses. Sie treiben ihr offenkundiges Werk mit Schläue und Wahrheitsfanatismus voran.
Toni Böhm als Biedermann mit Anna Franziska Srna als Angetraute Babette: mit kleinen Anfällen von aufkeimendem Wahnsinn und den aufgesetzten Masken des Verschreckt-Seins lässt sie Weber im schönen Schein der Situierten.
Thomas Gabler, Kronenzeitung
„Biedermann und die Brandstifter“ wurden zur Warnung vor Feinden aller Art instrumentalisiert. Im Volkstheater versucht Regisseur Anselm Weber die Geschichte als pure Komödie zu erzählen und so den Schrecken hervorzukitzeln. Feigheit und Anpassung sind gute Themen für bewährte Komödianten.
Toni Böhm ist ein gutmütiger Biedermann, der leicht auf Kurs zu bringen ist. Herr Schmitz mit dem netten Hut (Horst Kotterba) und er verstehen sich auf Anhieb; zwei große Kinder mit Hang zu Abenteuer finden da zusammen. Spießer- und Spielerexistenz passen gut zusammen.
Alfred Pfoser, Salzburger Nachrichten
Max Frischs bald 50 Jahre altes „Lehrstück ohne Lehre“ betört mit dem unverständigsten Spießer, den es je gab: Gottlieb Biedermann (Toni Böhm) führt im Volkstheater das Leben eines krankhaft genussüberreizten Großverdieners. Die schöne, junge Gemahlin (Anna Franziska Srna) muss sich als statussymbolischer Ziergegenstand mit dem hereinschneienden Brandstifter am Frühstückstisch erotisch gemein machen. Außerdem leidet sie schubweise unter Migräneanfällen und behandelt die Eindringlinge mit angeekeltem Ernst: eine kleine, kälteklirrende Studie Srnas.
Anselm Webers Inszenierung hilft dem Passiopnsspiel rund um Biedermanns Feigheit, die sich als repressive Toleranz aufspielt und noch damit die Terroristen als die eigentlichen Hungerleider beschämt, mit lauter Fingerzeigen auf. Der Chor spricht Verhaltensmaßnahmen im Ausnahmefall. Ein wirrer Revolutionsdoktor (Alexander Lhotzky) keucht Computerspiel-Prosa aus dem Netz – und Böhm, der große Volksschauspieler am Weghuberpark, mimt den Höllengast auf Erden. Ein einziges Mal von Mordbrenner Nummer zwei (Günter Franzmeier) mit der Wahrheit konfrontiert, verfällt dieser Wohlstandserhalter in einen würgenden Derwisch-Tanz.
Ronald Pohl, Der Standard
Eine alte Theaterweisheit bestätigt sich an diesem Abend: Wer an ein Stück nicht glaubt, greift es besser nicht an. Weber zerlegt es in seine Bestandteile, kühlt es – trotz der entflammbaren Materie – zu einem eiskalten Lehrtheater aus und schreibt dieses und jenes hinein. Das Ergebnis ist, dass wir erst recht nicht wissen, was uns eigentlich mitgeteilt werden soll. Die erstklassige Besetzung ist da fast verloren.
Heinz Sichrowsky, NEWS