Chrysothemis
von Jannis Ritsos
(Deutsch von Asteris und Lina Kutulas)
Premiere 17. Oktober 1999
Mit
Chris Pichler
Regie: Elisabeth Gabriel
Kostüm: Ingrid Leibezeder
Elektras und Iphigenies jüngere Schwester in Sophokles Elektra-Tragödie, ähnlich wie Antigones Schwester Ismene Inbegriff weiblicher Gefügigkeit und politischer Angepaßtheit, ist eine sonst wenig beachtete Figur im Kosmos der Atridensagen. Der griechische Dichter Jannis Ritsos hat ihr in seinem lyrischen Monolog Persönlichkeit und Momentum verliehen. Zeitlich schwebend zwischen mythischer Vergangenheit und Gegenwart, erzählt Chrysothemis als alte Frau von ihrer tapferen Flucht vor den äußeren Katastrophen und Konflikten ihrer Zeit in eine Innenwelt voll Phantasie und Poesie, eine Wunderwelt der kleinen Dinge. Ihr Rückzug aus einer brutalen Wirklichkeit in eine zarte Gegenwirklichkeit ermöglicht es ihr nicht nur zu überleben, sondern auch die verfeindeten Protagonisten der Tragödie, die sich um sie abspielt, zu lieben.
Jannis Ritsos (1909–1990), hauptsächlich als Lyriker berühmt geworden – seine Gedichte wurden in über 40 Sprachen übersetzt, viele wurden von Mikis Theodorakis vertont – hat neben Prosa, Essays und Dramen auch mehrere Rollenmonologe von Figuren der Atridensagen („Iphigenies Rückkehr“, „Agamemnon“, „Chrysothemis“) geschrieben.
Ritsos wirkte als Schauspieler, Tänzer und Regisseur beim Athener Arbeiterverein, schloß sich 1931 der kommunistischen Partei an, kämpfte 1940/41 in der griechischen Resistance und kandidierte 1964 für die linke Einheitsfront EDA. Krankheit (eine Tuberkulose forderte bis 1939 wiederholte Sanatoriumsaufenthalte), Verbannung und Hausarrest (von 1948 bis 1952 und von 1967 bis 1970 war er auf diverse Verbannungsinseln deportiert bzw. unter Hausarrest gestellt) zwangen ihn zu langen Phasen äußerer Passivität, in denen ihm wohl eine Figur wie die stille Chrysothemis nahe rückte.
Pressestimmen
Chris Pichler verbindet mühelos die zähnebleckende Lebensgier einer jungen Frau mit der überlegenen Resignation der lebenslangen Nebendarstellerin im großen Mythenzirkus; nie altklug, aber mit schönen, rauchstimmigen Aufschwüngen im atemlosen Hererzählen der vielen naturkundlichen und farbsymbolischen Betrachtungen von Jannis Ritsos. Ein Plädoyer für die poetische Bändigung des rasenden Wahnsinns.
Der Standard
Agamemnons und Klytämenstras Tochter Chrysothemis steht mit Elektra und Iphigenie im Mittelpunkt des Zyklus „Drei Schwestern“. Im dritten Teil, Jannis Ritsos’ „Chrysothemis“-Monolog, schlüpft Chris Pichler wieder in die Rolle der Königstochter. Sie imponiert als blasse, ins Heute gerückte Figur, die einst voll fröhlicher Zukunftshoffnung war. Was ihr blieb, ist ein schweres Herz, sind poetische Erinnerungen, das Rätseln über schreckliche Dinge der Erwachsenen, die Momente kindlichen Glücks im Palast des Vaters.
Kronenzeitung
Chris Pichler ist diese sehr heutige, sehr weibliche, vom Leben nicht akzeptierte Schwester. Eindringlich und ohne Pathos zeichnet Pichler in der Regie von Elisabeth Gabriel einen kindlich naiven, zugleich wissenden Charakter. Zart und sensitiv, aufbrausend und zornig, verträumt und dennoch weitsichtig – Pichlers Darstellung offenbart viele Facetten einer oberflächlich unscheinbaren Frau. Souverän trifft Pichler stets den richtigen Ton und vermag zu berühren.
Kurier