1997/98
Haupthaus

Eine Unbekannte aus der Seine
von Ödön von Horváth

Premiere 3. September 1997

Albert: Andreas Patton
Silberling: Uwe Falkenbach
Nicolo: Günther Wiederschwinger
Irene: Nana Krüger
Emil: Rudolf Jusits
Ernst: Toni Böhm
Die Unbekannte: Anna Franziska Srna
Der Uhrmacher: Josef Zöhrer
Hausmeisterin: Hertha Schell
Klara: Irene Sollat
Ein Polizist: Michael Rastl
Der Student: Christian Dolezal
Die Gattin des Ingenieurs: Elisabeth Gassner
Der Kommissar: Franz Hiller
Mathilde: Hasija Boric
Lilly: Judith Keller
Lucille: Johanna Mertinz

Inszenierung: Harald Clemen
Bühne: Martin Kukulies
Kostüme: Gabriele Henning
Musik: Peter Kaizar

Das unbekannte Mädchen im Zentrum dieses Stücks steht am Schnittpunkt zwischen Traum und Wirklichkeit, Jenseits und Diesseits, Leben und Tod. Sie ist eines der typischen Horvathchen Fräuleins, aber sie ist auch eine Andere, eine Fremde, eine die wie Undine aus dem Wasser kommt, und dahin zurückkehren wird. Sie vermittelt den typischen Horvathfiguren, den banalen Alltags- und Durchschnittsmenschen, die von einem kleinen, banalen Durchschnittsglück träumen, und sich mit kleinen, banalen Alltagssorgen herumschlagen müssen, eine Ahnung. Wovon? Von Liebe? Von Maßlosigkeit? Von einem gefährlichen, aber verführerischen Element, in dem Glück, Freiheit und Tod untrennbar beisammen liegen. „Synthese zwischen Ironie und Realismus“ war das Ziel, das Horvath nach eigener Aussage in seinen Stücken anstrebte. Sie ist ihm in vielen seiner Stücke geglückt, auch in der „Unbekannten“ doch in diesem Stück ist noch etwas anderes zu spüren, etwas Persönlicheres vielleicht: Trauer, Resignation, Flucht. Die „Komödie“ „Eine Unbekannte aus der Seine“ ist das erste Stück, das Horváth im Exil schrieb; sie konnte erst Jahre nach seinem frühen Tod, 1949, uraufgeführt werden und ist seither nicht mehr von der Bühne verschwunden.

 
Pressestimmen

Die Geschichte von Albert (Andreas Patton) und Irene (Nana Krüger) und dem neuen Freund Ernst (Toni Böhm) erzählt Harald Clemen in seiner Inszenierung von Horváths „Eine Unbekannte aus der Seine“ im Volkstheater sehr dicht, subtil und in der Tragik der jämmerlichen Gefühle ungemein komisch. Auch ihre Umwelt wird als Pandämonium skurriler Figuren entworfen, deren Irrwitz allerdings bekannt anmutet. Den einfachsten, scheinbar verwirrtesten Sätzen seiner Figuren wird Bedeutung unterlegt. Clemen macht das spürbar, ohne die Aufführung zu bedeutungsschwer werden zu lassen. Prächtig menschlich gestaltet Toni Böhm den Ernst als ein aufgeblasenes Mannsbild, das gemein, aber vergeblich versucht, den weiblichen Besitz zu dominieren. Rudolf Jusits macht den Bräutigam als Trauerweide zu einer köstlich skurrilen Figur. Michael Rastl und Thomas Stolzeti komplettieren die Ensembleleistung mit subtilen Gestaltungen. Ein eindrucksvoller Erfolg.
Karin Kathrein, Kurier

Andreas Patton glaubt man die Inklination zum aus dem Nichts auftauchenden fremden Mädchen (Anna Franziska Srna). Bis in den leisesten Ton und ins letzte Fingerspitzerl erweist sich Nana Krüger (Irene) als eine der beladenen, ewig glücksuchenden und doch so kreatürlichen Horváth-Frauen. Toni Böhm (Ernst) und Rudolf Jusits (Emil) blühen virtuos, ja manchmal überreichlich auf in Grauslichkeit. Hertha Schell, Thomas Stolzeti, Günther Wiederschwinger, Josef Zöhrer, Michael Rastl führen das feingestimmte Ensemble an. Beste dreißiger Jahre lieferte Gabriele Henning mit ihren Kostümen. Harald Clemen ließ sich als Regisseur tief in die psychologischen Wurzelgründe ein.
Hans Haider, Die Presse

Eine Gestalt aus lauter Leuchten. Ein Licht, das für einen Tag die kältestarre Welt wärmt, bis es sich verzehrt hat. Das zu spielen, ohne deshalb die Bodenhaftung zu verlieren und sich in irgendwelche esoterischen Höhen zu verblasen, ist fast so schwer wie es zu schreiben. Ödön von Horváth hat es geschrieben, und Anna Franziska Srna erspielt es grandios. Die Rolle ist eine der schönsten der Literaturgeschichte, und sie ist in den vorstellbar besten Händen. „Eine Unbekannte aus der Seine“ in Harald Clemens Regie: ein weiterer von imponierend vielen Treffern an Emmy Werners Volkstheater. Karikaturen wie von George Grosz – exzellent: Rudolf Jusits, Toni Böhm, Thomas Stolzeti – tanzen in einer aus der Perspektive geratenen gründerzeitlichen Häuserflucht ihren Höllentanz (Bühne: Martin Kukulies). Die Frauen (hervorragend: Nana Krüger) sind die Opfer, die Menschen in einer Männerwelt der Schemen, und dieses Bild bringt Clemen zu surrealer Präzision.
Heinz Sichrovsky, News

Anna Franziska Srna ist die „Unbekannte“. Sie verschwendet, ohne zu fragen, ihre Gefühle an den nichtswürdigen Hallodri Albert, wirkt glaubhaft in ihrer unschuldigen Naivität und staunenden Hingabe. Andreas Patton als Albert erweist sich als ideale Besetzung für diesen zwiespältigen Charakter. Irene (Nana Krüger) erkennt, daß Albert trotz seiner Unzuverlässigkeit ehrlicher und aufrichtiger ist als der phrasendreschende Ernst (Toni Böhm). Rudolf Jusits sorgt als weinerlicher Bräutigam Emil ebenso für Heiterkeit wie Thomas Stolzeti mit seinem Kurzauftritt als sturzbesoffener Theodor. Aus dem bewährten Ensemble sind weiters Michael Rastl (Polizist) sowie Uwe Falkenbach und Günther Wiederschwinger als Alberts Spießgesellen hervorzuheben. Das gelungene Bühnenbild von Martin Kukulies zeigt eine trostlose urbane Mietskaserne der Zwischenkriegszeit. Die Regie Harald Clemens arbeitet die komischen, komödiantischen Züge, vor allem in der von Horváth entlarvend gebrauchten Sprache der Akteure, heraus.
Manfred A. Schmid, Wiener Zeitung

In der düsteren Großstadtkulisse von Martin Kukulies legt Regisseur Harald Clemen eine expressionistische Szenenfolge an, in die Anna Franziska Srna als Unbekannte eine poetische Note bringt. Sie ist leise und eindringlich. Nana Krüger als Blumenhändlerin Irene und Toni Böhm als Ernst artikulieren die ängstliche Verlogenheit, die Zielscheibe von Horváths aus Hochdeutsch und Jargon geklitterter Kunstsprache ist. Uwe Falkenbach als Silberling verhilft der Komödie, die allen Horváthschen Stücken zugrundeliegt, zu ihrem Recht. Rudolf Jusits als Emil nutzt die Rolle des Bräutigams für eine zugespitzte Charakterstudie. Clemen versucht mit Hilfe von Peter Kaizars musikalischer Kulisse, nicht nur einen ironischen, sondern auch einen lyrisch-magischen Realismus zuwege zu bringen. Im Volkstheater beginnt man die Saison früh – und auf einem hohen Niveau.
Paul Kruntorad, Täglich Alles

Der Alltag, in dessen Rahmen Horváth die geheimnisvolle Begegnung stellt, ist durchzogen von Komik und Groteske, die Dialoge sind entlarvend und witzig. Harald Clemens Inszenierung spielt diesen Witz behaglich aus, die Führung der Schauspieler, die Betonung der Gespräche sind pointiert, zum Lachen reizend. Anna Franziska Srna erfreut als hilfesuchendes Menschenkind. Ein vielversprechender Saisonbeginn.
Kurt Kahl, Neue Zeit, Graz

Produktionen E