2003/04
Haupthaus |
Eisen Deutschsprachige Erstaufführung Premiere 7. März 2004 Mit Inszenierung: Arie Zinger Josie besucht ihre Mutter Fay im Gefängnis, nach 15 Jahren zum ersten Mal. Als ihre Mutter wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, war sie noch ein Kind, jetzt ist sie eine erfolgreiche junge Frau, die ihre Zukunft vor sich hat. Doch ein Stück ihrer Vergangenheit hat sie verloren – an ihre Kindheit kann sie sich nicht mehr erinnern. Fay hat ihre Vergangenheit; Gegenwart und Zukunft sind für sie verloren. Die Autorin schildert die ungewöhnliche Begegnung von Mutter und Tochter packend wie einen Krimi und emotional aufwühlend, doch nicht ohne Humor. Ein Londoner Erfolgsstück über starke Frauen in extremen Situationen. Zur Autorin: Die 43-jährige in Aberdeen geborene Rona Munro beschloss mit 11 Jahren, Dramatikerin zu werden. Heute schreibt sie preisgekrönte Hörspiele, Drehbücher (z.B. für „Ladybird, Ladybird“ von Ken Roach und für den deutschen Kultfilm „Aimée & Jaguar“) und Bühnenstücke. Ihren Durchbruch als Theaterautorin hatte sie mit „Bold Girls“. „Iron“ lief in London im Royal Court Theatre.
Andrea Eckert brilliert. Mager, sehnig, verzweifelt: Seit 15 Jahren sitzt Fay wegen Gattenmordes im Gefängnis. Ihre Impulsivität ist geronnen zu Wut, ihre Gefühle sind eingedampft zu Verschlagenheit. „Eisen“ ist eher ein psychologisches Kammerspiel in der Art einer angelsächsischen Kurzgeschichte: recherchiert, stimmig erzählt, freilich mit nicht vielen überraschenden Wendungen. Gute Rollen hat das Drama allemal. Es knallt. Arie Zinger hat inszeniert, anscheinend besorgt, dass es dem Publikum mit der Mutter-Tochter-Konfrontation zu langweilig werden könnte. Also rasten fortwährend dröhnend Kerkertore ein, es rotiert der Tisch, an dem die Dialoge stattfinden, Blut spritzt und es wird kräftig forciert. Am erstaunlichsten ist Andrea Eckerts Verwandlung in die Fay. Diese Fay ist eine rundum überzeugende Figur, heftig packend und berührend. Ihre Tochter Josie (Daniela Kiefer) hat keine Ahnung von Psycho-Krieg, Horror des Kerker-Alltags und der Depersonalisierung Langzeit-Gefangener. Jäh stürzen beide ins Chaos der Emotionen. Spannendes Problem-Theater.
Andrea Eckert spielt – nein sie ist – Fay. Abgesehen von der grandiosen Leistung der Andrea Eckert, die mit ihrer Darstellung an die Grenzen des körperlich und seelisch Machbaren geht, spießt es sich vor allem an der Tatsache, dass diese Frau, die wegen Mordes einsitzt, keine Sympathieträgerin ist: Aggressiv, durch den Gefängnisalltag am Rande des Wahnsinns, latent gewalttätig, abgestumpft und abgebrüht. Eckert gibt diese Grenzgängerin vibrierend vor unterdrückter Kraft und versteckten Gefühlen. Anna Franziska Srna und Helmut Berger stehen als Wärter nicht nur auf der gesellschaftlich anderen Seite, sie agieren auch schauspielerisch sehr viel sparsamer. Authentisch gelingt die Andeutung der komplexen Macht- und diffizilen Abhängigkeitsverhältnisse in Haftanstalten.
Die emotionsgeladenen Begegnungen spielen sich in einem realistischen, praktikablen Bühnenraum von Momme Röhrbein ab. Auf Hyperrealismus setzt auch der Regisseur. Er drückt dabei von Beginn an heftig auf die Tränendrüsen seiner Darstellerinnen und lässt Theaterblut ästhetisch strömen. Überraschend herb gestaltet Anna Franziska Srna ihren Part als Wärterin mit Spielchen um Macht, Eifersucht und Verletzungen.
Dramaturgisch geschickt baute Munro ihr Stück auf. Sie lässt da zwei Charaktere aufeinanderprallen, die Nähe suchen und sich doch wieder voneinander entfernen. Arie Zinger inszenierte das mit viel Leidenschaft fürs Gewerbe und etwas weniger Theaterblut. Andrea Eckert durchlebt und -leidet effektvoll ein selbst gemachtes Frauenschicksal: Trotzig schüttelt sie den struppigen Kopf, spielt sie die Aufmüpfige, verkrampft sie die Finger, verknotet Arme und Beine. Zwischen Zelle, Hof und Besucherraum sucht sie mit funkelnden Augen die Authentizität des Lebens samt Verweigerung, Selbsthass und Zerstörungstrieb.
Wunderbar, wie Eckert anlässlich ihres Auftritts alle jugendkulturellen Haltungen durchkonjugiert – ein wirrhaariges Wesen, das mit den Hüften mahlt, den tätowierten Bizeps nach vor drückt und die ganze Subkultur des Knasts als eine einzige Schutz- und Schmutzdrohgebärde herbeizitiert. Ab nun wird man nicht mehr recht froh mit der Überinstrumentierung, die Regisseur Arie Zinger seinem Quartett tragödiendick angedeihen lässt. Natürlich ist die Eckert herrlich – wie sie mit tief liegenden, wässerig trüben Augen den Kopf gegen die Schachtelwand schlägt und vom Überschnappen bedroht ist.
Wenn es um große Emotionen geht, ist Andrea Eckert die richtige Frau. Ein diabolisches Temperament, reiche Reserven unausgelebter Lebensfreude und eine Neigung zu abgrundtiefer Tragik, all das vereint Andrea Eckert, wenn sie die Rolle der Fay spielt; sie läuft zu hoher Form auf. Daniela Kiefer gibt ein Bild von einer jungen Frau, die sich diszipliniert, die materiell einiges erreicht hat, die aber mit einer schweren seelischen Verwundung durchs Leben geht. Die Autorin hat nicht vergessen, auch der Wärterin (Anna Franziska Srna) und dem Wärter (Helmut Berger) individuelle Gestalt zu geben: Sie ist eine enttäuschte Alleinerziehende, er ist ein gefährlicher Biedermann. Beide reagieren an der Gefangenen ihre Frustrationen ab.
Andrea Eckert setzt ihr Können souverän ein und geht körperlich an die Grenze des Darstellbaren. Daniela Kiefer steigt als Tochter mit großer Selbstsicherheit in die Konfrontation ein und verliert allmählich die Contenance. Momme Röhrbein hat die verschiedenen Gefängnisräumlichkeiten in ein sehr praktikables Einheitsbühnenbild gepackt, Max Nagl steuert sparsame Musik-Einspielungen bei. |