2001/02
Haupthaus |
Die Erzählung der Magd Zerline Premiere 19. September 2001 Mit Inszenierung: Georg Lhotsky Gefesselt an den Dienst bei der Gnädigen, erlebt eine Dienstmagd im Verlauf ihrer langen Fronzeit Macht und Ohnmacht der Unterwerfung: Zerline, die ihr Leben in dienender Stellung bei einer altösterreichischen Adelsfamilie verbracht hat, erzählt in einem schier atemlosen Monolog einem unbeteiligten Untermieter ihre Lebensgeschichte, die sich auf wundersame Weise als zuerst unter Rachegelüsten versteckte, dann immer selbstbewusster auftrumpfende Liebesgeschichte enthüllt: Eine Liebesgeschichte zwischen Herr und Magd, bei der beide Beteiligten einander in der erotischen Verstrickung nichts schuldig geblieben sind – im Gegensatz zur sozialen Abhängigkeit, bei der der Herr seiner Liebesdienerin sehr wohl alles schuldig blieb. „Die Erzählung der Magd Zerline“, vom großen österreichischen Autor Hermann Broch in der amerikanischen Emigration 1948/49 ursprünglich als Novelle für den Band „Die Schuldlosen“ geschrieben, hat längst das Theater als ebenso vielschichtigen wie sozial demaskierenden Frauenmonolog für sich erobert: als „eine der gößten Liebesgeschichten, die ich kenne“ (Hannah Arendt). Im 50. Jahr nach Hermann Brochs Tod inszeniert Georg Lhotsky diese Ballade von Liebe, Lust und Abhängigkeit, mit Brigitte Swoboda als Magd Zerline und Rolf Schwab als fremdem Zeugen dieser Selbstentäußerung. Zart und sanft, dann aufbrausend und wütend dringt Brigitte Swoboda – auch optisch eine Idealbesetzung – in das Innenleben der Magd Zerline ein. Ihre Reflexionen über die ewige Liebe und die vergängliche Lust, über Rache und Selbstzerstörung ziehen in den Bann. Kostbare Worte statt dramatischer Aktion – Broch kommt zu seinem Recht.
Hermann Brochs „Die Erzählung der Magd Zerline“ zählt zu den schönsten Frauenmonologen der Weltliteratur. Brigitte Swoboda spielt unter der einfühlsamen Regie Georg Lhotskys – in einer sehr stimmigen Ausstattung von Suzie Heger – die stets Unterdrückte, Gedemütigte, die sich auf ihre Weise rächte, die nicht vergessen und verzeihen kann, die aber auch nie aufhörte zu lieben. Brigitte Swoboda findet in dieser Paraderolle zu wahrhaft berührenden, zu erschütternden Momenten. Ein diskreter, doch ausdrucksstarker, zuhörender Partner ist ihr Rolf Schwab. Regisseur Georg Lhotsky holt, durch Verlegung des Spielplatzes vor den Vorhang, die Zuschauer in das von Suzie Heger mit Jalousien verhängte 30er-Jahre-Zimmer, als wäre jeder von ihnen genauso Mieter darin wie Rolf Schwab. Was folgt, ist ein Kammerspiel, das sich in die fehlende Dramatik bescheiden fügt, um die psychologische Raffinesse der Brochschen Menschenschau genauer zu vermitteln. Glaubhaft findet in den stärksten Passagen die Lebensklugheit zu einer noch im Erinnerungsabstand von Jahrzehnten pulsierenden Körperlichkeit. Ein würdiges Unternehmen zu Ehren Hermann Brochs. Zerline! Der Inbegriff der verführerischen und verführten Magd, dem hohen Herrn nicht ganz abgeneigt und doch in ihrer Ehre gekränkt. Wie in Mozarts „Don Giovanni“ ist Zerline auch bei Broch in dem Spiel von Verlockung, Stolz und gesellschaftlicher Stellung eine glaubwürdig Unterworfene. Regisseur Georg Lhotsky lässt Zerline Mensch sein. Diese Zerline hat Abgründe von mittlerer Tiefe, Gefühle der ganz gewöhnlichen Art und eigensinnigen Stolz. Treffend ist Brigitte Swobodas Darstellung; sie ist einfach die Bühnengestalt, angreifbar und real, ungekünstelt und nicht detailverliebt. Eine Geschichte von Lust, Eifersucht, Neid, von Herren und Mägden und – zuletzt – von einer Liebe, die so unerhört und heimlich ist, dass sie sich der Liebenden selbst nicht offenbart. Brigitte Swoboda spielt diese Magd. Man hört ihr gerne zu. Sie bewegt ihre Hände, als habe sie sich das bei ihrer Herrschaft abgeschaut, und ihr Blick kann wunderbar dunkel werden. Brigitte Swoboda trägt diesen Frauenmonolog ganz ruhig, zurückhaltend, sehr sensibel, leise vor. Die Lebensschau einer einfachen, sozial untergeordneten, stets dienenden Frau. Aber auch mit sexueller Beziehung zum gebietenden Herrn. Eine einsame Messe. Der Theaterbesucher kann sich in dezent gedämpfter Stimmung der Phantasie, der sozialen Analyse und den Werten der Dichtung hingeben. Feine Literatur. Inszenierung und Ausstattung sind solid und bieder, können aber die Wirkung des Textes auf der Bühne kaum über die einer Lesung oder eines Hörspiels hinausheben. |