1994/95
Haupthaus

Gegenwart der Erinnerung
von Gert Jonke

Uraufführung

Premiere 21. Mai 1995

Teilnahme an den 21. Mühlheimer Theatertagen, 1996

Diabelli: Erwin Ebenbauer
Johanna: Gundula Rapsch
Burgmüller: Georg Schuchter
Waldstein: Klaus Rohrmoser
Kalkbrenner: Peter Uray
Hausdiener: Fritz Hammel
Krankenhausarchitektinnen: Johanna Mertinz, Hertha Schell
Proktologe: Rudolf Strobl
Schwarzkopf: Uwe Falkenbach
Oberbaurat: Bernhard Hall
Magistratsdirektorin: Doris Weiner
Frau Jagusch: Cornelia Lippert
Frau Jaksch: Inge Altenburger
Jaksch: Hannes Gastinger
Pfeifer: Vera Borek
Schleifer: Heinz Petters
Umblätterer: Robert Seethaler
Kommissar: Michael Rastl

Inszenierung: Emmy Werner
Bühne: Elisabeth Blanke, Peter Pongratz
Kostüme: Suzie Heger

 
Zum dritten Mal Gert Jonke am Volkstheater: Nach „Sanftwut oder Der Ohrenmaschinist“ (1992) und „Opus 111“ (Uraufführung 1993) wird nun „Gegenwart der Erinnerung“ uraufgeführt – eine große skurrile Parabel über die Existenz des Künstlers in der österreichischen Gesellschaft.
Das Stück handelt von einer merkwürdigen Begebenheit: Der Fotograf Diabelli und seine Schwester Johanna geben wie jedes Jahr ein Fest für Künstler und Honoratioren der Stadt. Das Fest dieses Jahres soll sich von dem des vorangegangenen Jahres nicht unterscheiden, ja die Geschwister gehen sogar so weit, eine vollkommene Übersetzung der Erinnerung in die Gegenwart anzustreben. Dem Experiment kommt die Vergeßlichkeit der Gäste entgegen. Alles ist seltsam wie immer. Einzig der Komponist Burgmüller ist irritiert, zweifelt die Wiederholbarkeit an. Aber nur ein besorgniserregender Vorfall stört den Frieden der Wiederholung …
Jonkes Interesse gilt der extremen Nutzung der logischen Möglichkeiten von Sprache. In seiner Kunstsprache reden sich die Figuren um Kopf und Kragen. Sie plaudern eine Wirklichkeit aus, die keiner kennt, von der aber jeder weiß, daß sie da ist. Das von Jonke skurril und experimentell untersuchte Verhältnis von Gegenwart, Erinnerung und Vergessen kann im Österreich des Jahres 1995 auch als Reflexionsansatz über unser spezifisches Verhältnis zur Vergangenheit und ihren Spiegelungen und Wiederholungen in der Gegenwart herangezogen werden.
„Jonkes Bücher sind Zauberkomödien, Nachfahren also einer großen österreichischen Tradition. So viele Wunder geschehen, daß keines mehr verwunderlich ist; ohne Staunen akzeptiert man, daß Musiker die herrlichste Musik machen ohne Musikinstrumente, allein durch Konzentration. Das Theater braucht für solche Wunder Maschinen, der Schriftsteller eine Schreibmaschine.“ (Benjamin Henrichs).

 
Pressestimmen

Jonkes künstliche Menschen sind tragikomische Künstlerexistenzen. In Emmy Werners heiterer Uraufführungsinszenierung von „Gegenwart der Erinnerung“ wackeln und taumeln sie durch eine bonbonbunte Wunderflora auf abschüssigem Grund. Dazu rotiert Elisabeth Blankes und Peter Pongratz’ Bühne wie ein Karussell. Emmy Werner leistet sich im dritten Anlauf, den das Volkstheater wagemutig in Sachen Jonke unternimmt, einen musikalischen Spaß. Sie zieht sich höchst achtbar aus der Affäre. Die physikalische Achterbahnfahrt, die „Gegenwart der Erinnerung“ als Zeitreise auch ist, enthält sie uns vor. Stattdessen punktet das Ensemble. Neben Gundula Rapsch und Erwin Ebenbauer als Gastgebergeschwisterpaar reden Cornelia Lippert und Hannes Gastinger sich in virtuose Wirbel – Koloraturmaschinen und perfekte Sprechautomaten, die Wahrheitswille in das Chaos stürzt.
Ronald Pohl, Der Standard

Atemlose Satzkaskaden fordern höchste Aufmerksamkeit, damit ihr Schwachsinn und ihre Komik deutlich werden. Der poetische Verunsicherungsagent Jonke ist auch hier ein Meister der philosophischen Nonsens-Sonatine über dem Basso ostinato der Hysterie. Peter Pongratz, der Maler und Bühnenbildner, ersann mit Hilfe von Elisabeth Blanke ein Eiland samt Wäldchen. Beleuchtung und eine ausnahmsweise sinnvoll genutzte Drehbühne erzeugen zauberische Atmosphäre und unterstreichen das Leitmotiv des Stücks: Was geredet und getan wird, ist nichts weiter als ein absurdes Karussell. Emmy Werners Inszenierung legt Wert auf karikaturistische Präzision, denn Kunstfiguren müssen Kunstfiguren bleiben. Daß das Ensemble dabei auch die vertrackte Musikalität der monologischen Arien und Rezitative zur Geltung kommen läßt, hält die Aufführung auf durchgängig spannendem Niveau. Besonders hervorzuheben sind Vera Boreks abgründig törichte Kritikerin, Cornelia Lippert als entfesselte Bürokratin und Heinz Petters in der Rolle des schließlich tonlosen Pianisten. Wie ein außerirdischer Besucher dieser Gardenparty der Irren wirkt der Komponist Burgmüller. Georg Schuchter verleiht ihm nachdenkliche Melancholie.
Ulrich Weinzierl, FAZ

Österreichs Großmeister der Sprachbehandlung, ein Virtuose von musikalisch-mathematischer Präzision, genießt am Wiener Volkstheater künstlerisches Heimatrecht. Und auch Gert Jonkes dritte Uraufführung in Serie geriet dort zum Ereignis. Das Ensemble ist exzellent: Cornelia Lippert, Georg Schuchter, Heinz Petters, Gundula Rapsch, Erwin Ebenbauer, Vera Borek, Peter Uray, Hannes Gastinger, Michael Rastl, Fritz Hammel, Rudolf Strobl und etliche Nebendarsteller, die man lang nicht mehr so gut erlebt hat, formieren sich zum Klangkörper von philharmonischer Präzision. Es lohnt sich, Jonke ins Labyrinth der Worte zu folgen.
Heinz Sichrovsky, Kronenzeitung

Emmy Werner lockt alle verborgene Komik aus Jonkes Kunst-Irrgarten hervor, ohne seinem Kunst-Ernst Abbruch zu tun.
Sigrid Löffler, Süddeutsche Zeitung

Das Ensemble gibt Jonkes Satzkatarakte kommagenau wieder, von Hausherrin und Regisseurin Emmy Werner gleichmäßig im Bühnenbild verteilt.
Theater heute

Die Regisseurin Werner sollte mehr Stilisierung einforden, um die Jonkesche Komödie voll zur Geltung zu bringen und weniger nach dem (welchen?) Publikumsgeschmack schielen (lassen).
Reinhold Reiterer, Kleine Zeitung

Produktionen G