1994/95
Haupthaus |
Gegenwart der Erinnerung Uraufführung Premiere 21. Mai 1995 Teilnahme an den 21. Mühlheimer Theatertagen, 1996 Diabelli: Erwin Ebenbauer Inszenierung: Emmy Werner Jonkes künstliche Menschen sind tragikomische Künstlerexistenzen. In Emmy Werners heiterer Uraufführungsinszenierung von „Gegenwart der Erinnerung“ wackeln und taumeln sie durch eine bonbonbunte Wunderflora auf abschüssigem Grund. Dazu rotiert Elisabeth Blankes und Peter Pongratz’ Bühne wie ein Karussell. Emmy Werner leistet sich im dritten Anlauf, den das Volkstheater wagemutig in Sachen Jonke unternimmt, einen musikalischen Spaß. Sie zieht sich höchst achtbar aus der Affäre. Die physikalische Achterbahnfahrt, die „Gegenwart der Erinnerung“ als Zeitreise auch ist, enthält sie uns vor. Stattdessen punktet das Ensemble. Neben Gundula Rapsch und Erwin Ebenbauer als Gastgebergeschwisterpaar reden Cornelia Lippert und Hannes Gastinger sich in virtuose Wirbel – Koloraturmaschinen und perfekte Sprechautomaten, die Wahrheitswille in das Chaos stürzt.
Atemlose Satzkaskaden fordern höchste Aufmerksamkeit, damit ihr Schwachsinn und ihre Komik deutlich werden. Der poetische Verunsicherungsagent Jonke ist auch hier ein Meister der philosophischen Nonsens-Sonatine über dem Basso ostinato der Hysterie. Peter Pongratz, der Maler und Bühnenbildner, ersann mit Hilfe von Elisabeth Blanke ein Eiland samt Wäldchen. Beleuchtung und eine ausnahmsweise sinnvoll genutzte Drehbühne erzeugen zauberische Atmosphäre und unterstreichen das Leitmotiv des Stücks: Was geredet und getan wird, ist nichts weiter als ein absurdes Karussell. Emmy Werners Inszenierung legt Wert auf karikaturistische Präzision, denn Kunstfiguren müssen Kunstfiguren bleiben. Daß das Ensemble dabei auch die vertrackte Musikalität der monologischen Arien und Rezitative zur Geltung kommen läßt, hält die Aufführung auf durchgängig spannendem Niveau. Besonders hervorzuheben sind Vera Boreks abgründig törichte Kritikerin, Cornelia Lippert als entfesselte Bürokratin und Heinz Petters in der Rolle des schließlich tonlosen Pianisten. Wie ein außerirdischer Besucher dieser Gardenparty der Irren wirkt der Komponist Burgmüller. Georg Schuchter verleiht ihm nachdenkliche Melancholie. Österreichs Großmeister der Sprachbehandlung, ein Virtuose von musikalisch-mathematischer Präzision, genießt am Wiener Volkstheater künstlerisches Heimatrecht. Und auch Gert Jonkes dritte Uraufführung in Serie geriet dort zum Ereignis. Das Ensemble ist exzellent: Cornelia Lippert, Georg Schuchter, Heinz Petters, Gundula Rapsch, Erwin Ebenbauer, Vera Borek, Peter Uray, Hannes Gastinger, Michael Rastl, Fritz Hammel, Rudolf Strobl und etliche Nebendarsteller, die man lang nicht mehr so gut erlebt hat, formieren sich zum Klangkörper von philharmonischer Präzision. Es lohnt sich, Jonke ins Labyrinth der Worte zu folgen. Emmy Werner lockt alle verborgene Komik aus Jonkes Kunst-Irrgarten hervor, ohne seinem Kunst-Ernst Abbruch zu tun. Das Ensemble gibt Jonkes Satzkatarakte kommagenau wieder, von Hausherrin und Regisseurin Emmy Werner gleichmäßig im Bühnenbild verteilt. Die Regisseurin Werner sollte mehr Stilisierung einforden, um die Jonkesche Komödie voll zur Geltung zu bringen und weniger nach dem (welchen?) Publikumsgeschmack schielen (lassen). |