Groß und klein
von Botho Strauß
Premiere 20. Oktober 2002
Lotte: Andrea Eckert
Der Mann/Arzt/Stimme: Thomas Stolzeti
Die Frau/Die Frau im hochgeschlossenen Kleid: Christiane Ostermayer
Die Alte: Maria Urban
Der Alte: Heinz Petters
Gitarrenspieler/Alf: Christoph Zadra
Wissenschaftlicher Assistent/Mann im Parka: Hary Prinz
Wissenschaftliche Assistentin/Meggy: Sabine Herget
Paul, Lottes Mann: Peter Gruber
Der Türke: Ali Can Güzel/Nail Akar
Inszenierung: Frank Arnold
Bühne: Gerhard Gollnhofer/Christine Dosch
Kostüme: Gerhard Gollnhofer
Lichtdesign: Konrad Lindenberg
Eine Frau mittleren Alters, verlassen von ihrem Mann, sucht erstmals ihren eigenen Weg zu gehen, prallt aber an lauter Mauern des Unverständnisses und der Beziehungsleere. In einer Gesellschaft, in der sich jeder mehr und mehr dem Nächsten verschließt und sich auf sich selbst zurückzieht, geht diese Lotte aus Remscheid unbefangen und voll unschuldiger Neugier auf ihre Mitmenschen zu, glaubt an die Kommunikationskraft von Zuwendung, Wärme, Anteilnahme – und scheitert an der Ängstlichkeit, in der eine in technokratischer Kälte erstarrte Gesellschaft erschreckt vor jeder Frage nach Sinn, nach erfülltem Leben zurückweicht. Lottes Weg durch ihr von lärmender Leere erfülltes Land wird zu einer Odyssee ohne Heimkehr, beschreibt ein Stationendrama voll ausdrucksstarker Sinnbilder für diese existenzielle Mutlosigkeit und Lethargie. Pathosfrei, pointenreich und mit trockenem Witz schildert Botho Strauß diese bereits in den siebziger Jahren aufgezeichnete Irrfahrt, deren Beobachtungsreichtum und analytischer Befund sich erst heute in ihrer ganzen Realität bewahrheitet haben.
Pressestimmen
Im Wiener Volkstheater setzt Regisseur Frank Arnold das Seziermesser an unserer Gesellschaft an. Im klinisch kühlen Bühnenbild (Gerhard Gollnhofer/Christine Dosch) im weißen Wellblechdesign lenkt nichts von den Schauspielern ab.
Solo für Andrea Eckert. Der Star des Volkstheaters hat es nicht leicht. sie muss dieser an sich unscheinbaren Person namens Lotte Profil geben, muss ihre Verwandlung von der Frau, die es allen recht machen will, zur seltsam religiös gewordenen Predigerin glaubhaft machen. Eckert dehnt ihre Zerbrechlichkeit bis zur Grenze aus, schreit ihre Verzweiflung heraus und findet doch immer wieder zu einem unsicheren Lächeln zurück. Ihr zur Seite stehen unter anderem Christiane Ostermayer, Peter Gruber, Sabine Herget.
Irgendwie unbarmherzig dieser Abend, der lange nachwirkt.
Helmut Schneider, Salzburger Nachrichten
Mit Andrea Eckert regiert eine Schauspielerin die Bühne, die Lottes Seelenwelt in das unendlich traurige Licht der Realität taucht. Eine emotional missbrauchte, existentiell gestrandete Frau, die sich im Grunde nichts zu Schulden kommen ließ, außer ihr offenes Herz. Lottes Umwelt verabschiedet sich mit Spott und Hohn von einem Menschen, der anstelle von grenzüberschreitender Durchschlagskraft Sensibilität zu bieten hat.
Dass die gesellschaftspolitische Brisanz von „Groß und klein“ bis zum heutigen Tag ihre traurige Gültigkeit besitzt, ist dank Andrea Eckerts imponierender Seelenschau nicht nur rational, sondern vor allem auf emotionaler Ebene „begreifbar“ – gleichzeitig ein bereicherndes Herzstück der Wiener Theaterlandschaft.
Christine Dobretsberger, Wiener Zeitung
Mit Spannung erwartet wurde insbesondere Andrea Eckerts Lotte. Eine Rolle, die der auratischen Eckert auf den Leib geschrieben scheint. Sie gibt der Figur viel Wärme, Herzlichkeit und hin und wieder einen hochdramatischen Ausbruch. Lottes Entwicklung wird plastisch.
Berührende Momente: Thomas Stolzeti als Manager, dem der Sinn verloren gegangen ist; am Bett seiner schicken Frau (Christiane Ostermayer) durchwacht er still verstört die Nacht. Ein anderes Lehrstück zum Thema Sinnsuche liefern der wissenschaftliche Assistent (Hary Prinz), die wissenschaftliche Assistentin (Sabine Herget) und der Kristallograph (Christoph Zadra); man denkt an die kürzlich verliehenen Nobelpreise und an das, was sich darunter abspielt an Profilierungssucht und Frustration. Die Entrückung des Alters illustrieren Heinz Petters und Maria Urban; Philemon und Baucis heute.
Barbara Petsch, Die Presse
… schöne Szenen und Bilder gelingen: Lotte als vulgär Abgewiesene an einer Gegensprechanlage. Allein in der Telephonzelle. Der verzweifelte Versuch, sich als Tippse Leben und Arbeit aufzubauen. Hier leistet Christoph Zadra Unterstützung, Verrücktheit und Skurrilität blitzen über die Situation hinaus durch. Eckerts Monolog mit der Frage "Wohin?": markerschütternd, bis zur Selbstaufgabe verinnerlichtes Schauspiel.
Caro Wiesauer, Kurier
Ihre wirklich großen Momente hat die Eckert in jenen Szenen des zunehmenden Wahnsinns der verstoßenen Frau. Erfreulich: Um die Hauptdarstellerin formiert sich ein durchaus konsistentes Ensemble.
Renate Kromp, News
Das Stationendrama ist ein Klassiker der Siebzigerjahre und wird heute nur noch selten gespielt. Zu Recht, könnte man nach Ansicht der aktuellen Produktion im Volkstheater sagen, aber damit würde man sowohl den Siebzigerjahren als auch Botho Strauß Unrecht tun: Beide waren, bzw. sind nicht so langweilig und witzlos wie Frank Arnolds drei Stunden lange Inszenierung. Das Stück ist heute noch genauso aktuell wie vor 24 Jahren. Im Volkstheater ist das unter anderem nur deshalb zu erahnen, weil Hauptdarstellerin Andrea Eckert nach starken Anlaufschwierigkeiten erst nach und nach in ihre Rolle findet – wobei sie nie die entsprechenden Partner vorfindet, an denen sie wachsen könnte.
Wolfgang Kralicek, Falter