1998/99
Haupthaus

Hautnah
von Patrick Marber

Österreichische Erstaufführung

Premiere 4. November 1998

Alice: Meriam Abbas
Dan: Thomas Kamper
Anna: Babett Arens
Larry: Ulrich Reinthaller

Inszenierung: Michael Kreihsl
Bühne und Kostüme: Siegfried E. Mayer
Lichtgestaltung: Philipp Harnoncourt, Robert Schwarz

Alice trifft Dan und zieht mit ihm zusammen. Dan trifft Anna und verliebt sich in sie. Anna trifft Larry und heiratet ihn. Alice verläßt Dan, weil er Anna liebt. Anna verläßt Larry, weil sie Dan liebt. Larry trifft Alice und zieht mit ihr zusammen. Alice arrangiert eine Begegnung zwischen Larry und Anna, weil sie Dan liebt. Larry und Anna ziehen wieder zusammen. Alice und Dan ziehen wieder zusammen. Dann verläßt Alice Dan und geht nach New York, wo sie von einem Auto überfahren wird. Larry lebt jetzt mit einer Krankenschwester, Anna hat einen Tierarzt zum Freund. Dan trauert um Alice, die gar nicht Alice geheißen hat.

Marber schildert kühl, heutig und ohne Betulichkeit die Gefühlsverwirrungen einer Generation, die alles haben und nichts behalten kann, die sich Beziehungen leistet wie einen neuen Computer, Beziehungen wechselt wie einen Wagen, Beziehungen wegwirft wie ein altes paar Schuhe. Sie sind nicht schuld daran und sie sind nicht glücklich damit. Sie sind großer Gefühle fähig, tiefer Sehnsucht und tiefer Trauer. Sie können Glück und Schmerz empfinden, sie sind ehrlich, sensibel und konsequent. Doch sie müssen und dürfen sich nicht entscheiden, sich nicht festlegen, auf nichts verzichten. Warum sollten sie es ausgerechnet in der Liebe können? Es ist das Lebensgefühl der 90er Jahre, das Marber dramatisch formuliert.

 
Pressestimmen

Das ist ein sehr gut gebautes, ein sehr zutreffendes, ein, fürchte ich, schrecklich realistisches Stück um Beziehungen und Beziehungslosigkeiten. Es ist ein sehr kluger, wenn auch scharf gewürzter Text, der zwischen Traurigkeit und Witz wunderbar die Balance hält. Eine sensible, eine gut gearbeitete Aufführung, mit einem sehr guten Schauspielerquartett: Thomas Kamper, Babett Arens, dann Ulrich Reinthaller, auch diesmal wieder als „Onkel Doc“, aber er beweist, daß er der Großaufnahme nicht bedarf, um mit seinem Gesicht, um mit seiner Sprache wirklich überzeugen zu können und einen Menschen darstellen zu können. Ich hoffe, es bleibt nicht bei diesem einen Comeback, wir würden den Reinthaller gern häufiger in Wien am Theater sehen. Und dann gibt es hier noch Meriam Abbas: eine aufregende Schauspielerin, ein aufregendes Gesicht, das so vieler Wandlungen fähig ist, das von Todeselend bis zu himmelhoher Freude, von Verzweiflung bis zur Aufmüpfigkeit sekundenschnell den Ausdruck wechseln kann, eine wunderbare, eine faszinierende Schauspielerin, hier am Volkstheater zum zweitenmal tätig und eine wirkliche Entdeckung.
Karl Löbl, ORF

Anziehungen, die krasse Offenheit, mit der geradezu bohrend die sexuellen Erlebnisse des anderen erfragt werden. Man sagt einander nackt und ungeschönt die Wahrheit. Wenn’s sein muß, in allen Details. Und erträgt sie nicht. Denn so cool und zeitgemäß und aufgeschlossen man sich auch gibt, jeder der vier Beteiligten hat seine Gefühle, seine Verletzlichkeit und seine Sehnsucht. Michael Kreihsl inszenierte nun im Volkstheater die österreichische Erstaufführung dieses wirkungsvollen, gut gebauten Stückes, das in London, München und Zürich Sensation machte. Es gelingen ihm einige brillante Szenen, er entwickelt das chaotische Geschehen mit Witz und führt die Schauspieler zu interessanten Figuren.
Karin Kathrein, Kurier

Patrick Marbers Intention: Das Lebensgefühl der Mittdreißigergeneration auf die Bühne zu bringen und zu zeigen, welche Träume und Fantasien sie haben und mit welchen Realitäten sie vorlieb nehmen müssen – Gefühlschaos, Betrug und Eifersucht inbegriffen. Vor allem sollen seine Figuren so sprechen, wie „man“ dies heutzutage eben tut. Die Inszenierung Michael Kreihsls trifft die Tonlage, die Ausstattung Siegfried E. Mayers ist knapp und kühl gehalten, die Schauspieler sind, vor allem in den beiden weiblichen Rollen, typenmäßig ideal besetzt. Wie gerne würden diese vier Leben den Pfaden der Lust folgen. Wie hinreißend komisch durchkreuzen einander die Wege und verschlingen sich zu Knoten, die kein Mensch zu entwirren vermag. Die zauberische Meriam Abbas sorgt im Wiener Volkstheater für einen unvergeßlichen Abend. Sie hat sich vorgenommen, einen, den ersten besten, und sei es der schlechteste, besinnungslos zu lieben. Er wird Dan heißen, ein versoffener Literat sein und von Thomas Kamper als wunderbar bornierter Dichterkleinbürger mit hängenden Knien und jämmerlichem Selbstmitleid gespielt werden. Der Verlust des Ersehnten ist der heißeste Schmerz. Ein Phantomschmerz? Gewiß. Die Bilder dieser exemplarisch gelungenen Aufführung brennen aber nach.
Ronald Pohl, Der Standard

Auf neue Stücke wie dieses warten Theaterdirektoren auf der ganzen Welt sehnlichst: „Hautnah“ von Patrick Marber ist intelligent, unterhaltsam und sexy – und ist zwischen London und München folgerichtig ein Kassenschlager. Alice liebt Dan; Dan liebt Alice, aber auch Anna; Anna liebt Dan, heiratet aber Larry. So einfach und so banal ist das – aber so gut wie Marber hat es schon lange keiner mehr erzählt. Der jungen Meriam Abbas dürfte der Skraup-Preis jetzt schon sicher sein; Babett Arens punktet mit einer aparten Mischung aus Kühle und Gefühlen; Gaststar Ulrich Reinthaller hat als TV-Doktor nicht an Präzision verloren; und Thomas Kamper ist ein sympathischer Loser. Insgesamt ist „Hautnah“ die vielleicht coolste Aufführung, die im Volkstheater jemals zu sehen war.
Wolfgang Kralicek, Falter

Michael Kreihsl inszeniert das so hautnah, wie es der deutsche Titel nahelegt, verschafft den Schauspielern ein sicheres Gerüst für die Aufgabe, kontrastierende Stimmungen und Konflikte von Szene zu Szene sekundenschnell herzustellen. Zusätzliche Sicherheit bei der Gratwanderung liefert Siegfried E. Mayer mit seiner Ausstattung, mit Kostümen, die Stand und Charakter treffsicher umreißen. Gespielt wird brillant: Meriam Abbas bringt als Alice den Anspruch auf Wahrhaftigkeit mit explosiver Intensität auf die Bühne, Babett Arens schraffiert die Figur der Photographin mit allen Nuancen der Selbstbehauptung und Versagung, Thomas Kamper als Dan macht Eitelkeit und Selbstmitleid einsichtig, Ulrich Reinthaller als Larry erspielt waghalsig die Widersprüchlichkeit von Scham und Schamlosigkeit. Sie alle, das Stück, die Schauspieler, das Inszenierungsteam, machen an diesem beeindruckenden Theaterabend klar, daß es keinen „easy sex“ gibt, keine schmerzlose Liebe, keine Beziehung, die nicht verwundet.
Paul Kruntorad, Täglich alles

Ein gutes, hartes Beziehungsstück, exzellent gespielt von einem feinen Ensemble. Michael Kreihsl hat inszeniert: so geschmackvoll wie möglich, so frontal wie notwendig. Einnehmend: Kreihsl verzichtet auf angestrengte „Theater-Einfälle“, läßt die Figuren sich entfalten, nah herankommen, ihre subjektive Logik aneinanderprallen, ein wechselvolles Stimmungsspiel. Grünlich, unbestimmt weit ist der Himmelsprospekt, der auf der Drehbühne rotiert (Bühne, Kostüme: Siegried E. Mayer): ein berührendes Bild. Meriam Abbas gibt die Alice. Abbas’ Farbenspiel gleicht dem eines Chamäleons. Die Dame erscheint als eine ausbaufähige Entdeckung. Thomas Kamper, ein subtil-komisches Talent, gibt den Dan: Ängstlich hält er seine fünf Sinne zusammen, als sie durcheinandergeraten sind, gibt es kein Halten mehr. Ulrich Reinthaller, an sich mehr fürs wohlerzogene Fach prädestiniert, spielt mit erstaunlicher Souveränität den verkorksten Dermatologen Larry. Babett Arens ist die vierte im Bunde: Anna fertigt inszenierte Photos „trauriger Menschen“ an, macht damit Geld – und hat in der Hoffnung, daß doch einmal etwas Besseres nachkommt, ihre Jugendlichkeit nicht ohne Anstrengung bewahrt. Die Szene, wo Larry vermeintlich mit Anna, tatsächlich aber mit Dan Internet-Sex treibt, gehört zu den komischsten des Abends. Die drastischen Sex-Dialoge allerdings sind nicht für jedermann erträglich – mutig von Volkstheater-Direktorin Emmy Werner, diese Stück auf die große Bühne zu lassen.
Barbara Petsch, Die Presse

Marbers Sittenspiegel ist spritzig, temporeich und voll von frechen Bonmots, in denen sich das Publikum lachend wiedererkennt. Luftig und leicht kommt die Aufführung daher, legt alles unnötige Beiwerk ab, konzentriert sich auf der Drehbühne auf Liebesgetändel und Psychodrama. Zum Lebensgefühl der 90er gehört das direkte Reden über Sex. „Hautnah“ ist eine Redeübung in Sachen Sex. Meriam Abbas, der Jungstar des Volkstheaters, kommt wieder zum Einsatz. Im turtelnden Gespann mit Thomas Kamper funkt allerdings nicht recht die erotische Spannung auf; stärker wirkt Abbas im Desillusionierungsprozeß. Babett Arens und der neu am Volkstheater engagierte Ulrich Reinthaller stehen in der Publikumsgunst höher; witziger und kämpferischer gehen sie die Sache an, auch in der bitteren Zerfleischung expressiver.
Alfred Pfoser, Salzburger Nachrichten

Der Filmregisseur Michael Kreihsl entwickelte die Österreich-Premiere am Wiener Volkstheater zu einem großen Theaterabend. Thomas Kamper und Ulrich Reinthaller spielen Männer, denen der vergebliche Versuch, erwachsen zu werden, anzusehen ist. Babett Arens und Meriam Abbas zeichnen Frauenfiguren, die unterschiedlich dem Liebesblitz aus heiterem Himmel mißtrauen. Die junge Meriam Abbas scheint derzeit die Wiener Theaterlandschaft im Sturm zu nehmen. Spannend, zweieinhalb Stunden einer Schauspielerin dabei zuzuschauen, wie sie die Fragilität heutiger Befindlichkeit zu künstlerischem Eigenleben entwickelt.
Reinhold Reiterer, Oberösterreichische Nachrichten

Ein Reigen saftloser Liebesspiele. Breit und bleich wie die Bettlaken bleibt Michael Kreihsls langatmiger Geschlechterkampf.
Kronenzeitung

Beziehungskisten obszön aufgemotzt.
Vorarlberger Nachrichten

Produktionen H