2004/05
Haupthaus |
Ich, Feuerbach Premiere 28. Jänner 2005 Mit Inszenierung: Heribert Sasse Die Geschichte eines alternden Schauspielers, der nach siebenjähriger Pause einem Theaterintendanten vorsprechen soll. Doch der erscheint nicht. Stattdessen muss sich Feuerbach mit einem Regieassistenten die Zeit vertreiben, wobei sich schließlich sein wahres Problem enthüllt: Feuerbach war sieben Jahre lang in der Psychiatrie. Einer der schönsten Texte über Theater und Schauspieler-Sein und gleichzeitig einer der bewegendsten über ins gesellschaftliche Off gerutschte Menschen
Heribert Sasse ist ein Meister des Timings und der Verwandlungsfähigkeit. Er vollführt regelrecht ein Schauspieler-Virtuosenstück, es gelingt ihm sogar, der tragischen Figur komische Züge abzuringen. Er spielt den Schauspieler Feuerbach, der vorsprechen soll, doch der Regisseur lässt auf sich warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, fängt er mit dem Regieassistenten ein Gespräch an. Was sich in der nächsten Stunde aber entwickelt, ist der bittere Existenzkampf eines alternden Schauspielers, der im totalen Fiasko mündet. Nach und nach erfährt man, dass dieser Feuerbach wohl einmal ein berühmter Schauspieler gewesen sein muss; ein „Virtuose der Nachahmung“, wie es heißt, dem aber der Leidensdruck als Schauspieler zu groß wurde und der zudem erkannte, dass die Kunst das Leben kosten kann. Er erlitt bereits einen Zusammenbruch, war in einer psychiatrischen Klinik interniert – und unterbrach seine Karriere für sieben Jahre. „Ich habe pausiert“, heißt es lapidar im Stück, und doch liegt in diesem Satz, zumindest so wie Sasse ihn ausspricht, Glanz und Elend eines verwüsteten Lebens.
Gibt es, wenigstens am Theater, ein richtiges Leben im Falschen? Ja, zumindest zeitweise, das zeigt Heribert Sasse mit bestechender Intensität. Sasse, der das Stück auch inszeniert hat, konzentriert sich auf die persönliche Dimension des Dramas: Auf den Schauspieler, der zum Sozialfall geworden ist, der beständig gegen den Irrsinn ankämpft und sein Leben nur noch in der Fantasie und der Erinnerung spüren kann. Einziges Manko der berührenden Inszenierung: dass neben der Selbstbespiegelung die auch im Text enthaltenen Reflexionen über das Theater zu kurz kommen. Sasse beherrscht alle Facetten der Rolle virtuos. Der Irrsinn blitzt bei ihm immer wieder auf, dämonisch springen seine Augen fast aus ihren Höhlen, die Artikulation scheint dem Schauspieler zu entgleiten. Die wundersamsten Momente sind jedoch die, in denen Feuerbach die Magie des Theaters wieder überkommt. Vollkommen entrückt wirkt er hier, das richtige Leben im Richtigen möchte man meinen. Wie Sasse auf dem unsichtbaren Seil der Hochspannungsakrobatik tänzelt – es macht schaudern. Wie er in Unterhosen und in hochgezogenen Socken den Schmerzensmann mimt, das nötigt ohne Zweifel Respekt ab. Er flötet als freigesetztes Vögelein, eine Art Franz von Assisi der Irrenanstaltskantinen, und faxt und grimassiert sich in eine Art Vorruhestand hinein: Respekt. Als Nächstes aber sei Sasse, dieser Routinier aus den Tiefen Westberlins, um eine Verschlankung seiner schauspielerischen Mittel gebeten. Sonst könnte passieren, was ihm unverhofft widerfährt: Dass ihm Beatrice Frey – als hereingeschneite Hundebesitzerin, die dieser Selbstentblößung von Stücks wegen ungewollt beiwohnt – mit ein paar wenigen wienerischen Sätzen aussticht. Nachdem Feuerbach aus Tasso rezitiert hat, ist kein Intendant mehr da. Das Paar Schuhe bleibt zurück. So wie Sasse: Der ist in Wien angekommen. Das sei zunächst einmal herzlich begrüßt. Sasse durchschreitet mit Riesenschritten die Leere, imitiert längst verstorbene Theaterzeitgenossen, stimmt sein Credo im nasalen Ton der Borniertheit an, reißt sich die Kleider vom Leib und erschöpft sich in einem nur allzu menschlichen Daseinskampf … Genie und Wahnsinn: Sasse hat sie im Sinn Dorsts vereint. Die Täuschung als Motto für das eigene Leben, dessen traurige Wahrheit sich entlarvt, wenn Feuerbach die schwarzen Kittel der Inspizienten an die weißen der Psychiatrie erinnern. In einer Hundebesitzerin – unglaublich komisch in ihrer Echtheit: Beatrice Frey – vermutet er eine Kollegin, die engagiert wurde, um ihn zu verunsichern. Heribert Sasse hat unaufwändig inszeniert, er verlässt sich ganz auf Dorsts bewegenden Monolog über das eigene Medium und auf sein meisterhaftes Spiel: In der Titelrolle zeigt er diese Achterbahnfahrt zwischen Kunst und Leben als tiefe Verneigung vor dem Theater. Sasse lässt sich ganz in den Taumel des Realitätsverlusts fallen, ohne auch nur einen Augenblick die Kontrolle über das eigene Spiel zu verlieren. Grandios beherrscht er die Ambivalenzen der Figur. Die virtuose Studie eines Verlorenen zwischen seinen Rollen. Nur ein Regieassistent (tapfer als Stichwortgeber und Reibebaum: Florian Teichtmeister) ist dem labilen Feuerbach ausgeliefert. Sasse zeichnet einen Sozialfall, einen hoffnungslos Verlorenen. Er setzt mehr auf die Schilderung eines Einzelschicksals denn auf die im Stück auch vorhandenen poetischen Reflexionen über das Theater. Hier bleibt Sasses Feuerbach vordergründig. Für den schönsten Moment der Aufführung sorgt Heribert Sasse dennoch: Wenn sein Feuerbach die absolute Stille im Publikum (höchst erfolgreich) beschwört, dann ist sie endlich da. Jene Magie des Augenblicks, die Theater Raum und Zeit aufhebt. Sasse zieht alle Register seiner Ausdruckskraft und spielt virtuos. |