1991/92
Haupthaus

Judith
von Friedrich Hebbel

Premiere 15. September 1991

Judith: Andrea Eckert
Holofernes: Ingold Wildenauer
Ephraim: Thomas Evertz
Achior: Günther Wiederschwinger
Samuel: Fritz Holzer
Enkel Samuels: Werner Wawruschka
Ammon: Wolf Dähne
Hosea/Gesandter Lybiens: Wolfgang Klivana
Ben: Wolfgang Lesky
Assad: Alfred Rupprecht
Daniel: Andreas Schlager
Samaja/Bote: Klaus Rohrmoser
Der Älteste: Peter Uray
Erster Priester/Gesandter Mesopotamiens: Peter Vilnai
Zweiter Priester: Harald Sommer
Oberpriester: Uwe Falkenbach
Kämmerer: Ronald Seboth

Inszenierung: Antje Lenkeit
Ausstattung und Musik: Peter Brower

Was kann heute an „Judith“ – diesem von Nestroy 1849 gnadenlos parodierten Schulbuchklassiker, der bis heute selten gespielt wird – interessieren? Sicher nicht in erster Linie die Schein-Aktualität, die das Stück durch den Golfkrieg gewonnen hat. Wenn auch der schrankenlose, menschenverachtende Machtanspruch des Holofernes, Phantasieprodukt eines deutschen Bürgers des Vormärz, durch die jüngsten Ereignisse wieder eine Art Beglaubigung erfahren hat. Doch daß diese Übermenschen aus den Köpfen in die Wirklichkeit überspringen können, wissen wir spätestens seit Hitler.
Was in „Judith“ so präzise und überzeitlich aktuell abgehandelt wird wie in kaum einem anderen Drama, ist die Situation des Individuums, das, aus religiösen und gesellschaftlichen Zusammenhängen entlassen, selbst den Grad und die Art seiner Bindungen definieren, selbst Sinn schaffen muß. Judith und Holofernes sind hybride Übermenschen, weil sie Außenseiter sind. Durch eigene Kraft oder Geschick aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang ausgestoßen, in die Individualität gezwungen, findet das männliche Individuum nur in der Selbstvergottung, das weibliche Individuum nur in der göttlichen Berufung Lebenssinn. Doch in einer Zeit, in der die Götter von den Altären gestoßen werden, in der das Eingreifen des einen Gottes unsicher geworden ist, muß dieser Lebenssinn eine unsichere, täglich neu zu erkämpfende Zielvorstellung bleiben, werden mit dem Sinn auch alle Motive und Beziehungen unsicher und schwankend. Hebbel erfährt und macht deutlich, daß „das Leben als Vereinzelung, die nicht Maß zu halten weiß, die Schuld nicht bloß zufällig erzeugt, sondern sie notwendig mit einschließt und bedingt“, aber auch, „daß die Schuld nicht erst aus der Richtung des menschlichen Willens entspringt, sondern unmittelbar aus dem Willen selbst, aus der starren, eigenmächtigen Ausdehnung des Ichs“.
Hebbel erzählt nicht, wie die Dichter der Aufklärung und der Klassik, von Triumph und Untergang des Individuums in einer hierarchisch geordneten Gesellschaft, er erzählt vielmehr von der Not, Einsamkeit und existentiellen Verzweiflung des Individuums in einer gott- und wertelosen Welt. Er schuf in „Judith“ ein eher todtrauriges als tragisches Stück, in dem sich unsere eigene Verzweiflung wiedererkennen kann.

 
Pressestimmen

Antje Lenkeits Inszenierung verschlankt das schwerblütige Werk, erhält zwar den Großteil des Texts, macht diesen aber durch die szenische Gestaltung einsehbar und erträglich. Eine bestandene Mutprobe.
Kurier

Ohne aufdringliche Metaphern, ohne platte Zitate spannt sie den Bogen vom autokratischen Nebukadnezar und seinem hybriden Feldherrn Holofernes zum Faschismus, der Atombombe und den Schrecken des elektronischen Kriegs. Wer den Mut hat, sich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen, wer vom Theater nicht angenehme Berieselung erwartet, der darf diese gelungene Saisoneröffnung nicht versäumen.
Wochenpresse

Regisseurin und Ausstatter bemerkt man nur auf der Flucht nach vorn, sie schütten jeden Konflikt mit unfassbar plumpen Illustrationen zu und machen ‚Judith’ endlich den Garaus, indem sie ein Pathos der falschen Töne forcieren, wie man es selbst am Volkstheater lange nicht erlebt hat.
Oberösterreichische Nachrichten

Das Volkstheater hat das fast Unmögliche gewagt, doch der 150 Jahre alten Tragödie kaum mehr Leben eingehaucht als dem abgeschlagenen Pappmachékopf des Kriegshelden aus Assysrien. Ein Spiel um Kopf und Kragen, das verloren ging.
Die Presse

Was bestehen kann, ist einzig und allein Andrea Eckert. Schön und amazonenhaft, furchterregend, wenn sie alle aufsteigenden Skrupel niederkämpft und Holofernes im Schlaf nach befriedigter Leidenschaft den Kopf abschlägt, berührend, wenn sie erkennt, nicht das eigene Volk, sodern „nur“ die eigene Selbstachtung geettet zu haben.
Tiroler Tageszeitung

Eine nicht restlos gelungene, aber interessante Produktion. Über-Mann und Über-Weib auf den entgegengesetzten Seiten eines Krieges, einander verfallen. um einander zu töten. Zuletzt trnsportiert Judith den Kopf des Holofernes im Sack heim nach Jerusalem, und das scheint Strafe genug für den Kraftlackel wie für das Stück, das den Keim der parodie in sich trägt. Antje Lenkheit löst das icht unklug. Sie vrordnet Komik, wo Ernst nicht zu erreichen wäre. Ingold Wildeauers Holofernes hat eien (brillanten) Grenzgang zwischenHebbel und Nestroy zu bestehen. Dagegen Judith, aufsehenerregend verkörpert von Andrea Eckert: Sie nutzt die grenzenlose Frauenverachtung der von Krieg verformten Gesellschaft.
Kronenzeitung

Antje Lenkheit hat aus Hebbels pathosüberladenem Jugendwerk Schwerpunkte herausgearbeitet. Das Übermaß männlicher Aggression – den sechzehn spielenden Männern sind qulifizierte Leistungen gelungen –, der Gottverlust und der Mensch als sein eigenes Maß.
profil

Produktionen J