1991/92
Haupthaus |
Judith Premiere 15. September 1991 Judith: Andrea Eckert Inszenierung: Antje Lenkeit Was kann heute an „Judith“ – diesem von Nestroy 1849 gnadenlos parodierten Schulbuchklassiker, der bis heute selten gespielt wird – interessieren? Sicher nicht in erster Linie die Schein-Aktualität, die das Stück durch den Golfkrieg gewonnen hat. Wenn auch der schrankenlose, menschenverachtende Machtanspruch des Holofernes, Phantasieprodukt eines deutschen Bürgers des Vormärz, durch die jüngsten Ereignisse wieder eine Art Beglaubigung erfahren hat. Doch daß diese Übermenschen aus den Köpfen in die Wirklichkeit überspringen können, wissen wir spätestens seit Hitler. Antje Lenkeits Inszenierung verschlankt das schwerblütige Werk, erhält zwar den Großteil des Texts, macht diesen aber durch die szenische Gestaltung einsehbar und erträglich. Eine bestandene Mutprobe. Ohne aufdringliche Metaphern, ohne platte Zitate spannt sie den Bogen vom autokratischen Nebukadnezar und seinem hybriden Feldherrn Holofernes zum Faschismus, der Atombombe und den Schrecken des elektronischen Kriegs. Wer den Mut hat, sich mit dem Schmerz auseinanderzusetzen, wer vom Theater nicht angenehme Berieselung erwartet, der darf diese gelungene Saisoneröffnung nicht versäumen. Regisseurin und Ausstatter bemerkt man nur auf der Flucht nach vorn, sie schütten jeden Konflikt mit unfassbar plumpen Illustrationen zu und machen ‚Judith’ endlich den Garaus, indem sie ein Pathos der falschen Töne forcieren, wie man es selbst am Volkstheater lange nicht erlebt hat. Das Volkstheater hat das fast Unmögliche gewagt, doch der 150 Jahre alten Tragödie kaum mehr Leben eingehaucht als dem abgeschlagenen Pappmachékopf des Kriegshelden aus Assysrien. Ein Spiel um Kopf und Kragen, das verloren ging. Was bestehen kann, ist einzig und allein Andrea Eckert. Schön und amazonenhaft, furchterregend, wenn sie alle aufsteigenden Skrupel niederkämpft und Holofernes im Schlaf nach befriedigter Leidenschaft den Kopf abschlägt, berührend, wenn sie erkennt, nicht das eigene Volk, sodern „nur“ die eigene Selbstachtung geettet zu haben. Eine nicht restlos gelungene, aber interessante Produktion. Über-Mann und Über-Weib auf den entgegengesetzten Seiten eines Krieges, einander verfallen. um einander zu töten. Zuletzt trnsportiert Judith den Kopf des Holofernes im Sack heim nach Jerusalem, und das scheint Strafe genug für den Kraftlackel wie für das Stück, das den Keim der parodie in sich trägt. Antje Lenkheit löst das icht unklug. Sie vrordnet Komik, wo Ernst nicht zu erreichen wäre. Ingold Wildeauers Holofernes hat eien (brillanten) Grenzgang zwischenHebbel und Nestroy zu bestehen. Dagegen Judith, aufsehenerregend verkörpert von Andrea Eckert: Sie nutzt die grenzenlose Frauenverachtung der von Krieg verformten Gesellschaft. Antje Lenkheit hat aus Hebbels pathosüberladenem Jugendwerk Schwerpunkte herausgearbeitet. Das Übermaß männlicher Aggression – den sechzehn spielenden Männern sind qulifizierte Leistungen gelungen –, der Gottverlust und der Mensch als sein eigenes Maß. |