Kabale und Liebe
von Friedrich Schiller
Premiere 12. Jänner 2003
Präsident von Walter: Toni Böhm
Ferdinand, sein Sohn, Major: Florian Teichtmeister
Hofmarschall von Kalb: Erwin Ebenbauer
Lady Milford, Favoritin des Fürsten: Anna Franziska Srna
Wurm, Haussekretär des Präsidenten: Christoph Zadra
Miller, Stadtmusikant: Thomas Stolzeti
Dessen Frau: Vera Borek
Luise, dessen Tochter: Chris Pichler
Sophie, Kammerjungfer der Lady: Susanne Holl
Ein Kammerdiener: Heinz Petters
Inszenierung: Martin Schulze
Bühne: Frank-Tilmann Otto
Kostüme: Martina Stoian
Musik: Jan Faszbender
Ein Skandalstück wie bei der Uraufführung im Jahre 1784 ist Schillers Jugenddrama im doppelten Sinn schon sehr lange nicht mehr. Auch die Gesellschaftskritik funktioniert heute nicht mehr so einfach. Dennoch birgt „Kabale und Liebe“ immer noch verborgenen Sprengstoff. Anders als andere große Liebestragödien, etwa „Romeo und Julia“, macht dieses Drama nicht traurig, sondern wütend.
Vielleicht liegt es daran, dass Luises und Ferdinands Tod bar jeder Romantik ist, bar jeder Versöhnlichkeit, bar jeden Sinns sogar; die Gesellschaft, die ihn verursacht hat, wird er nicht ändern. Die beiden sind und bleiben nichts als zwei Opfer mehr; dem letzten Eifersuchtsmord im Lokalteil sind sie näher als den großen Liebenden der Mythen.
Vielleicht liegt es aber auch daran: „Kabale und Liebe“ ist nicht nur, wie der Titel behauptet, ein Stück um Liebe und Intrigen, es ist ein Stück über Macht, über den gnadenlosen Kampf um Macht. Der wird auf allen Ebenen ausgetragen: Neben der Macht der politisch Mächtigen steht im Privaten die Macht der Väter und im Intimen die Macht der Männer. Wo immer Macht in Frage gestellt wird oder scheint, wird sie – auch von den anscheinend Machtlosen – wütend verteidigt bis zur Zerstörung und Selbstzerstörung. Unter der überschaubaren Oberfläche – hie Machtstreben und Gewissenlosigkeit, dort Liebe, Anstand und Idealismus – mit ihren heißen Konflikten verbirgt sich in Schillers Tragödie eine vereiste Welt, in der Macht alle Beziehungen definiert.
Nach mehr als 20 Jahren wieder am Volkstheater Wien.
Pressestimmen
Für die Gegenwart nacherzählt. Mit „Kabale und Liebe“ zeigt sich das Volkstheater von seiner besten Seite und entfacht auf begeisternde Weise jede Menge rebellischer Energie. Das Publikum folgt gebannt der Geschichte. Wahrlich beachtlich, wie die intrigenreiche Handlung lebendig wird, wie sehr es gelingt, die ränkereiche Story mit ihrem Pathos ernst zu nehmen und in zeitgenössisches Gelände zu transportieren. Martin Schulze und sein Team haben im coolen, auf wenige Utensilien reduzeirten Bühnenbild (Frank-Tilmann Otto) jedenfalls gute Arbeit geleistet. Es ist schon lange her, dass im Volkstheater sich die Drehbühne so kreativ bewegt hat. Mit ihr wird Spannung aufgebaut, wird die reichlich vorhandene Emotion erahrbar gemacht. Wenn Lady Milford (Anna Franziska Srna) Luise Miller (Chris Pichler) zu sich bestellt, dann zeigt die Bühne, wie hier zwei Frauen zum Showdown rüsten, wie sie im letzten Gefecht alles in die Waagschale werfen. Oft nimmt die actionbetonte Regie Anleihen bei Spannungsthrillern. Wenn Ferdinand (Florian Teichtmeister) mit zwei Revolvern auf den vermeintlichen Nebenbuhler Hofmarschall Kalb (Erwin Ebenbauer) eindringt, geht es rund. Überzeugend auch die schwierige Szene, als Luise vom aalglatten Sekretär Wurm (Christoph Zadra) genötigt wird, den Brief zu schreiben, der dann dem Hofmarschall ein blaues Auge einträgt. Da wird hart um jeden Zentimeter Terrain gekämpft. „Kabale und Liebe“ erweist sich als Evergreen und zeigt, wie kaltschnäuzig die vereinte Männermeute funktionieren und rebellische Liebe vernichten kann. Vater Miller, der quasselige, sich in seine Sätze verstolpernde Musikus (Thomas Stolzeti) sitzt resigniert, jammernd, mit suchendem Blick im Hintergrund.
Effektvolle, tolle Szenen und zwei Hauptdarsteller, die sich mit aller Kraft ins Gefecht schmeißen. In weiteren Rollen: Toni Böhm, Vera Borek, Heinz Petters.
Alfred Pfoser, Salzburger Nachrichten
Der traurige Klang der Seele. Sonntagabend gelangte Schillers Trauerspiel in einer Neubearbeitung von Martin Schulze zur Premiere. Bühnenbildner Frank-Tilmann Otto schuf eine Atmosphäre, die an das artifizielle Ambiente eines Tonstudios erinnerte und die Akustik der Intrigen und Gefühle unverschleiert ans Tageslicht brachte.
Mit Chris Pichler und Florian Teichtmeister fand man zwei unterschiedliche Charaktere, die das abgrundtiefe Leid der beiden jungen Liebenden glaubhaft verkörperten.
Teichtmeister fand subtile Kanäle für seine Wut, die zwischen Wehmut und Entrüstung schwankte. Chris Pichler wiederum machte deutlich, weshalb Schiller das Drama ursprünglich „Luise Millerin“ nannte. Schließlich gewinnt man im Laufe des Abends den Eindruck, dass sie die Haupterbin des Vermächtnisses der Verzweiflung ist. Was bei Ferdinand wie eine Trotzreaktion wirkt, scheint bei Luise innerlich durchlebt. Eine sehr reife Rollengestaltung, die der Glut des Herzens eine – nur äußerlich – kühle Ummantelung überstreift.
Überzeugend Thomas Stolzeti als ebenso wütender wie trauriger Vater. Groß das Charisma von Toni Böhm, der dem korrupten Präsidenten in jeder Hinsicht bedrohliche Züge verlieh und in Punkto Intrigenspinnerei lediglich in seinem Sekretär (Christoph Zadra) einen schleimigen Mitstreiter fand.
Christine Dobretsberger, Wiener Zeitung
Klar, kalt und traurig Wenn Schulze hier von der Ruchlosigkeit der Mächtigen erzählt, die ohne mit der Wimper zu zucken Menschen ihren Interessen opfern, wird der Abend vor allem spannend, wenn Toni Böhm (Präsident von Walter) auf der Bühne steht: ein großer SChurke, der niemandem etwas vormacht. Er berechnet jede Situation und wird auch überleben, wenn der Vorhang gefallen ist. Brillant. Die Aufführung lebt darüber hinaus von einer makellosen Reihe interessanter Leistungen: Christoph Zadra als Wurm ist der unauffälliuge Beamte, der im Hintergrund die Fäden des bösen Spiels zieht, Erwin Ebenbauer als Kalb der törichte Gesellschaftsmensch, der fugenlos in die „Seitenblicke“ passen würde. Anna Franziska Srna als Milford wird zwischen ihren Emotionen stark hin- und hergerissen. Thomas Stolzeti als Miller zeigt, dass es auch Stärke gibt ohne wild aufzutrumpfen. Aber atemberaubend, vor allem in der Schlussszene, kommt das Liebespaar auf die Zuseher zu. Chris Pichler ist nie hilfloses Opfer, sondern von Anfang an eine Frau, die alles durchschaut und sich nicht verkauft. Florian Teichtmeister vermag Verzweiflung so existentiell über die Rampe zu bringen, dass er atemlose Spannung erzeugt.
Renate Wagner, Neues Volksblatt
Verschlankt und aufgeblasen. Der Kärglichkeit und Kälte der Ausstattung will die Regie mit aktionistischem Pomp gegensteuern. Kaltes Inventar, aber heiße Körperkontakte, wo immer sie sich arrangieren lassen. Es wird gebalgt, umarmt, befingert, geohrfeigt, dass es (k)eine Freude ist.
Den wirklichen Inhaber der Macht zeigt schon Schiller nicht her. Es ist die oberste Funktionärsebene, wo die Machtkämpfe rennen. Da stellt Martin Schulze das moderne Milieu ganz richtig auf die Reihe. Mausgrau ist der (Aufsichtsrats-)Präsident – Toni Böhm. Sein Knecht Wurm (Christoph Zadra) ähnelt in seiner gewissenlosen Dienstbarkeit manch heutigem karrieregeilen Direktionsassistenten. Breitbeinig steht er da und gibt guten Rat zum Bösen. Das verzweifelte Kleinbürgermädchen Luise (Chris Pichler) hat er buchstäblich in der Hand: Kaum stemmt er sie vom Boden hoch, erstarrt sie wie eine Leiche.
Anna Franziska Srna legt ihr teures Kostüm ab, wenn sie dem Hof entflieht – und schlüpft in Jeans. Und behält dabei eine Würde wie aus einer anderen Welt.
Schillers Sprache will sich nur mit Verzögerung den lässigen Managermanieren anpassen. Die Akteure sind gut auf das Sprechen hin trainiert. Chris Pichler scheint die Kraft zu bremsen, die sie dem lauten Wort widmen muss. Florian Teichtmeister, der Junge aus höherem Stand, spricht sanfter – und ist doch ein richtiger Kerl für diese Partie. Thomas Stolzeti schöpft als Musikant Miller die Zwiespältigkeit dieser Vaterrolle aus: Redlich will er sein und dennoch schlau, am angedrohten Selbstmord der Tochter stört ihn vor allem, dass dabei sein Investment an Herz und Geld verloren ginge.
Wird Schillers bürgerliches Trauerspiel gezeigt? Ja. Der Text, die Konstruktion bleiben im Wechselspiel von Zuviel und Zuwenig erhalten. Nach einer halben Stunde können sich Auge und Ohr einstellen auf Martin Schulzes Angebot.
Hans Haider, Die Presse
Mehr Kabale als Liebe. Chris Pichler agiert als Luise wie gefriergetrocknet, seltsam distanziert, als gingen sie die seltsamen Spiele der Mänenrwelt nichts an. Florian Teichtmeister legt den Ferdinand als pubertierenden Schwächling an. Die Schluss-Szene gelingt beiden jedoch sehr eindrucksvoll und berührend. Toni Böhm gestaltet den Präsidenten beeindruckend unsympathisch als kühlen Machtpolitiker, der ohne Zögern den eigenen Sohn seinem Vorteil opfert. Anna Franziska Srna ist eine interessante, vielschichtige Lady Milford. Christoph Zadra gibt einen faszinierend bösartigen, biegsamen Sekretär Wurm. Seine Briefszene mit Luise wird zum Höhepunkt des Abends. Das Premierenpublikum war zufrieden. Sehr freundlicher Applaus für alle Beteiligten.
Guido Tartarotti, Kurier
Machtspiele um Leben und Liebe Der begabte junge Regisseur Martin Schulze, der erst kürzlich das Reinhardt-Seminar absolviert hat, reduziert die große Liebe eines bürgerlichen Mädchens und eines exaltierten jungen Mannes aus reichem Haus, die durch teuflische Intrigen gestört wird, zum gnadenlosen Kampf um Macht, mit der eine Vätergeneration das Glück ihrer Kinder zerstört.
HM, Kronenzeitung
Blassheit und Bravour Martin Schulze konzentiert sich in einem zeitlosen Ambiente auf die Herausarbeitung der Spannungsverhältnisse. Das Ergebnis ist, trotz mancher Einwände, beachtlich.
Frank-Tilmann Otto hat auf der Rundbühne drei Schauplätze spartanisch markiert. In dieser nüchternen Atmosphäre arbeitet der Regisseur aus Schillers Text weniger eine tragische Love-Story heraus als ein Machtspiel, ein zweifaches Emanzipationsdrama, bei dem die Kinder gegen die Eltern rebellieren, und ein Männerstück.
Chris Pichler spielt die Luise stocksteif, mehr ein zartes, trauriges Horvath-Geschöpf denn eine stolze, bürgerliche Mamsell. Wesentlich körperlicher ist da schon Anna Franziska Srna als Lady Milford. Die Tragik einer Frau, die als Hure gilt, in Wahrheit aber eine Liebende und Wohltäterin ist, bringt sie ohne Peinlichkeit über die Rampe.
Brillieren aber dürfen die Männer, die mächtigen Intriganten. Toni Böhm liefert als langhaariger Präsident von Walter seine beste Leistung seit langem. Sein bösartig-brutaler Auftritt im Hause Miller sorgt für Gänsehaut, sein Umgang mit seinem Sohn ist facettenreich. Im Sekretär Wurm hat Herr von Walter seinen Meister gefunden: Christoph Zadra zeichnet ihn als skrupel- und gewissenlosen Ränkeschmied, der seinen Körper ebenso zurechtbiegen kann, wie seine Stimme.
Weitere Ensemblestützen wie Vera Borek, Thomas Stolzeti sowie Heinz Petters tragen zum Gelingen des Abends bei. Viel Applaus und manche Bravos für die Darsteller und das Regie-Team.
Tiroler Tageszeitung, online
Für „Kabale und Liebe“ hat Schulze die Bühne fast leer geräumt; nicht zu Unrecht steht im Programm, diese Liebestragödie sei „bar jeder Romantik“. Ein kalter Machtapparat rollt über die beiden hinweg, die doch in ihren Standesrollen gefangen bleiben. Die eingefrorene Stimmung gelingt je nach schauspielerischem Geschick, wobei Teichtmeister, Zadra, Böhm und Srna starke Momente haben. Schiller pur und direkt.
Karin Cerny, Falter
Eine trostlose Aufführung als gedankenlose Buchstabenübung. Man führt Schiller am locker gefassten Kuhstrick eines jungen, überforderten Regisseurs namens Martin Schulze einfach so spazieren – der Deutschen etwa zweitgrößter Dichter wird vorgeführt als besänftigtes Buckelrindvieh. Schwer zu sagen, was diese schief gestellte und blass gedachte Aufführung überhaupt erzählen will. Ein Theater, das mit Erotik aus dem Burda-Katalog einem wahnwitzigen Stück die Lebenslichter ausbläst. Hier denkt nichts, hier lebt nichts: Hier fällt der süße Schaum des Pathos in sich zusammen. Ein Pfützchen Schiller. Ein Albtraum.
Ronald Pohl, Der Standard