1991/92
Haupthaus |
Kaddisch Nach Scholem Alejchems „Tewje, der Milchmann“ Premiere 9. April 1992 Tewje: Heinz Petters Inszenierung: Rudolf Jusits Ein Mann zieht seinen Karren. Der Karren ist schwer, die Straßen sind dreckig, das Leben scheint nur Mühsal und Plage bereitzuhalten. Dennoch ist Tewje, der augenzwinkernde Schlaumeier und Lebenskünstler aus dem unerschöpflich scheinenden Geschichtenvorrat des großen Dichters Scholem Alejchem, mit grimmigem Mut zur Ironie gesegnet. Mit seinem Gott hält er selbstbewußt Zwiesprache, im Kreis seiner Familie sonnt er sich im Glanz nicht mehr ganz unverfälschten Patriarchentums, und seine haarspalterischen Ansichten erschweren ihm und den Seinen zusätzlich das Leben. Volkstheater total, oft sehr witzig, aber auch sentimental; kitschig und ernsthaft, manchmal pathetisch, insgesamt etwas lang, doch mit dem Effekt, politisches Bewusstsein im Umgang mit dem Fremden, mit Minderheiten zu schärfen. Ein Glücksfall: ein Regisseur der mit Strenge und Konsequenz jeglicher Folklore, jedem Kitsch verweigerte. Tewjes Geschichte gewinnt eine neue Dimension, fern von pittoresker Nostalgie. Die Musik ging niemandem ab, denn die ‚Anatevka’-Version des Volkstheaters hat andere Qualitäten: Stille, Wahrhaftigkeit, starkes Engagement. Das Stück läuft Gefahr, zur Folklore zu verkommen, aber so saftig und kraftvoll, wie es dargestellt ird, war dieser kleine Kosmos wohl wirklich. Rudolf Jusits erweist sich als rarer Regisseur, der gar nicht genug Leute auf der Bühne haben kann. Wo es lebendig zugeht, ist er in seinem Element. Heinz Petters gibt dem Tewje Kraft und Resolutheit. Mit Brigitte Swoboda bildet er ein drastisches Gespann. Ihre Sterbeszene, so karg sie dargeboten wird, ist ein schauspielerisches Kabinettstück. Von den Töchtern tun sich Viktoria Schubert und Franziska Sztavjanik besonders hervor. Roger Murbach, Rudolf Strobl und Manfred Jaksch liefern treffliche Originale, Robert Hauer-Riedl verkörpert eine Obrigkeit, der nicht recht wohl ist in ihrer Haut. Am Rande der Handlung ergibt sich eine Vielzahl von Typen. |