1989/90
Haupthaus |
Krankheit oder Moderne Frauen Österreichische Erstaufführung Premiere 22. April 1990 Emily: Gertrud Roll Inszenierung: Piet Drescher Das Stück „Krankheit oder Moderne Frauen“ zeigt in einer ungewohnt formexperimentellen, aus verschiedenen Sprachschichten montierten Weise die Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeit des Zusammenlebens von Männern und Frauen, aber auch von Frauen untereinander in unserer heutigen Gesellschaft. Dazu benützt es die Mittel der satirischen Sprachentlarvung ebenso wie etwa die Tradition der Schauer- und Vampirgeschichten. Eine nacherzählbare Geschichte gibt es nicht, wohl aber so etwas wie Handlungsblöcke: Im ersten treffen das „fortschrittliche“ Beziehungspaar Dr. Heidkliff und seine zum Vampir gewordene Freundin Emily aufeinander, im zweiten wird das kleinbürgerliche Eheleben des Steuerberaters Dr. Benno Hundekoffer und seiner Frau, der sechsfachen Mutter Carmilla, vorgeführt, die bei einer Geburt in Dr. Heidkliffs Frauenarzt-Ordination stirbt und ebenfalls zum Vampir wird. Dann verbünden sich die beiden nach Blut dürstenden Frauen miteinander, töten Carmillas Kinder, bis auch diese Zweisamkeit in Unfrieden mündet. Die beiden verunsicherten Männer, schon bisher eifrig am Zerstörungswerk an Natur und Beziehung tätig, schließen sich am Ende in einer Art Waffengemeinschaft zusammen, um auf „das Doppelgeschöpf“, die tragisch vereinten weiblichen Wesenarten, zu schießen: Zerstörung ist Männersache. Der Frau, besonders der Künstlerin, bleibt in dieser vom Angriffs- und Destruktionstrieb beherrschten Lebenswelt nur der Vampirismus: Ich sauge Blut, also bin ich (kreativ). Ein Stück, das keinerlei Illusion zuläßt über Freiräume des Willens und der Selbstbestimmung. Gespannte Aufmerksamkeit. Dann: mninutenlange Bravo-Chöre ohne Gegenstimme. So modern kann man sein, ohne sich Zeitströmungen anzubiedern. Ein Theaterabend von Rang. Aggressives, sprachmächtiges, verzweifeltes Frauen-Welttheater, selbstverständlich nicht nach jedermanns Gusto, doch bei der Premiere einhellig beklatscht. Was beim Lesen noch als zuckende Montage aller Menschlichkeitsthemen zwischen Geburt, Geschlechterkampf, Tod und Auferstehung mehr verwirrt als aufregt, bekam auf der Bühne Überzeugungskraft. Piet Drescher präsentiert die formensprengenden, skurrilen szenischen Entwürfe mit äußerster Exaktheit. Und es ist doch kein Abend des bloßen Verstandes. Die Gesten visualisieren die Attacke. Manchmal liest der Kritiker ein Stück und denkt sich dabei: Das bitte lieber nicht! So geschmacklos, so geschwätzig, so schematisch darf Theater nicht sein. Und dann sitzt er am Abend in der Vorstellung und alles ist anders. Die Geschmacklosigkeiten haben Witz, die Schwatzhaftigkeit erweist sich voller funkelnder Pointen und die Schemen sind aus Fleisch und Blut. So geschehen im Volkstheater. In das surreale, blutig-kalte Bühnenbild von Peter Pongratz hat Piet Drescher eine präzise, kabarettistisch pointierte Inszenierung hineingebaut, ohne der Jelinek Grausamkeit, Bosheit und Kälte zu nehmen. Die brav vom Blatt gespielte Aufführung entbehrte des im Text immerhin angelegten Furors, Banalitäten wurden zelebriert und dadurch als solche decouvriert, die gedanklichen Mängel traten schroff in Erscheinung. Und da auch die szenischen Lösungen unoriginell blieben, wurde der ganze Abend zu einer einzigen grossen Langeweile. |