1989/90
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Medea Premiere 2. März 1990 Kreon, König von Theben: Dietrich Hollinderbäumer Inszenierung: Wolfgang Krassnitzer Medea, kolchische Königstochter und Priesterin, hat ihren Vater und ihr Land verraten und Jason, dem Anführer griechischer Invasionstruppen, das „Goldene Vließ“ ausgeliefert. Gemeinsam mit ihm ist sie aus Kolchis geflohen. Nach langer Irrfahrt in Griechenland gelandet, werden Exheld Jason und seine „barbarische“ Gattin in Jasons Heimatstadt Jolkos des Mordes am König bezichtigt und in die Flucht getrieben. Bei Jasons altem Gastfreund, König Kreon von Korinth, bitten sie um Asyl. Der nimmt die gefürchtete Zauberin nur ungern auf, und als ein Abgesandter des Höchstgerichts erscheint und über Jason und Medea den Bannfluch ausspricht, ist das für Kreon willkommener Anlaß, Medea auszuweisen. Jason dagegen bietet er die Hand seiner Tochter Kreusa an. Samt seinen Söhnen soll er in Korinth bleiben. Jason ergreift gierig die Chance, sich wieder in die griechische Gesellschaft einzugliedern und weigert sich, mit Medea weiter zu ziehen. Nur daß eines ihrer Kinder sie begleitet, gesteht er ihr zu. Doch auch die Kinder entscheiden sich, in Korinth zu bleiben. Von allen verlassen und gedemütigt, besinnt sich Medea ihrer Macht und tötet die Nebenbuhlerin und ihre eigenen Kinder. In einer „wilden, einsamen Gegend“ begegnen sich Jason und Medea zum letzten Mal. Die einzige, die sich mit ihm auseinandersetzt, ist Emmy Werner. Und hier hatte sie wieder einmal das dringend benötigte Glück: Wolfgang Krassnitzer lieferte ihr eine Inszenierung der „Medea“, die der Meisterschaft des so gröblich unterschätzten Grillparzer gerecht wurde. „Medea“ spielt in einer Welt fragmentarischer Andeutungen – die herumliegenden Koffer deuten darauf hin, wie heimatlos die Fremde aus Kolchis herumzieht, der große Flügel in der Bühnenmitte wird zum Symbol einer geordneten Bürgerwelt, die sie verstößt. In aussagestarken Alltagskostümen spitzt der Regisseur die Tragödie voll zu, macht bestes psychologisches Theater, wobei es gelingt, die Sprache absolut selbstverständlich und in keiner Weise verfremdet zu behandeln. Jede Figur wird komplett, in all ihren Seelenregungen verständlich. Grillparzer war ein Meister der Dialektik. Und die Aufführung realisiert gleicherweise die Tragödie Medeas wie auch all die grundsätzlichen Fragen über Außenseitertum und Akzeptanz, die sich daran knüpfen. Hertha Schell ist weder die schöne noch die erbarmungswürdige Wilde, sondern vieles auf einmal, immer – auch in der demütigen Geste – eine Kämpferin, eine eindrucksvolle Persönlichkeit. Klaus Fischer spielt gleicherweise Jasons Schwäche wie auch den verzweifelten Versuch, sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Meisterlich Isabel Weicken, ein blondes Bild weiblicher Lieblichkeit, wie es bürgerlichen Idealen entspricht. Und außerordentlich die Auffassung des Kreon, den Dietrich Hollinderbäumer als (österreichischen) höheren Beamten par excellence gestaltet. Julia Gschnitzer ließ es sich rechtens nicht nehmen, Medeas Amme viel von urtümlicher Dämonie zu geben. Das Volkstheater hat einen Grillparzer-Abend, der sich sehen lassen kann.
Die Inszenierung arbeitet das Zeitlose der „Medea“ heraus, den pathologischen Prozeß, der im Trennungskonflikt zum Kindermord führen kann. Die Außenseiterstellung der Frau in der Fremde, der der sie verlassende Mann den Boden unter den Füßen wegzieht. Und die miese Rolle des aufs bessere Pferd setzenden Opportunisten: Jason, wie Klaus Fischer ihn spielt, könnte auf dem Sprung sein, Schwiegersohn eines Ladenkettenbesitzers – so spielt Dietrich Hollinderbäumer den König Kreon – zu werden. Hertha Schell spielt die Medea überzeugend, Julia Gschnitzer die Amme ergreifend, Isabel Weicken die Kreusa glaubhaft. Die Aufführung rehabilitiert, bei allen Schwächen, Grillparzer. Sein Stück trägt, seine oft gescholtene Sprache ist sprechbar, die Verse lassen in Prosa sich auflösen, und was ihre Aussagekraft betrifft, so hat sie klassisches Format. Krassnitzers Interpretation ist allzu vordergründig. Daß die Darsteller in heutigem Kostüm auftreten ist akzeptabel, daß die Bühne mit einem Klavier und Koffern angeräumt ist, grenzt an Schmockerei. Jason ist jeder Zoll kein Held, in seiner Schwäche gerät er leicht ins Brüllen. Hertha Schell ist der Titelrolle gewachsen. Sie hat die Statur, sie hat das Format, ihre Wildheit wächst aus der Gekränktheit, ihre Rache ist Erleichterung. Ihretwegen ist der Abend nicht verloren. Isabel Weicken ist, leichthin spielend, die helle Kontrastfigur, eine Griechin, in der Grillparzer die gefällige Wienerin portraitiert hat. Als Amme lässt Julia Gschnitzer Usprünglichkeit ahnen, sie kommt tatsächlich aus einem anderen Kulturkreis. Grillparzer im Strudel der Probleme – zwischen Romantik und Bürgerstolz, Flüchtlingsfragen, Matriarchat und Patriarchat. Während Dietrich Hollinderbäumer und Isabel Weicken die Spielregeln bürgerlicher Gesellschaft präzise in Szene setzen, brechen in den Hauptrollen, deren Vielschichtigkeit weder Hertha Schell noch Klaus Fischer gewachsen sind, alle ungereimten Widersprüche auf. Dem männlichen Panoptikum stehen weitaus besser konturierte Frauenfiguren gegenüber: Das gilt schon für die Kreusa der Isabel Weicken, Julia Gschnitzer geht als Amme ebenfalls unverwüslich durch die Inszenierung. Und Hertha Schell hat als Medea bemerkenswerte Momente psychologischer Reflexion. Durch solche Ärgerlichkeiten wird ein großes, gescheites, mit hohem psychologischen Scharfsinn gestaltetes Drama, mit dessen Sprache Krassnitzer im übrigen erfreulich milde umgeht, zum Tummelplatz postmodischer Regieeinfälle und daher weit unter seinem Wert verschleudert. |