2004/05
Haupthaus |
Mephisto Premiere 10. Oktober 2004
Klaus Mann: Sebastian Herrmann Inszenierung und Kostüme: Torsten Fischer Ein Hamburger Theater, November 1923. Man feiert die Niederschlagung von Hitlers Putschversuch in München. Doch die politische Zeitenwende kündigt sich an. Wir erleben die Schicksale von rund zwanzig Personen aus dem Umkreis des großen Schauspielers Hendrik Höfgen in den folgenden dreizehn Jahre mit. Einer von ihnen macht Karriere: Hendrik Höfgen geht einen Teufelspakt ein und verrät die humanen Werte, für die er einst eintrat. Mit Mitteln der Revue, des Kabaretts und der Travestie führt das Stück von Probenszenen der revolutionären Hamburger Kleinkunstbühne „Sturmvogel“ über die Einstudierung des homoerotischen Dramas „Anja und Ester“, Beletage- und Familienszenen aus dem Umkreis des erfolgreichen Dramatikers Theophil Sarder und des Großschriftstellers Thomas Brückner, die Rekrutierung junger Nazis aus dem Stricher- und Kleinganovenmilieu und die Spaltung des Darstellerensembles in Nazis und Genossen bis zu dessen endgültiger Auflösung im Härtetest der NS-Diktatur. Was folgt, spiegelt deutsche Wirklichkeit jener Jahre wider: Verrat, Verfolgung, Vertreibung, Verzweiflung bis zum Selbstmord – oder Anpassung, Unterwerfung, Gesichtsverlust bis zur Kenntlichkeit. Klaus Manns „Mephisto. Roman einer Karriere“, dessen Romangestalt über ihr historisches Vorbild weit hinausgeht, erschien erstmals 1936 im Exil. Ariane Mnouchkines Bühnenfassung, die den Roman um die biographischen Bedingungen seiner Entstehung erweiterte, wurde 1979 in Paris uraufgeführt. Die Figuren des Stückes haben einen dreifachen Ursprung: Den des Romans, den der Historie und den der Eingebung Ariane Mnouchkines, die mit einigen – gegenüber Klaus Manns Roman veränderten – Namen an bestimmte Künstlerinnen und Künstler erinnert:
Torsten Fischers stimmige, atmosphärisch dichte Inszenierung ist zwischen Lachen und Weinen angesiedelt. Fischer wirft sehr kompakte, kurze Schlaglichter auf die Menschen und führt seine Darsteller oft zu Höchstleistungen. Auch das Element der Parodie setzt er in einer klugen Dosierung ein. Das Spiel mit dem Theater funktioniert bestens. In diesem stimmigen Rahmen also bewegt sich Hendrik Höfgen, den Martin Reinke als selbstgefälligen, feigen Narziss gibt. Brillant. Aber auch andere Mitspieler brillieren: Nicole Heesters als letztlich den Freitod wählende Schauspielerin hat intensive, berührende Momente. Wie auch Toni Böhm als ihr Gatte und Theaterdirektor. Beider Abgang bleibt im Gedächtnis. Glaubhaft agiert auch Sebastian Herrmann als das Alter Ego von Klaus Mann; Katja Bellinghausen gibt solide seine Schwester. Schöne Auftritte haben Tonio Arango (glatt und perfid als NS-Intendant), Isabel Weicken (nobel, abgeklärt) sowie Christoph Zadra als betrogener Hitler-Fan. Thomas Stolzeti ist ein sicherer Rückhalt; Günter Franzmeier ein Tiraden schwingender, verblendeter Kommunist. Dirk Nocker und Imke Büchel füllen ihre Rollen sicher aus. Aufhorchen lässt noch Raphael Schuchter, der einer Nebenfigur sehr viel an Präsenz verleiht. Ein großer Triumph des Ensembles, ein gelungener, wichtiger Abend.
Ein spannend-aufrüttelnder Abend mit brillanten Schauspielern. Sehenswert! In Martin Reinke hat Torsten Fischer einen nervösen, naiv-trotzigen Mimen gefunden, der scheinbar nie erwachsen wird. Reinke imponiert mit der Leichtigkeit des Entzückten, der sich mit schnarrender Stimme von den Rachegeistern der ersten Opfer des Regimes, von Freunden abwendet. Eine perfekte Studie! Wem der Absprung ins Exil nicht gelingt, der sucht den Freitod: Nicole Heesters und Toni Böhm zeigen das in berührender und doch ungekünstelter Weise. Isabel Weicken und Günter Franzmeier, Katja Bellinghausen und Anna Franziska Srna, Christoph Zadra und Dirk Nocker, Sebastian Herrmann und Thomas Stolzeti … Das Konträre zieht sich da in lebendiger Art an. Jubel! Trotz Mischung unterschiedlichster Stile – drastisch karikierte Kabarettszenen, satirisch überzeichnete, grelle Typen, tänzerisch choreographierte Szenen, bewusst ausgespielte Theatralik, dann wieder berührend stille Dialoge – gelingt Fischer ein in sich geschlossener, mitreißender, die Problemstellung punktgenau aufdeckender Abend. Martin Reinke zeigt Hendrik Höfgen von Beginn an als begnadeten Selbstdarsteller, den nichts anderes interessiert als die wirkungsvolle Inszenierung des eigenen Egos. Eine beachtliche Ensembleleistung demonstriert deutlich und eindrucksvoll, dass es nicht um eine persönliche Demontage, sondern um Grundsatzfragen künstlerischer und politischer Verantwortlichkeit geht. Das muss Torsten Fischer erst jemand einmal nachmachen. Mehr als zweieinhalb Stunden dauert seine Adaption von Mnouchkines Bühnenstück, und mit jeder Minute wurde es spannender und intensiver. Martin Reinke gibt den großen Schauspieler als das Ekel, das sich nach Belieben wendet und reckt. Das Ensemble wirkt an diesem Abend stark und konzentriert: selbst aus kleinen Auftritten werden große Momente. Höfgens Leben ist eine Endlos-Show: Martin Reinke zeigt dies subtil schon in den ersten ausladenden Gesten und den pathetisch aufgeladenen Worten. Sein Höfgen wirkt immer eine Spur zu theatralisch, um ihm die kommunistischen Ansichten, die künstlerischen Ideale, die Liebesschwüre glauben zu können. Virtuos schafft Martin Reinke von Anfang an den Eindruck, dieser Mann tue stets nur so „als ob“ – nicht nur auf der Bühne. Wer heute zum „Mephisto“ greift, fasst also interessanten, aber gebrauchten Stoff an – und muss sich, angesichts von Zeitgeschichte-Aufarbeitung im großen Stil von TV-Doku-Serien bis zur Saga der Familie Mann, Besonderes einfallen lassen. Das Volkstheater wählte den Mnouchkine-Text, der auf den ersten Blick gut geeignet scheint für ein Ensemble mit einer gewissen altmodischen Agitprop-Tradition. Nur: Was bei Mnouchkine gallisch temperamentvoll, witzig wirkt, kommt im VT bieder, behäbiger daher: Zeitgeschichte mit dem Zeigestab. |