2004/05
Haupthaus

Mephisto
von Ariane Mnouchkine nach dem Roman von Klaus Mann

Premiere 10. Oktober 2004

Klaus Mann: Sebastian Herrmann
Thomas Brückner: Erwin Ebenbauer
Erika Brückner: Katja Bellinghausen
Sebastian Brückner: Sebastian Herrmann
Nicoletta von Niebuhr: Anna Franziska Srna
Theophil Sarder: Thomas Stolzeti
Hendrik Höfgen: Martin Reinke
Juliette: Tonio Arango
Carola Martin: Isabel Weicken
Magnus Gottschalk: Toni Böhm
Myriam Horowitz: Nicole Heesters
Hans Niklas: Christoph Zadra
Otto Ulrich: Günter Franzmeier
Alex: Dirk Nocker
Theresa von Herzfeld: Imke Büchel
Fau Efeu: Doris Weiner
Herr Knurr: Uwe Falkenbach
Lorenz: Rafael Schuchter
Hans Josthinkel: Tonio Arango
Evelyne: Sabine Herget
Ludwig: Alexander Lhotzky

Inszenierung und Kostüme: Torsten Fischer
Bühne: Herbert Schäfer
Lichtdesign: Hartmut Litzinger
Musikalische Einstudierung: Frizz Fischer
Choreographische Mitarbeit: Daniela Heißl

Ein Hamburger Theater, November 1923. Man feiert die Niederschlagung von Hitlers Putschversuch in München. Doch die politische Zeitenwende kündigt sich an. Wir erleben die Schicksale von rund zwanzig Personen aus dem Umkreis des großen Schauspielers Hendrik Höfgen in den folgenden dreizehn Jahre mit. Einer von ihnen macht Karriere: Hendrik Höfgen geht einen Teufelspakt ein und verrät die humanen Werte, für die er einst eintrat. Mit Mitteln der Revue, des Kabaretts und der Travestie führt das Stück von Probenszenen der revolutionären Hamburger Kleinkunstbühne „Sturmvogel“ über die Einstudierung des homoerotischen Dramas „Anja und Ester“, Beletage- und Familienszenen aus dem Umkreis des erfolgreichen Dramatikers Theophil Sarder und des Großschriftstellers Thomas Brückner, die Rekrutierung junger Nazis aus dem Stricher- und Kleinganovenmilieu und die Spaltung des Darstellerensembles in Nazis und Genossen bis zu dessen endgültiger Auflösung im Härtetest der NS-Diktatur. Was folgt, spiegelt deutsche Wirklichkeit jener Jahre wider: Verrat, Verfolgung, Vertreibung, Verzweiflung bis zum Selbstmord – oder Anpassung, Unterwerfung, Gesichtsverlust bis zur Kenntlichkeit.
„Mephisto“ stellt eine politische Chronik der unheilvoll zerrissenen zwanziger und dreißiger Jahre im Deutschland des 20. Jahrhunderts aus der Sicht einer ebenso zerrissenen Künstlerschar dar. Zudem ist es ein Gleichnis des haltlosen Opportunismus, abgebildet am Beispiel eines gefeierten Schauspielers, der es in den politisch gefahrvollsten Zeiten seines Landes vorzog, Charaktere auf der Bühne statt Charakter im Leben zu zeigen.

Klaus Manns „Mephisto. Roman einer Karriere“, dessen Romangestalt über ihr historisches Vorbild weit hinausgeht, erschien erstmals 1936 im Exil. Ariane Mnouchkines Bühnenfassung, die den Roman um die biographischen Bedingungen seiner Entstehung erweiterte, wurde 1979 in Paris uraufgeführt.

Die Figuren des Stückes haben einen dreifachen Ursprung: Den des Romans, den der Historie und den der Eingebung Ariane Mnouchkines, die mit einigen – gegenüber Klaus Manns Roman veränderten – Namen an bestimmte Künstlerinnen und Künstler erinnert:
Sebastian, Erika, Thomas Brückner sind nahe an den historischen Personen Klaus, Erika und Thomas Mann.
Hendrik Höfgen trägt Züge von Gustaf Gründgens.
Otto Ulrich ist dem realen Schauspieler Hans Otto sehr nahe.
Carola Martin steht für Carola Neher, deren Ende in der Sowjetunion für das Exil von Elisabeth Bergner steht.
Nicoletta von Niebuhr erinnert an Pamela Wedekind.
Theophil Sarder ähnelt dem Dramatiker Carl Sternheim.
Hans Josthinkel verdankt seinen Namen Hans Johst, Nazi-Schriftsteller und Generalintendant, sowie Hans Hinkel, hoher Amtsträger in dem ,Kampfbund für deutsche Kultur‘.
Magnus Gottschalk erhielt den Nachnamen von einem jungen Schauspieler, der ebenfalls in den Tod ging, und den Vornamen von dem Pianisten der „Pfeffermühle“, dem politischen Kabarett Erika Manns in Zürich.
Therese von Herzfeld erinnert an Therese Giehse, die ebenfalls dort mitwirkte.
„Sturmvogel“, die kleine Hamburger Bühne (in der die politischen Kabarettszenen des Abends spielen), ist eine Assoziation zu dieser „Pfeffermühle“.

 
Pressestimmen

Torsten Fischers stimmige, atmosphärisch dichte Inszenierung ist zwischen Lachen und Weinen angesiedelt. Fischer wirft sehr kompakte, kurze Schlaglichter auf die Menschen und führt seine Darsteller oft zu Höchstleistungen. Auch das Element der Parodie setzt er in einer klugen Dosierung ein. Das Spiel mit dem Theater funktioniert bestens. In diesem stimmigen Rahmen also bewegt sich Hendrik Höfgen, den Martin Reinke als selbstgefälligen, feigen Narziss gibt. Brillant. Aber auch andere Mitspieler brillieren: Nicole Heesters als letztlich den Freitod wählende Schauspielerin hat intensive, berührende Momente. Wie auch Toni Böhm als ihr Gatte und Theaterdirektor. Beider Abgang bleibt im Gedächtnis. Glaubhaft agiert auch Sebastian Herrmann als das Alter Ego von Klaus Mann; Katja Bellinghausen gibt solide seine Schwester. Schöne Auftritte haben Tonio Arango (glatt und perfid als NS-Intendant), Isabel Weicken (nobel, abgeklärt) sowie Christoph Zadra als betrogener Hitler-Fan. Thomas Stolzeti ist ein sicherer Rückhalt; Günter Franzmeier ein Tiraden schwingender, verblendeter Kommunist. Dirk Nocker und Imke Büchel füllen ihre Rollen sicher aus. Aufhorchen lässt noch Raphael Schuchter, der einer Nebenfigur sehr viel an Präsenz verleiht. Ein großer Triumph des Ensembles, ein gelungener, wichtiger Abend.
Kurier

Ein spannend-aufrüttelnder Abend mit brillanten Schauspielern. Sehenswert! In Martin Reinke hat Torsten Fischer einen nervösen, naiv-trotzigen Mimen gefunden, der scheinbar nie erwachsen wird. Reinke imponiert mit der Leichtigkeit des Entzückten, der sich mit schnarrender Stimme von den Rachegeistern der ersten Opfer des Regimes, von Freunden abwendet. Eine perfekte Studie! Wem der Absprung ins Exil nicht gelingt, der sucht den Freitod: Nicole Heesters und Toni Böhm zeigen das in berührender und doch ungekünstelter Weise. Isabel Weicken und Günter Franzmeier, Katja Bellinghausen und Anna Franziska Srna, Christoph Zadra und Dirk Nocker, Sebastian Herrmann und Thomas Stolzeti … Das Konträre zieht sich da in lebendiger Art an. Jubel!
Kronenzeitung

Trotz Mischung unterschiedlichster Stile – drastisch karikierte Kabarettszenen, satirisch überzeichnete, grelle Typen, tänzerisch choreographierte Szenen, bewusst ausgespielte Theatralik, dann wieder berührend stille Dialoge – gelingt Fischer ein in sich geschlossener, mitreißender, die Problemstellung punktgenau aufdeckender Abend. Martin Reinke zeigt Hendrik Höfgen von Beginn an als begnadeten Selbstdarsteller, den nichts anderes interessiert als die wirkungsvolle Inszenierung des eigenen Egos. Eine beachtliche Ensembleleistung demonstriert deutlich und eindrucksvoll, dass es nicht um eine persönliche Demontage, sondern um Grundsatzfragen künstlerischer und politischer Verantwortlichkeit geht.
Wiener Zeitung

Das muss Torsten Fischer erst jemand einmal nachmachen. Mehr als zweieinhalb Stunden dauert seine Adaption von Mnouchkines Bühnenstück, und mit jeder Minute wurde es spannender und intensiver. Martin Reinke gibt den großen Schauspieler als das Ekel, das sich nach Belieben wendet und reckt. Das Ensemble wirkt an diesem Abend stark und konzentriert: selbst aus kleinen Auftritten werden große Momente.
Salzburger Nachrichten

Höfgens Leben ist eine Endlos-Show: Martin Reinke zeigt dies subtil schon in den ersten ausladenden Gesten und den pathetisch aufgeladenen Worten. Sein Höfgen wirkt immer eine Spur zu theatralisch, um ihm die kommunistischen Ansichten, die künstlerischen Ideale, die Liebesschwüre glauben zu können. Virtuos schafft Martin Reinke von Anfang an den Eindruck, dieser Mann tue stets nur so „als ob“ – nicht nur auf der Bühne.
Kölner Stadt-Anzeiger

Wer heute zum „Mephisto“ greift, fasst also interessanten, aber gebrauchten Stoff an – und muss sich, angesichts von Zeitgeschichte-Aufarbeitung im großen Stil von TV-Doku-Serien bis zur Saga der Familie Mann, Besonderes einfallen lassen. Das Volkstheater wählte den Mnouchkine-Text, der auf den ersten Blick gut geeignet scheint für ein Ensemble mit einer gewissen altmodischen Agitprop-Tradition. Nur: Was bei Mnouchkine gallisch temperamentvoll, witzig wirkt, kommt im VT bieder, behäbiger daher: Zeitgeschichte mit dem Zeigestab.
Torsten Fischer setzt einen Bilder-Bogen ins schwarze Bühnenbild (Herbert Schäfer) aus hohen Treppen, die den Akteuren beträchtliche Kondition abverlangen: Rauf, runter, rauf, runter, da kommt man ins Schwitzen. Vor allem Protagonist Martin Reinke, der als Hendrik Höfgen eine peinliche Gründgens-Parodie aufführt, ohne den Funken eines Charmes vom Original. Vielleicht wurde ihm das auch verboten, denn er darf ja keine Sekunde den gehetzten Karrieristen vergessen lassen.
lebhaft-konzentrierte Spiel des großen Ensembles, das hier nur auswahlweise erwähnt werden kann. Da zeigt etwa Erwin Ebenbauer einen entzückenden, in seine Kinder verliebten Thomas Brückner alias Thomas Mann; da führen Christoph Zadra als Nazi-Schauspieler Hans Miklas und Reinke-Höfgen eine typische Proben-Karambolage vor; da gibt es eine recht köstlich-bizarre Szene aus Erika Manns „Pfeffermühle“-Kabarett; da verabschieden sich berührend Nicole Heesters und Toni Böhm als altes Theaterpaar vom Leben.
Die Presse

Produktionen M