1990/91
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Die Moral der Frau Dulska Premiere 1. Februar 1991
Frau Dulska: Hilde Sochor Inszenierung: Peter Wolsdorff In Polen spricht man von der „Moral der Frau Dulska“ , wenn man Scheinheiligkeit und Doppelmoral meint: so populär ist das Stück aus der Jahrhundertwende. Erzählt wird die Geschichte eienr herrschsüchtigen Frau, die bereit ist, dem „guten Ruf“ jedes Opfer zu bringen. „Die Moral der Frau Dulska“ wurde zwar, wie man aus dem Programmheft erfährt, sogar ins Chinesische übersetzt, in Wien scheint man sie seit der Erstaufführung (1912) total vergessen zu haben. Das ist erstaunlich, weil es sich nicht nur um eine jener handfesten Komödien handelt, die mit handfester Kritik an einer ausschließlich finanziell interessierten Mittelstandskaste mehr bieten als bloßes Amüsement. Erstaunlich auch, weil die Titelrolle eine jener Traumpartien ist, die alle weiblichen Publikumslieblinge einander in den letzten 60 Jahren aus den Händen hätten reißen müssen. Für die Außenbezirkstournee inszenierte Peter Wolsdorff solid und in flottem Tempo. Die Bombenrolle der Frau Dulska spielt Hilde Sochor mit vehementer Komik aber keineswegs bloß als Schreckschraube, sondern auch als eine Frau, die das Produkt ihrer Umgebung und Erziehung ist. Als Schwägerin liefert Dany Sigel eine gestochen saubere Figur ab. Gerhard Steffen schlurft höchst vergnüglich als Ehemann durch die Handlung, der nur einen einzigen Satz sagt, aber um so präsenter ist. Die jungen Leute sind nicht nur gut geführt sondern zeigen auch ein beachtliches Maß an Begabung – sie heißen Andreas Schlager, Eva Spreitzhofer, Martina Schroll (den Namen wird man sich besonders gut merken müssen) und Alexandra Braun. Ein Stückfund, der sich lohnte und eine erfolgreiche Aufführung, die in der adäquaten Ausstattung von Tibor Vartok und Andrea Bernd dem Markennamen „Volkstheater“ vollauf gerecht wird.
Zur Jahrhundertwende wurde die Botschaft, daß man sich mit Geld alles richten kann, satirisch aufgefaßt. Heute wirkt die Komödie wie abgestandener Boulevard. Die Geschichte gerät in den Bereich der Trivialliteratur. Durch Hilde Sochor wird die Inszenierung von Peter Wolsdorff zumindest von melancholischer Süße befreit. Denn Sochor ist eine handfeste Karikatur des Gutbürgerlichen. Immerhin bietet diese Komödie aus der Welt des Bürgertums der Jahrhundertwende, etwa auf den Breitengraden Sternheims und Ludwig Thomas zu orten, eine verlockende Hauptrolle in perfekter Passform für Hilde Sochor, und rund um sie legte Peter Wolsdorff seine Inszenierung an. Mit subtilem Gefühl für die Abstimmung zwischen Ironie und Komik und einem gewissen altösterreichischen Flair. Dazu passen auch der von Tibor Vartok liebevoll eingerichtete mittelständische Repräsentationsraum und Andrea Bernds hübsche Kostüme. Für Turbulenzen sorgen zwei halbwüchsige Schwestern (Eva Spreitzhofer, Martina Schroll) Das Dienstmädel hat ein „Malheur“, Alexandra Braun spielt diese Verführte, ein stilles, gefügiges menschliches Haustier. Aus der Episodenfigur einer unliebsam gewordenen Mieterin macht Elisabeth Gassner die Skizze eines ganzen Frauenschicksals. Farben des Volksstückhaften setzt Brigitte Slezak. Gerhard Steffen hat nur einen einzigen Satz, doch den würde er gar nicht brauchen. Was er sagen will, gibt er deutlich genug zu verstehen. Als ob er sich selbst mit spitzer Feder hinzeichnete. |