Mozarts Vision
von Franzobel
Uraufführung
Auftragsstück des Volkstheaters
Premiere 12. November 2003
Wolfgang Amadeus Mozart: Julia Cencig
Leopold Mozart: Rainer Frieb
Nannerl Mozart: Xaver Hutter
Pimpes, Mozarts Hund/Magdalena Hofdemel: Chris Pichler
Konstanze Weber: Anna Franziska Srna
Cäcilia Weber: Vera Borek
Franz Hofdemel/Hieronymus Colloredo: Hannes Gastinger
Franz Xaver Süßmayr: Alexander Lhotzky
Inszenieung: Alexander Kubelka
Bühne: Helmut Stürmer
Kostüme: Birgit Hutter
Musik: Michael Renath
Zitat: „Ich aber habe eine Vision, ich sehe Symphonien, Opern, Quadrillen, die Charts. Ich werde die Salzach komponieren.“
Mozart aus anderer Sicht. Im Gegensatz zu Shaffers Mozart-Stück, das effektvoll auf der Basis historischer Fakten spekuliert, assoziiert Franzobel frei: extreme Bilder zur (außer-)gewöhnlichen Situation des Künstlers und Menschen namens Mozart. Er nähert sich der Legende unbefangen heutig und lässt den Irrwitz sprühen.
In erstaunlich kurzer Zeit hat sich der sprachmächtige und sprachverliebte Ingeborg-Bachmann-Preisträger Franzobel zu einem der meistgespielten österreichischen Dramatiker entwickelt. Seine Stücke zeichnen sich durch ihren eigenwilligen Zugriff und drastische Übersteigerungen aus.
Pressestimmen
Ein tolles Stück Sprache. "Mozarts Vision" von Franzobel im Volkstheater: Eine Sternstunde.
Acht Darsteller unfassbar erdenfern und zugleich bohrend präsent, ein Sprechstakkato, das den Zuhörer bis zur Erschöpfung okkupiert, derweil sein Auge mit bunten Kasperliaden verwöhnt wird. Franzobel schrieb das Stück im Auftrag des Volkstheaters. In Alexander Kubelka fand er einen kongenialen Regisseur – einen der mit starker Pranke des Dichters Erfindungsstrom nicht bändigt, sondern aufpeitscht: Lokalposse und Welttheater, Bildungsgut und Treppenwitz, Sprachbilderperlenspiel und Zote, zeitlose Conditio humana und galoppierendes Endspiel.
Oft weht Trauer, Melancholie aus den mit mal vulgären, mal filigranen Metaphern vollgepumpten Sätzen. 100 Minuten rattert Franzobels Sprachmaschine pausenlos. Franzobel zieht die Linie des österreichischen Sprachwitztheaters weiter. Alexander Kubelka und das ganze Ensemble fuhren mit vollem Tempo mit. Wie sich Frieb verbiegt als Herr Vater im Schlafrock, wie Anna Franziska Srna girrt und Vera Borek die Langeweile weiblicher Allwissenheit zur Schau stellt: wunderbare Momente. Auch Xaver Hutters verzweifeltes Verlangen nach einer Geschlechtsumwandlung, auch Gastingers unheimliche Studie eines Halbirren in der Maske kleinbürgerlicher Anständigkeit. Eine tolle Darsteller-Partie, und sogar an den Grenzen des guten Geschmacks nicht schmierig, agitatorisch.
H. Haider, Die Presse
Es ist bis jetzt die weitaus beste Produktion der Stadt in diesem Herbst: musikalisch, genau gearbeitet, voll Witz und Tempo. Darüber hinaus gelingt, was selten glückt: hinter dem Schwank, ganz nebenbei. die Tragödie anzudeuten. Ohne Zweifel das Verdienst des Regisseurs Alexander Kubelka. Die fulminante Ensembleleistung ist der schlüssigste Beweis für treffliche Inszenierungsarbeit: Hannes Gastinger als schwuler Fürsterzbischof und Steurfahnder, Xaver Hutters zarte Mänenrseele in Nannerls recht maskulinem Damenkörper, der weinerliche Kleinbürger Leopold Mozart von Rainer Frieb. In der Titelrolle macht Julia Cencig ausgezeichnete Figur: das Genie als Struwelpeter, der unanständige Daumenlutscher.
U. Weinzierl, Die Welt
… tut es gut, heute, zwei Jahre vor dem großen Mozart-Schlachtfest, einen kleinen, kindischen, ewas ängstlichen Schrat zu haben, der bei jeder Gelegenheit auf einen ehernen Architekturtisch hinaufhüpft, als schrecke er sich vor den zähnefletschenden Riesenmäusen seiner wunderlichen Einbildungskraft: den skateboardkompatiblen Franzobel-Mozart (Julia Cencig) im Wiener Volkstheater.
Denn selten … war ein Theatertext des schwarzpädagogischen Wortverdrehungskünstlers Franzobel so prall und satt und sehnsuchtsschwer angewidert: von der Kulturindustrie und ihrem absehbar schmäler werdenden Mythenvorrat, den sie an die allgegenwärtige Spaßkultur gegen Mindestangebot auch noch zynisch verhökert.
Alles stimmt in Franzobels nervöser Umschrift von Amadeus’ Leben: das verstörende Provinzeinerlei im fürsterzbischöflichen Salzburg, wo der raunzende Vater (Rainer Frieb) Buchteln frisst und Voralpen-Wörter mampft. Die beschämende Zurichtung pubertierender Wunderkinder, die sich in Gestalt der fistelnden Schwester Nannerl (Xaver Hutter) in einen apollinischen Jünglingskörper hinübersehnen, oder aber keineswegs den schnellen, billigen Sex haben wollen, den ihnen eine missgünstige Historiographie nachsagt. Weshalb die spätere mutmaßliche Mozart-Geliebte (Chris Pichler) auch als allerliebster Königinnenpudel das entgeisterte Komponistenkind flauschweich beschnuppert.
Der bare Unsinn kleidet sich in Alexander Kubelkas wunderbar entgeisterter Regie in Stangenwäsche eines auseinander brechenden Bürgertums. Während aus dem Schnürboden eine Kulisse mit angedeutetem Barockstuck herabhängt (Bühne Helmut Stürmer im Verein mit dem Regisseur), tummeln sich zu ebener Erd' die Zicken einer Neureichen-Kolonie – von des Genius Gnaden.
Nach ihrer famosen Lulu bricht Julia Cencig endgültig auf ins Fach der Voralpengeister.
„Zwöschpenflöck“ oder hochbekömmliche Theaternahrung? Unbedingt Letzeres.
R. Pohl, Der Standard
Wenn das unbedingte Berühmtwerdenwollen zu einem Breitensport wird, möchten wir zu gerne sehen, was solchen Ehrgeiz antreibt. Ob Mozart die richtige Projektionsfigur ist, sei dahingestellt. Mozart wird es aushalten, dass er wieder einmal herhalten muss als Popstar für ein Volkstheater, das ganz wie eine bunte Illustrierte genüsslich zeigen möchte, wie es hinter Karrierekulissen zugeht.
In der Wiener Mozart-Wohnung, im zweiten Akt, verdichten sich die losen und skurrilen Sittenbilder, die sich der Ereignisse aus Mozarts Leben ziemlich frei bedienen, dann zu einer auch melancholischen Erzählung.
Das sensible, hochfahrende Gankerl-Genie wurde temperamentvoll von Julia Cencig gespielt. Anfangs sah das zwar verkrampft aus, bald aber ging das Konzept auf. Franzobel hat sich dafür entschieden, Mozarts Ehefrau als eine berechnende, unangenehem mittelmäßige und mörderische Person zu zeichnen. Auf der Bühne verstärkte Anna Franziska Srna als sonnenbebrillte Barbiepuppe dieses Gegenbild zum vielschichtigen Mozart plakativ. Und alle Schauspieler – vor allem Hannes Gastinger, Vera Borek, Xaver Hutter, Chris Pichler, Alexander Lhotzky – wachsen in der Inszenierung von Alexander Kubelka beachtlich übers Volkstheater hinaus. Der Regisseur hat auf einige billige Gags des geschriebenen Stücks verzichtet. So blieb der Theaterabend dann doch nicht stecken in jenem manirierten Wortwitz, zu dem Franzobel neigt, sondern brachte auch dessen köstlich beobachtete Passagen über Gott und die Welt heute ans Licht.
E. Lackner, FAZ
Sex, Gewalt und Tod sind die Triebfedern in Franzobls Text, der kein in sich abgeschlossenes Stück ist und es auch gar nicht sein will. Es ist eine lose Folge von sehr heutigen Assoziationen, die der Regisseur Alexander Kubelka auf die Bühne stemmt: Mozart als von einer Frau gespielter Popstar mit grenzenlos übersteigertem Ego und netten Fäkalausdrücken im verbalen Repertoire. Nannerl als von einem Mann dargestellte „Transgender-Person“, dazu: Konstanze Weber als stets notgeile und stark auftoupierte Tussi deutscher Provinienz. Leopold Mozart ein sabbernder Greis, der mit Salzburger „Buchteln“ um sich wirft. Erzbischof Colloredo hüpft als Schwuler im String-Tanga über die Szene… Franzobel erzählt keine Geschichte, sondern kreiert durchaus heiter-bizarre Situationen. Alexander Kubelka stellt das skurrile Panoptikum freizügig zur Schau, viel nackte Haut, noch mehr Trash-Appeal und ein bewusstes „Seht her, wir spielen Theater!“ – auch die von Helmut Stürmer entworfene Bühne befindet sich in permanenter Auflösung. Gut gespielt wird in dieser Jahrmarkt-Atmosphäre allemal: Julia Cencig, Rainer Frieb, Xaver Hutter, Chris Pichler und Anna Franziska Srna haben ihren Spaß und leiten Vera Borek, Alexander Lhotzky sowie Hannes Gastinger durch Raum, Zeit und einige Klischees. Bittersüße Zoten inklusive
P. Jarolin, Kurier
Schräg und österreichisch: „Mozarts Vision“ von Franzobel. Hinter der Oberfläche aus Blödelei und Banalität entsteht das Bild eines Menschen, der um die verlorene Kindheit trauert. Franzobel entwickelt ein absurdes, assiozatives Spiel mit den verschiedenen Mozart-, Salzburg- und Wien-Klischees und entwirft Szenen von grotesker, drastischer Komik. Alexander Kubelka hat das rasante Spektakel inszeniert: mit einer multifunktionalen Einheitsbühne (gemeinsam mit Helmut Stürmer gestaltet) und Kostümen in einer Stilmixtur aus heutigem Prolo-Chic mit abgewetzter Rokokopracht (Birgit Hutter). Julia Cencig stürzt sich als Mozart mit vollem Einsatz in die Rolle, entspricht der Sprachspielerei mit stimmlicher Ausdrucksvielfalt. Der „Hosenrolle“ kommt dabei kaum Bedeutung zu. Voll ausgespielt wird der Geschlechtertausch hingegen bei Schwester Nannerl, die Xaver Hutter mit bizarrer Komik als transsexuelles Monster darstellt. Rainer Frieb als larmoyanter Vater, Chris Pichler als kläffendes Schoßhündchen und kokette Geliebte, Hannes Gastinger als eifersüchtiger Ehemann, Anna Franziska Srna und Vera Borek als vulgäres Mutter-Tochter-Gespann sowie Alexander Lhotzky als dämonischer Süßmayr/Tod tragen weitere Faceten zum fulminanten Mozart-Kabarett bei.
M. Rennhofer, Tiroler Tageszeitung
Papi Mozart, anfangs noch Notstandsbezieher, versteht die Welt nicht mehr. Nimmt sein Sohnemann Drogen, wieso will der nach Wien, wo doch Salzburg der Mittelpunkt ist. Hier thront und wohnt das Österreichische in seiner exemplarischen Form. Das für den Preis der Weltberühmtheit bereit zu sterbende „Sünderwürstel“ hat Regisseur Alexander Kubelka mit der jungen Schauspielerin Julia Cencig besetzt. Ein kluger Schachzug, der der Inszenierung gut tut. Einen überwältigenden Beweis seines Talents liefert Xaver Hutter als Mozart-Schwester Nannerl, die unter / in ihrem falschen Körper leidet. Franzobels Wortflut bewältigen Rainer Frieb als Vater Leopold, Alexander Lhotzky als Süßmayr und Hannes Gastinger in der Doppelrolle des Logenbruders Hofdemel und Erzbischofs Colloredo mit wohltuendem Understatement. Anna Franziska Srnas Konstanze kommt als Ivana Trump daher, Vera Borek als Mutter Weber überzeugt als neureiche Aufsteigerin.
R. Reiterer, Öberösterreichische Nachrichten
Dieser Mozart ist ein aufgeblähts Salzburger Nockerl. Die Luft, die ihm entweicht, ist die süßeste Theaterluft, die man in diesem grauen Theaterherbst in Wien schnuppern kann.
Franzobels Nestroyschen Wortverrenkungen sei Dank: Sie mäandern auf der Vita dieses kleingewachsenen Amadeus (der beachtlichen Julia Cencig), als sei diese ein zu plündernder Mythenschatz. Historie versteht Franzobel als Quersumme aus Leben und Nachleben – und da passt vieles hinein. Genauso wie in die vor Erregung strotzenden Illustriertenformate in Print und Funk der Gegenwart. Sie sind die Folie, vor der dieser Abend präzise und außer sich vor Übermut abschnurrt.
Franzobel führt seine Figuren vor, aber er liefert sie genauso wenig wie Regisseur Alexander Kubelka aus. Stellt dieser sein Personal an die Rampe, dann kitzelt er die Säue aus ihnen heraus: ein pralles Stück Volkstheater, das sich in seinen schönsten Momenten als Sprachkunststück in aberwitzige Höhen katapultiert.
S. Hilpold, Frankfurter Rundschau
Franzobel schreibt wie ein Dichter und denkt wie eine Sau. Und umgekehrt. Wer ein Stück über Wolfgang Amadeus Mozart in Auftrag geben will, ist bei ihm also an der richtigen Adresse. Die Aufführung kommt angemessen räudig daher. Geschlossen starke Ensembleleistung …
W. Kralicek, Der Falter