2003/04
Haupthaus |
Mutter Courage und ihre Kinder Premiere 4. April 2004 Courage: Maria Bill Inszenierung: Michael Schottenberg Die „Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg“ begleitet eine tüchtige Handelsfrau, die aus dem Grauen rund um sie jenen Profit machen will, vom dem sie ihre drei Kinder erhalten möchte. Umsonst alle Pfiffigkeit, aller Mut, alle Skrupellosigkeit: alle drei verliert sie an die unerbittliche Maschinerie des Kriegs. Brechts Botschaft, dass es nicht genügt, sich mit den Umständen zu arrangieren, sondern dass versucht werden muss, sie zu ändern, die Ursachen des Großen Sterbens zu beseitigen, wird von seiner vitalen Titelgestalt nicht begriffen – und hat gerade heute nichts von ihrer Provokation verloren. Uraufführung 1941. Jubel um Schottenbergs „Mutter Courage“. Publikum und Kitiker sind sich einig. Diese Aufführung ist ein Triumph für Maria Bill.
Die vorzügliche „Mutter Courage“ ist Theater, wie man es sich fast erträumt. Michael Schottenbergs Inszenierung im meisterhaften Bühnenbild von Hans Kudlich ist ein Exempel epischen Theaters, das an den emotionellen Kulminationspunkten die Ebene der Didaktik verlässt und zu großem Menschentheater aufgeladen wird. Wunderbare Schauspieler sind am Werk: Maria Bill vor allem; Stefan Kreißig, Stefan Puntigam und die außerordentliche Jennifer Frank. Ernst Konarek, Günter Franzmeier, Katharina Stemberger, Thomas Kamper, Wolf Dähne, Nahoko Fort in einer kurzen suggestiven Gesangspartie: So geht es. Ganz einfach, wie bei den Besten. Mit Krankenkassenbrille, aschgrau, schmallippig, in militärischer Kluft und mit ebensolchem Betragen zeichnet die Bill vor allem eine berufstätige Mutter. Ihre Courage hat Gefühle, Liebe, Leidenschaft. Doch all das hat sie ief in ihrem Herzen vergraben, denn es geht vor allem ums Übrleben. Die berührende Gestaltung der Bill findet ihre Entsprechung in vielen anderen überzeugenden Figuren, etwa dem Feldprediger (Günter Franzmeier), dem einbeinigen Soldaten (Thomas Kamper), dem Koch (Ernst Konarek), der Bäurin (Erika Mottl) … Michael Schottenberg hat mit unbestreitbarem – auch künstlerischem – Erfolg inszeniert. Die durchstilisiert düstere, fabelhaft ausgeleuchtete und nahezu filmisch präzise Ausstattung von Hans Kudlich und Erika Navas stellt die Geschichte in irgendeinen Krieg der Gegenwart oder jüngeren Vergangenheit. Maria Bill wagt es, eine zutiefst unsympathische Anna Fierling zu zeichnen. Ihr harter, bis zur Gewissenlosigkeit verstockter Charakter ist zwar stückimmanent, allerdings auch ungewohnt. Und zweifellos unbequem. Der Bill gelingt es dennoch für diese keineswegs anziehende Gestalt einzunehmen. Dass der Zuschauer geradezu widerwillig einzelne Facetten ihres Charakters als durchaus positiv anerkennen muss, ist einer der großen Triumphe dieses Abends. Den anderen verbucht Jennifer Frank als Kattrin, eine körnige junge Frau, die ihren eigenen Kopf hat. Ernst Konarek (Koch) und Günter Franzmeier (Feldprediger) spielen ihr komödiantisches Talent voll aus und machen, wie auch Peter Vilnai (Feldhauptmann) und Katharina Stemberger (Yvette), durchaus deutlich, dass Brechts Dialogtechnik stark von Karl Valentin beeinflusst wurde. Mischa Krausz’ neues Arrangement der Songs von Paul Dessau hätte manch einer wohl lieber etwas opulenter gehabt. Die knarrige Nasalität des Tonfalls ist indessen durchaus passend. Schottenberg spielt deftiges Volkstheater. Maria Bill ist eine wild entschlossene, ihre Sätze mit unerbittlichem Nachdruck hervorstoßende, unbelehrbare Frau, die dem Wahn verfallen ist, sie könne vom Krieg gut leben, ohne ihm selbst Opfer bringen zu müssen. Die Bühne von Hans Kudlich ist stimmungsvoll und entsprechend schön geleuchtet. Maria Bill präsentiert eine "Mutter Courage", der man allein auf Grund der Courage, mit der sie die Rolle ganz uneitel anlegt und auch durchhält, gratulieren muss. Die stumme Kattrin der Jennifer Frank, der Eilif des Stefan Kreißig und der Schweizerkas des Stefan Puntigam fallen positiv auf, auch Thomas Kamper und Thomas Bauer gefallen in Mehrfachrollen. Jubel und Beifall für Maria Bill, das Ensemble und Team. Schottenberg betont nicht die Parabel, sondern erzählt die Geschichte. Die Balance zwischen liebender Mutter und kalter "Hyäne des Schlachtfelds" spielt Maria Bill in eindrucksvoller Manier. Auch Günter Franzmeier als Feldprediger zählt zu den großen Pluspunkten des Abends. Jennifer Frank, Stefan Kreißig und Stefan Puntigam machen ihre Sache gut. Drei junge Schauspieler hat das Volkstheater aufgeboten – und alle drei sind Bühnentalente: Stefan Kreißig wandelt sich als Eilif vom leicht verführbaren Muttersöhnchen zum hörigen Soldaten. Stefan Puntigam zeigt als Schweizerkas die Naivität des Ehrlichen; Jennifer Frank hat als stumme Kattrin Ausstrahlung. Hervorragend!. Rund erscheint das Ensemble (mit Thomas Kamper, Günter Franzmeier, Ernst Konarek und vielen anderen) aus dem Katharina Stemberger als Lagerhure herausragt. Maria Bill trägt die Aufführung. Sie legte sich für den Brecht-Text einen eigenen Sprechduktus zurecht, der sowohl die Realitätsverweigerung als auch das Pumpern ihres Herzens in aller Widersprüchlichkeit zum Ausdruck bringt. Das Premierenpublikum bejubelte Bills Leistung. Nachdrückliche schauspielerische Akzente setzten Günter Franzmeier, Katharina Stemberger und vor allem Ernst Konarek. Mehr als Talentproben lieferten Jennifer Frank, Stefan Kreißig und Stefan Puntigam als Kinder der Courage. Wann jemals hat man Katharina Stemberger so blutvoll, so weheseufzend gesehen wie als Lagerhure Yvette Pottier, die auf ihren roten Holzpantoffeln in das Abenteuer des Überlebens hineinstakst wie in eine höllenheiße Jauchengrube. Jennifer Frank lässt mit wenigen Gesten den Traum eines ungelebten Lebens erblühen. Und der bei der Courage sich wie ein bigotter Engel festsetzende Feldprediger (Günter Franzmeier) enfaltet den zynischen Glanz einer eitlen, totgestellten Existenz. Die sehr klare und doch merkwürdig fremdartige Melodie von Maria Bills Stimme klingt nach Bertolt Brecht himself. Sie ist eines jener Flintenweiber, hinter deren rauer Schale sich ein herzensguter Kern verbirgt, spielt aber auch die dunklen Seiten der Courage nicht weg: Dass die Mutter an den Toden ihrer Kinder nicht ganz unschuldig ist, wird nie beschönigt. Der beste Grund, das Stück zu spielen, ist diese Rolle – und Maria Bill zeigt sie in allen Facetten. |