2002/03
spielbar |
Quartett Premiere 12. Juni 2003 Mit Inszenierung: Dana Csapo Die Quelle: Die Handlung von „Gefährliche Liebschaften“ spielt unmittelbar vor der Französischen Revolution. Aus Langeweile und um sich zu beweisen, dass sie ihren Bekannten überlegen ist und diese nach Belieben manipulieren kann, spinnt die Marquise de Merteuil ein Netzwerk von Intrigen. Die perfide Aristokratin wurde von ihrem Liebhaber Conte de Gercourt verlassen. Als Madame de Volanges ihre 15-jährige Tochter Cécile mit ihm verheiraten will, rächt sich Madame de Merteuil an ihrem früheren Geliebten: Sie schleicht sich in das Vertrauen des naiven Mädchens, überredet Cécile, ihrem Musiklehrer, dem schwärmerischen Chevalier Danceny, Liebesbriefe zu schreiben – und sorgt dafür, dass Madame de Volange sie findet. Während sie Danceny verführt, animiert sie den Viconte de Valmont durch eine Wette dazu, das unschuldige Mädchen zu deflorieren. Valmont, der sich für einen unwiderstehlichen Verführer hält, fühlt sich zur gleichen Zeit durch die Tugendhaftigkeit der 22-jährigen Madame de Tourvel herausgefordert, die jedoch von Madame de Volange vor dem bekannten Frauenhelden gewarnt wurde und deshalb auf der Hut ist. Die attraktive Frau ist verheiratet, und es käme ihr nie in den Sinn, ihren Ehemann zu betrügen. Das reizt Valmont um so mehr, und er setzt alle seine Verführungskünste ein – bis er Madame de Tourvel überzeugt hat, dass seine Liebe echt sei und sie sich ihm hingibt. Madame de Merteuil merkt, dass Valmont sich tatsächlich in Madame de Tourvel verliebt hat und macht ihm klar, dass er seinen Ruf als Libertin aufs Spiel setzt. Als der Egomaniker deshalb seine Liebe leugnet, bricht Madame de Tourvel zusammen und stirbt in geistiger Umnachtung. Bevor Valmont bei einem Duell mit Danceny ums Leben kommt, bekennt er sich zu seiner Liebe. Madame de Merteuil wird durch Pockennarben entstellt und durch ein Gerichtsverfahren ruiniert. Sie überbieten einander an Niedertracht, Bösartigkeit und verbalen Attacken. Die alternde Marquise de Merteuil und der auch in die Jahre kommende, skrupellose Verführer Vicomte de Valmont. Lust, Verführung, Begierden und sexuelle Neigungen sind die zentralen Themen, die Autor Heiner Müller seinen beiden Protagonisten – der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos stand Pate – in seinem Drama „Quartett“ verordnet. Ein sprachlich brillantes Psychoduell zweier einsamer Egomanen, das vor allem zum Schauspieler-Fest mutiert. Wie Isabel Weicken als Merteuil in einer Art von Boxring (Ausstattung: Ingrid Erb ) ihren Valmont (sicher: Thomas Stolzeti) stets aufs Neue zum Lust-Kampf fordert, ist schlicht grandios. Heiner Müller reduzierte Laclos’ „Gefährliche Liebschaften“ auf den Dialog zwischen den beiden Hauptakteuren Valmont und Merteuil. Diejenigen, denen es Lust bereitet, andere ins Unglück zu stürzen: „Die Qual zu leben und nicht Gott zu sein“ versuchen sie für sich zu lindern. Müller machte einen Dialog des Geschlechterkampfs daraus, ein Rollenspiel der Wollust und Zerstörung. Zu Menuettklängen, abrupt von elektronischem Walgesang unterbrochen, steigen Isabel Weicken und Thomas Stolzeti in den Ring. Wie ein Boxring ist die Spielfläche vom Publikum abgetrennt, wie verhaltene Kämpfer werfen sie zu Beginn einen prüfend-spöttischen Blick ins Publikum. Die Attitüde der Langeweile überwiegt bei Valmont, Merteuil hingegen legt alle Kraft in die sexuelle Aggressivität, die sie in Valmont spürt. Die Art und Weise, wie Müller den sittenschwangeren Stoff des ausklingenden Rokokos dramatisierte und gleichzeitig in einen neuen Kontext stellte, ist und bleibt eine Meisterleistung. Ebenfalls ein Glücksfall ist die Besetzung: denn mit Isabel Weicken und Thomas Stolzeti fand Müllers „Quartett“ eine ideale „Verkörperung“. Blitzschnell werden Namen und Rollen getauscht und die Unterscheidung zwischen Maske und Gesicht verschwimmt im doppelbödigen Spiel der Intrigen; jedes Lächeln entblößt einen Fangzahn. Auch seitens der Regie (Dana Csapo) wird nach dem Motto: „das Leben wird schneller, wenn das Sterben ein Schauspiel wird“ inszeniert, was der hochemotionalen Szenerie zusätzliche Tempi (Komposition: Sue-Alice Okukubo) und Akzente (Ausstattung: Ingrid Erb) verleiht. Bestialität bis zum Tod: Mit großer Schauspieler-Kunst lässt das Volkstheater die Saison ausklingen. Denn Isabel Weicken und Thomas Stolzeti zeigen bei Müllers „Quartett“ alle Facetten menschlicher Schwäche. In wechselnden Rollen schaffen Isabel Weicken als Marquise de Merteuil und Thomas Stolzeti als der abgelegte Liebhaber Valmont einen Mikrokosmos der menschlichen Lust in einem Spiel aus Sein und Schein: Laster, Leidenschaft und Verführung regieren in der „spielbar“. Weicken zeigt dabei jene Bestialität der Eifersüchtigen, deren Haut noch die Berührungen des sich abwendenden Gegenübers. Stolzeti als männliches Pendant mit verführerischem Blick und lasziver Geste lauscht mit zuckenden Mundwinkeln und süffisantem Blick den Angriffen von vis-à-vis. „Verführung und Gewalt“ tragen die beiden in der Hitze der Premierennacht in sich. Jubel! „Jetzt sind wir allein, mein Geliebter“, quittiert die intrigante Marquise de Merteuil das in vertauschten Rollen gespielte Liebesduell mit dem teuflischen Vicomte de Valmont. Allein aber waren die beiden freilich schon am Beginn: vor dem Spiel mit dem unheilvollen Begehren. Die Inszenierung Dana Csapos deutet das Duell als Boxkampf. Und deshalb wird jede Runde zur körperlichen Kraftprobe. Eine betörend in tiefes Schwarz geschnürte Isabel Weicken legt sich mit einem um einen neckischen Schönheitspunkt nochmals veredelten Thomas Stolzeti ins Zeug. |