1997/98
Haupthaus

Der Traum ein Leben
von Franz Grillparzer

Premiere 7. Mai 1998

Mit
Hasija Boric (Racha/Eine Dame)
Hannes Gastinger (Der Mann vom Felsen/Der alte Kaleb)
Fritz Karl (Rustan)
Michael Rastl (Massud/König von Samarkand)
Georg Schuchter (Zanga)
Anna Franziska Srna (Mirza/Gülnare)
Brigitte Swoboda (Ein Altes Weib)
Peter Uray (Karkhan)

Inszenierung: Helmut Wiesner
Bühne und Kostüme: Carlo Tommasi
Musik: Wolfgang Florey

 
Ein Krimi als Märchendrama, eine politische Tragödie von Aufstieg und Fall, ein Besserungsstück des Wiener Vorstadttheaters, das – ironisch nahezu – Resignation gegen die Emanzipation zum Mörder setzt, ein Psychothriller, der – lange vor Freud – präzise von Wesen und Leistung der Traumarbeit erzählt, ein sprachmächtiges „dramatisches Gedicht“, das die Sprachskepsis moderner Philosophie und Literatur vorwegnimmt: „Der Traum ein Leben“.
Rustan wird das idyllisch-beruhigte Landleben im Kreise seines patriarchalisch-starren, gleichzeitig mild-mahnenden Onkels Massud und dessen Tochter Mirza, mit der er verlobt scheint, zum Käfig der Abhängigkeit und Langeweile. Angestachelt vom Sklaven Zanga, der ihn – im Interesse eigener Befreiung – mit Kriegs- und Abenteuerromantik traktiert, bittet er um „Urlaub“ und will als „Held“ erst wiederkehren oder nie mehr. In der Nacht vor seinem Aufbruch aber träumt er einen Alptraum seiner Emanzipation, in dem sein Minderwertigkeitsgefühl in Größenwahn kippt, Sehnsucht nach Selbstbestimmung in eine Giftmörder- und Tyrannen-Karriere mündet und zuletzt in Scheitern und Tod.
Die Einsicht Rustans beim erleichterten Erwachen, daß „Größe gefährlich“ und der „Ruhm ein leeres Spiel“ ist, sein Verzicht auf den Aufbruch in die Welt, die Zurücknahme des Ehrgeizes, sein Sich-Fügen in die Ordnung der kleinen Welt, wurde und wird oft als Lob biedermeierlicher Selbstbeschränkung mißverstanden, als anti-emanzipatorisches Preisen dumpfer Untertanentugenden. Tatsächlich aber kritisiert Grillparzer kenntnisreich diese biedermeierliche Welt (in der seine Begabung nur mühsam und gegen viele Widerstände sich entfalten konnte) scharf-pessimistisch: er zeigt, daß diese unterwürfig-selbstgefälligen Bürger nur zu einem „Fortschritt“ imstande sind, der Ohnmacht in Machtmißbrauch verkehrt, nur eine Freiheit meinen, die mit der Knechtschaft anderer rechnet, und keinen anderen Lebensentwurf entwickeln können als ein Schwanken zwischen Größenwahn und Resignation.
So gesehen ist „Der Traum ein Leben“ heute auch als hellsichtiger Kommentar dazu zu begreifen, daß das „Böse“ nicht aus einem irgend „Dämonischen“ herzuleiten ist, sondern sich als gleichsam tugendhafte Normalität zu entfalten versteht.

 
Pressestimmen

Regisseur Helmut Wiesner packt bei seiner Inszenierung von Grillparzers dramatischem Märchen am Wiener Volkstheater die psychoanalytische Dimension des Traumerlebens kühn beim Wort: Wenn der junge Rustan, des bürgerlich-beschaulichen Landlebens und seiner vorhersehbaren Perspektiven überdrüssig, in den Schlaf versinkt und ihm im Traum ein alternativer Lebensentwurf vorgegaukelt wird, in dem er die heldenhafte Hauptrolle spielt, dann verzichtet Wiesner auf einen Schauplatzwechsel: Auch die Szenen im Wald und am Fürstenhof läßt er im ländlichen Haus von Rustans Onkel Massud spielen. Das ist kenntnisreich umgesetzt, denn jeder Träumende weiß, daß in den verwegensten Hirngespinsten die Sphären der Wirklichkeit und der Fiktion einander rätselhaft durchdringen. Träume gehorchen, wenn überhaupt, einer ganz anderen Logik. Und das wußte natürlich auch Grillparzer, wie er in der beklemmenden Episode mit dem alten Weib (Brigitte Swoboda) vorführt, die Rustan auf geheimnisvoll-magische Weise zum Königsmörder macht.
Einen hervorragenden Eindruck hinterläßt Michael Rastl in der Doppelrolle Massud/König. Ein melancholischer, müde gewordener Patriarch, der Grillparzers Trochäen erklingen läßt, als wären sie das natürlichste der Welt. Hannes Gastinger spielt zunächst den Mann vom Felsen. Sein Kurzauftritt bleibt verrätselt und doch stark haften. Später gibt Gastinger den Kaleb, die großartige Studie eines alten Mannes.
Manfred A. Schmid, Wiener Zeitung

Keine Frage, dieses Stück muß man gut kauen: Rustan dürstet es, aufgestachelt vom freiheitsgierigen Sklaven Zanga, nach Krieg und Abenteuer. Im Traum erlebt er Ruhm, Verbrechen und Untergang. Worauf er, kaum erwacht, beschließt, sein Leben mit gemütlichem Kaffeetrinken im häuslichen Halbschatten zu verbringen. Vorwegnahme Freuds? Bewahrende oder bewegende Kraft? Blick in eine Zukunft, die heute Gegenwart ist? Das Volkstheater wollte und mußte sich nicht entscheiden. Aber eine Traumhandlung so phantasiearm darzustellen wirkt mutig und schon wieder mutlos.
Guido Tartarotti, Kurier

Vor einer braunen Reihe geschlossener Läden (Bühne: Carlo Tommasi) spielen zwei Männer Schach. Fräulein Mirza (Anna Franziska Srna) ist eine rechte Nervensäge. Mit ihrem Vaterkomplex belädt sie den Geliebten. Massud (Michael Rastl): kein Landmann, ein Herr von der Produktenbörse, fördert sanft-brutal das schlechte Gewissen der weiblichen Angehörigen des Hauses, ein orientalisches Bürgerheim, keine Hütte. Nicht als finsteren Verführer, sondern als leicht gesetzlosen Weltenbummler führt Wiesner die Figur des Zanga ein: Georg Schuchter zeigt geschmeidige Virtuosität. Er sieht ein bißchen aus wie Anthony Hopkins, schillert aber mehr fröhlich als dämonisch. Fritz Karl erweist sich bei seinem Volkstheaterdebüt von neuem als vitales Talent. Rund und vollständig ist die Story, die dieser Rustan erzählt – von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen – und es lernte.
Wiesner, ein Poet unter den Regisseuren, der so einmalig in Raimunds Herzgrube leuchtete, erzählt eine stringente, in ihrem eingeengten Segment plastische Story.
Barbara Petsch, Die Presse

Grillparzer ist bei Wiesner in guten Händen, weil der Regisseur ein Gespür dafür hat, was heutige Menschen an der diffizilen Poetik dieses Wiener Beamtendichters zu interessieren vermag. Was wir nach den zweieinhalb Stunden Grillparzer mit nach Hause nehmen, ist nicht wenig. Wir müssen zugestehen, daß der Wiener Biedermeierdichter zentrale Probleme der „österreichischen Seele“ erkannt und gestaltet hat. Selten wurde das Zaghafte, das Sich-Nicht-Trauen und die bösen Konsequenzen daraus erhellender dargestellt als in diesem vor mehr als hundertfünfzig Jahren geschriebenen Drama.
Salzburger Nachrichten

Da lasse man es lieber gleich bleiben! Grillparzers „Der Traum ein Leben“, verpackt in ausrangierte Theater-Militärkluft, hält keine Geheimnisse mehr bereit. Helmut Wiesner schwebte wohl eine politische Botschaft zum Thema Palästina vor. Sein Ruf verhallt unbeachtet.
Kronenzeitung

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