1997/98
Haupthaus |
Der Traum ein Leben Premiere 7. Mai 1998 Mit Inszenierung: Helmut Wiesner Regisseur Helmut Wiesner packt bei seiner Inszenierung von Grillparzers dramatischem Märchen am Wiener Volkstheater die psychoanalytische Dimension des Traumerlebens kühn beim Wort: Wenn der junge Rustan, des bürgerlich-beschaulichen Landlebens und seiner vorhersehbaren Perspektiven überdrüssig, in den Schlaf versinkt und ihm im Traum ein alternativer Lebensentwurf vorgegaukelt wird, in dem er die heldenhafte Hauptrolle spielt, dann verzichtet Wiesner auf einen Schauplatzwechsel: Auch die Szenen im Wald und am Fürstenhof läßt er im ländlichen Haus von Rustans Onkel Massud spielen. Das ist kenntnisreich umgesetzt, denn jeder Träumende weiß, daß in den verwegensten Hirngespinsten die Sphären der Wirklichkeit und der Fiktion einander rätselhaft durchdringen. Träume gehorchen, wenn überhaupt, einer ganz anderen Logik. Und das wußte natürlich auch Grillparzer, wie er in der beklemmenden Episode mit dem alten Weib (Brigitte Swoboda) vorführt, die Rustan auf geheimnisvoll-magische Weise zum Königsmörder macht. Keine Frage, dieses Stück muß man gut kauen: Rustan dürstet es, aufgestachelt vom freiheitsgierigen Sklaven Zanga, nach Krieg und Abenteuer. Im Traum erlebt er Ruhm, Verbrechen und Untergang. Worauf er, kaum erwacht, beschließt, sein Leben mit gemütlichem Kaffeetrinken im häuslichen Halbschatten zu verbringen. Vorwegnahme Freuds? Bewahrende oder bewegende Kraft? Blick in eine Zukunft, die heute Gegenwart ist? Das Volkstheater wollte und mußte sich nicht entscheiden. Aber eine Traumhandlung so phantasiearm darzustellen wirkt mutig und schon wieder mutlos. Vor einer braunen Reihe geschlossener Läden (Bühne: Carlo Tommasi) spielen zwei Männer Schach. Fräulein Mirza (Anna Franziska Srna) ist eine rechte Nervensäge. Mit ihrem Vaterkomplex belädt sie den Geliebten. Massud (Michael Rastl): kein Landmann, ein Herr von der Produktenbörse, fördert sanft-brutal das schlechte Gewissen der weiblichen Angehörigen des Hauses, ein orientalisches Bürgerheim, keine Hütte. Nicht als finsteren Verführer, sondern als leicht gesetzlosen Weltenbummler führt Wiesner die Figur des Zanga ein: Georg Schuchter zeigt geschmeidige Virtuosität. Er sieht ein bißchen aus wie Anthony Hopkins, schillert aber mehr fröhlich als dämonisch. Fritz Karl erweist sich bei seinem Volkstheaterdebüt von neuem als vitales Talent. Rund und vollständig ist die Story, die dieser Rustan erzählt – von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen – und es lernte. Grillparzer ist bei Wiesner in guten Händen, weil der Regisseur ein Gespür dafür hat, was heutige Menschen an der diffizilen Poetik dieses Wiener Beamtendichters zu interessieren vermag. Was wir nach den zweieinhalb Stunden Grillparzer mit nach Hause nehmen, ist nicht wenig. Wir müssen zugestehen, daß der Wiener Biedermeierdichter zentrale Probleme der „österreichischen Seele“ erkannt und gestaltet hat. Selten wurde das Zaghafte, das Sich-Nicht-Trauen und die bösen Konsequenzen daraus erhellender dargestellt als in diesem vor mehr als hundertfünfzig Jahren geschriebenen Drama. Da lasse man es lieber gleich bleiben! Grillparzers „Der Traum ein Leben“, verpackt in ausrangierte Theater-Militärkluft, hält keine Geheimnisse mehr bereit. Helmut Wiesner schwebte wohl eine politische Botschaft zum Thema Palästina vor. Sein Ruf verhallt unbeachtet. |