Unter Mördern und Irren
von Ingeborg Bachmann
Monolog
Premiere 5. März 1990 (Nebenschauplatz)
Wiederaufnahme 31. Oktober 1993 (anlässlich des 20. Todestags von Ingeborg Bachmann)
Wiederaufnahme in der Spielzeit 1997/98 (plafond)
Mit
Brigitte Antonius
Gestaltung: Emil Breisach
Man soll, im Begriff, diese Prosa zu lesen, nicht mit Geschichten rechnen, mit der Beschreibung von Handlungen. Informationen über Ereignisse sind nicht zu erwarten, Gestalten im landläufigen Sinn so wenig wie harthörige Behauptungen. Eine Stimme wird man hören: kühn und klagend. Eine Stimme, wahrheitsgemäß, das heißt: nach eigener Erfahrung sich äußernd, über Gewisses und Ungewisses. Und wahrheitsgemäß schweigend, wenn die Stimme versagt.
Weder sprechend noch schweigend ohne Grund. Ohne auf dem Grund der Hoffnung, ohne auf dem der Verzweiflung zu stehen. Geringere Anlässe, das Wort zu nehmen, hat sie verschmäht.
Kühnheit? Wo hätten wir sie zu suchen, bei eingestandenem Rückzug vor Übermächten, bei eingestandener Ohnmacht gegenüber dem Fremdwerden ihrer Welt? In den Eingeständnissen selbst? Gewiß, da sie nicht aus Routine, nicht leicht und freiwillig gegeben werden. Mehr aber noch im Widerstand. Nicht kampflos weicht sie zurück, nicht widerspruchslos verstummt sie, nicht resignierend räumt sie das Feld. Wahrhaben, was ist – wahr machen, was sein soll. Mehr hat Dichtung sich nie zum Ziel setzen können.
Klage? Nicht über Geringfügiges, und niemals kläglich. Über bevorstehende Sprachlosigkeit. Über die drohende Auflösung der Kommunikation zwischen Dichtung und Gesellschaft, die jedem ehrlichen Schriftsteller in einer bürgerlichen Umwelt vor Augen steht. Über die Aussicht, allein zu bleiben mit dem Wort („das Wort wird doch nur andere Worte nach sich ziehen, Satz den Satz“). Über die unheimliche Versuchung, durch Anpassung, Blindheit, Billigung, Gewöhnung, Täuschung und Verrat zum Kumpan der tödlichen Gefahren zu werden, denen die Welt ausgesetzt ist.
Tapferkeit? Sie ist verwundet, aber nicht besiegt, voll Trauer, doch ohne Selbstmitleid, leidend, aber nicht ins Leid verliebt. Man steht vor einem Kampfplatz. Sieht die Kräfte sich sammeln. Lyrik, Prosa, Essay schlagen die gleiche Richtung ein: aus dem Fraglosen ins Fragwürdige; aus dem Gewöhnlichen ins Ungewohnte; aus dem Unverbindlichen in die Verbindlichkeit, auch Verbundenheit; aus dem Ungenauen in die Authentizität. „Mir nach, ihr Worte!“ Eine Art Schlachtruf, tapfer genug, würdig genug.
Repräsentanz? Der Dichter als Repräsentant seiner Zeit? Ingeborg Bachmann, bescheiden übrigens, aber auch stolz, wagt diesen Anspruch. Muß Anstoß erregen, da man in der Literatur der Moderne weithin auf Repräsentanz verzichtet hat. Sie geht weiter. „Der verändern wollende Dichter“, fragt sie, als sei es ausgemacht und nicht gerade in ihren Breiten heftig bestritten, daß der Dichter verändern will: „Wieviel steht ihm frei und wieviel nicht?“ Das heißt: ist er, in ihrer Zeit, in dem Land, in dem sie lebt, noch Herr der Wirkungen, die er hervorzubringen wünscht? Da macht sie sich nun nichts vor, bleibt unbestechlich: „Nichts rührt sich, nur dieser fatale Applaus.“ Nichts rührt sich. So hätte der Dichter umsonst gesprochen? Wäre die Abstumpfung des Publikums, hervorgerufen durch die „vielen spielerischen Schocks, die ihm seit Jahren zugefügt werden“, unwiderruflich? Wie aber müßte denn die Dichtung sein, um, vor allem anderen, das zu verändern?
(Christa Wolf „Die zumutbare Wahrheit. Prosa der Ingeborg Bachmann“)