1992/93
Haupthaus |
Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos „Mir selber zugewidmet, dem Autor, dem großräumigen Lügner“ Österreichische Erstaufführung Premiere 15. November 1992 Mit Inszenierung: Piet Drescher „Es ist alles ein Sprachproblemstellungskommando“ heißt es in „Volksvernichtung“. Schwabs Sprache ist ein trickreicher Auszug aus der österreichischen Umgangssprache, ein Kunstidiom, das bei flüchtigem Hinhören oft ganz irrwitzig vertraut klingt, obwohl bei genauerem Hinhören nichts stimmt, Grammatik und Syntax schonungslos aus den Angeln gehoben sind. Die kunstvolle Ungenauigkeit dieser Sprache, ihre schrägen Bilder und aufgehäuften Ungeheuerlichkeiten entspringen im Kern der Ich-Losigkeit ihrer Figuren. Sie sprechen nicht, sie werden gesprochen, es spricht sie. Und es spricht sie unaufhörlich, denn ihr ich-loses Sprechen ist der einzige Schutz vor der völligen Auflösung des Ich. Regisseur Piet Drescher und seinem kongenialem Bühnenbildner Adolf Frohner gelang eine vorzügliche Aufführung: Sie geben Schwabs wüst-genialischen Sprachkonvoluten Gestalt und Halt. Vera Borek ist eine groteske Schreckgestalt, die sich ihrer Textlast mit Bernhardschem Furor entledigt. Fritz Hammel kann in der Gestalt eines malenden Underdogs sogar erschüttern. Ein Höllenvergnügen bereitet die Nazi-Familie: Roger Murbach, Brigitte Neumeister, Viktoria Schubert und Susanne Holl dringen in Deixsche Abgründe vor. Adolf Frohner entwarf den Riesentisch als Kulisse und Requisit. Drescher inszenierte des steirischen Modeautors erfolgreichstes Bühnenstück in einer sozialkritisch aufgepäppelten Version; mit klaren Figuren, versuchten Beziehungsgeschchten, etwa beim haßdurchtränkten Mutter-Sohn-Verhältnis (Silvia Fenz/Fritz Hammel). Dreschers spezielles Talent, schwierigen, weil undramatischen, sprachdominierten, künstlichen Stücken eine transparente Haut aus Realismus überzuziehen, hat wieder gegriffen. Es ist eine geschlossene, pointensichere Inszenierung. Piet Dreschers Inszenierung ist – zumindest – nicht schlechter als die so heftig gerühmte Münchner Uraufführung. Die Schauspieler leisten Phänomenales. Das Publikum geriet in Ekstase. Piet Drescher hat die nihilistische Komödie nüchtern und effektvoll inszeniert. Zwei Engel blättern die Hausfassade auf wie ein Buch. Dahinter sind, auf hölzernem Aufbau die Wohnungen. Vera Borek brilliert als Witwe mit skurriler Arroganz, Silvia Fenz überzeugt als abgehärmte Mutter, Fritz Hammel als ihr aufbegehrender Sohn. Roger Murbach und Brigitte Neumeister sind ein gut eingespieltes Ehepaar, Viktoria Schubert und Susanne Holl ihre aufgeweckten Töchter. Eine Aufführung von hintergründiger Bosheit. Zwecklos zu leugnen, daß man sich im Volkstheater bei „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ amüsiert. Die lustvolle Aggression gegenüber „Volk und Familie“ ist durchaus ansteckend. Und die nihilistische, hochmütige Frau Grollfeuer ist eine prächtige Figur (und prächtig gespielt von Vera Borek). Piet Drescher inszenierte eine sorgfältige, intelligente österreichische Erstaufführung. Volksvernichtung hat jenes interesselose Wohlgefallem am Dreck und der Gemeinheit, das Grund sein könnte für einen Bühnen-Alptraum. Regisseur Piet Drescher jedoch meint, den sozialkritischen Schwank forcieren zu müssen. So säuft alles im klebrigsten Sozialkitsch ab. Schwab erachtet das Theater als strenge Kammer. Die Sprache ist der Folterknecht, um Akteuren und Besuchern gleichermaßen Weltekel abzumartern. Das Volkstheater bietet nur eine biedere Bauernstube, in der mit Dialogen geboxt wird. Gewiß, Adolf Frohner schuf mit dem Riesenholztisch ein schönes Bühnenbild. Aber das ist ja das Dilemma: Alles ist schauderhaft schön, keinem wird schlecht. Ein Jauchekarren kam heran und setzte seine Ladung ab. Möge er bald wieder davonfahren, irgendwann wird er todsicher ganz verschwinden. Und diejenigen, die bei seiner Ankunft applaudierten, werden sich später vielleicht dafür schämen. |