1988/89
Haupthaus frontal |
Weiningers Nacht Premiere 13. November 1988 Im Rahmen der Aufführungsserie fand eine Diskussion mit dem Autor statt Otto Weininger: Paulus Manker Inszenierung: Paulus Manker Im Bedenkjahr 1988 wird wahrscheinlich niemand die Frage stellen, warum wir als erste Produktion der neuen Reihe ein Stück über den jüdischen Antisemiten Otto Weininger spielen. Dieses Schauspiel ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit jeder Art von Antisemitismus, aber mehr noch als Jahrestage war für die Stückwahl entscheidend, daß es kaum eine Figur gibt, in der Widerstand und Anpassung so paradoxe Verbindungen eingegangen sind wie in diesem jungen Wiener Philosophen der Jahrhundertwende. Widerstand gegen den Haß der Gesellschaft auf sein „Jüdisch-Sein“ nimmt bei Weininger die Form der Überanpassung an. Und Weininger formulierte die theoretische Untermauerung dieses absurden Vorgangs so brillant, daß er Generationen damit beeinflussen konnte. Otto Weininger ist heute fast vergessen, könnte als historisches Phänomen zwar interessant, aber relativ unwesentlich erscheinen, wenn seine Reaktion auf Diskriminierung nur ein extremer Einzelfall wäre. Aber Selbsthaß und Selbstzerstörung sind in jeder Minderheit als Antwort auf Diskriminierung und Unterdrückung denkbar. Denn daß Weiningers Ausdehnung seines zerstörerischen Hasses auf alles Weibliche jahrzehntelang von Frauen unwidersprochen blieb, ist ein erschreckendes Beispiel für die zerstörerische Kraft der Selbstverachtung. Spannenderes hat die Theaterstadt Wien in diesem Herbst nicht anzubieten. Ganz ohne vorbereitende Werbemaßnahmen durch Skandalgeschrei wird hier Vergangenheitsbewältigung zum Höllentanz an allen Abgründen. Das Publikum raste fünfzehn Minuten lang. Ein großer und verdienter Erfolg. Für Paulus Manker als Regisseur und Hauptdarsteller, für Joshua Sobols Stück, weil es – wie kein anderes Stück auf den Wiener Spielplänen – das Thema Antisemitismus präzise getroffen hat und gleichzeitig in durchaus komödiantischer Form zur Darstellung bringen konnte. Eine Selbstüberschätzung. Das Publikum klatscht, jubelt, ‚tobt‘. Lange und undifferenziert. Das ist jetzt Mode. Das Regiekonzept: ein Sammelsurium von Effekten, manche unnötig ausgespielt, mitunter abgeschaut von seinem Übervater Peter Zadek und Basis für den ungebremsten Schauspieler Manker. Das rührt nicht an. Das langweilt. |