1999/2000
Haupthaus |
Wer hat Angst vor Virginia Woolf ...? Premiere 24. Oktober 1999 Martha: Birgit Doll Inszenierung: Harald Clemen Bei einer nächtlichen Party im Haus des nur mit Maßen erfolgreichen Geschichtsprofessors George und seiner Frau Martha werden die beiden Gäste, Georges junger Kollege Nick von der Mathematik-Fraktion und dessen Frau Putzi, nach und nach in eine Eheauseinandersetzung einbezogen, die keinen der Beteiligten verschont: Berufliche Mißgunst, soziale Verdrängungsängste und -taktiken, intellektueller Hahnenkampf sowie sexuelle Potenz- und Neidkomplexe kennzeichnen die anschwellende Kampfstimmung der beiden Männer ebenso, wie das Verhältnis der beiden Frauen zueinander von Machtanspruch und Generationenstreit vergiftet erscheint. Über allem aber wölbt sich der Kampfbogen von Georges und Marthas unablässigem, gnadenlosen Ehestreit – Abbild der aufs äußerste getriebenen Verkettung eines kinderlos gebliebenen Paars in Haß- und Liebesbanden, von (Vor-) Machtlust und (Ohn-) Machtängsten, in Extremformen von Zu- und Abneigung. Sensationell, wie Wolfgang Hübsch zwischen heimlichem Triumph, Abgestumpftheit und jäher Betroffenheit changiert. Birgit Doll ist ihm eine souveräne Duellpartnerin. Das Schönste an dieser Figur ist ihr Geheimnis. Meriam Abbas ist eine zwischen Scheinschwangerschaft, nervösem Brechreiz und Einfalt jammervoll eingerichtete Putzi, die trotzdem mit einem geheimen Zauber punktet. Christoph Zadras kraftvoller Nick wirkt dagegen, köstlich aufbegehrend und den satanischen Spielen hilflos ausgeliefert, prächtig geheimnislos. Ein sehr heutiger Aufsteiger. Harald Clemen hat eine außerordentlich dichte, aufregende Inszenierung abgeliefert. Er hält das Tempo, gestattet Momente der Stille und verhindert kreischende Ausbrüche. Und hat mit seinen Darstellern hervorragend gearbeitet. Der Jubel des Publikums war laut, ausdauernd und ganz und gar spontan. Zu feiern gab es vor allem einen Regisseur, der sich nicht ausstellt, nichts in Stücke schlägt, sondern bloß gutes Theater macht. So einfach ist das. Was Harald Clemen daraus macht, ist sensationell. Brillant und artifiziell wird Albees Schwätzrealismus gebrochen und eine Glanzbesetzung zum Triumph geführt: Birgit Doll vor allem, eine der Größten des Sprachraums; der infernalisch pointensichere Wolfgang Hübsch; die aberwitzige Kunstfigur Meriam Abbas; und Christoph Zadra, tapfer in der undankbaren Rolle des Vierten. Martin Kukulies richtete den Raum gediegen ein. Das universitäre Milieu verfügt über Geschmack, wie wir auch an den von Thomas Oláh kreierten Kostümen erkennen. Wenn der nackte Wahnsinn zu Tage tritt, ertönen Peter Kaizars musikalische Lautmalereien. Das Premierenpublikum war hingerissen. Fazit nach den ersten Wiener Premieren der Saison: In diesem Herbst ist das Volkstheater die aufregendste und lebendigste Bühne der Stadt. Die Aufführung ist evident zu harmlos. Die Schauspieler hatten nicht die Kraft, bis an die Grenzen zu gehen. Und damit wird das Stück flach, hat faktisch kein Geheimnis mehr zu bieten. |