1999/2000
Haupthaus

Zum Nationalfeiertag 1999
Matinee

26. Oktober 1999

Elfriede Jelinek liest einen für diese Matinee verfassten
aktuellen Eingangstext

Anschließend
Wolken. Heim.
von Elfriede Jelinek
Szenische Lesung
mit Babett Arens, Andrea Eckert, Chris Pichler, Michael Rastl, Anna Franziska Srna, Erwin Steinhauer, Thomas Stolzeti

  
„Wir sind wir. Zu eng begrenzt unsre Lebenszeit, zu enge Grenzen, wir schießen hervor, wir quellen wie Laut aus der Brust, wir gönnen den andern keine Blicke. Wir sind wir und scheuchen von allen Orten die anderen fort. Es rinnt uns Geist von der Stirne. Zu eng begrenzt unsre Lebenszeit. Die Orientalen wissen es nicht. Sie wissen nur, daß Einer frei ist, aber ebendrum ist solche Freiheit nur Willkür, Wildheit, Dumpfheit und Leidenschaft, und die Milde ein Zufall. Wir aber wir aber wir aber. Wir Lieben! Auch uns, so will es scheinen, kann niemand von der Stirne nehmen den Traum! Aber wir Guten, auch wir sind tatenarm und gedankenvoll! Wir! Aber kommt, wie der Strahl aus dem Gewölke kommt, aus Gedanken vielleicht, geistig und reif die Tat? Folgt die Frucht, wie des Haines dunklem Blatte, der stillen Schrift? Und das Schweigen im Volk, ist es die Feier schon vor dem Fest? Oder die Ruh vor dem Sturm? Oder der Wind, der vor dem Gewitter herfliegt? Oder wer scheucht uns hier fort, wir sind hier zuhaus! Wir sind hier zuhaus.“ (aus: „Wolken. Heim.“)

„Wolken. Heim.“ wurde 1987 geschrieben und in Wien am Volkstheater 1993 aufgeführt. In diesem Theatertext geht es wie in keinem zweiten um den radikalen Begriff der Heimat, um die Kräfte, die im Boden schlummern, um den Rausch der Volksgemeinschaft und die natürliche Ablehnung der Fremden. Der Text stützt sich auf Zitate aus dem Schatzkästchen deutscher Philosophie (Hölderlin, Kleist, Heidegger) und zeigt polemisch die von diesem Ort noch immer ausgehenden unerschöpflichen Kräfte der politischen Emotionalisierung und Agitation.
Er wird aus gegebenem Anlaß zum Nationalfeiertag vorgetragen.

Produktionen Z