1994/95
Haupthaus |
Zur schönen Aussicht Premiere 13. November 1994 Max: Fritz Hammel Inszenierung: Michael Gruner Wirtschaftskrise, Inflation, eine in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs zerstörte Gesellschaft; Zusammenbruch, Endzeitstimmung. Das kurze Zwischenreich zwischen den letzten Tagen der Menschheit und dem aufziehenden Faschismus. Auch die Goldenen zwanziger Jahre genannt. „Zur schönen Aussicht“ heißt das Hotel im Gebirge, das zur Fluchtburg von Glücksrittern, verkrachten Existenzen, abgelebten Bonvivants, Männern ohne jede Aussicht geworden ist – jeder eines jeden erbitterter Feind. Beherrscht wird die Männerrunde von Ada, die gelernt hat, daß in dieser Welt benutzen muß, wer nicht benutzt werden will, kaufen muß, wer nicht verkauft werden will. Sie kann es sich leisten, die Männer zu kaufen und zu benutzen. In dieser schäbigen, bösartigen, aussichtslosen Welt taucht das Mädchen Christine auf, das verliebte, sentimentale, mittellose Fräulein mit Kind. Sie scheint das geborene Opfer für diese Männergruppe, die sich reflexartig zusammenschließt, wenn es gilt, gemeinsame Interessen zu verteidigen. Doch ebenso schnell, wie aus den Feinden Komplizen wurden, werden aus den Komplizen erbitterte Konkurrenten, als sich herausstellt, daß ausgerechnet Christine die „schöne Aussicht“ ist, von der sie alle träumen. Horváths Komödie, wahrscheinlich 1926/27 entstanden (und erst 1969 uraufgeführt in Graz), gehört zu den bittersten und schönsten Stücken des Dichters. Das Eigenschaftswort „atmosphärisch“ wird meist im Zusammenhang mit Inszenierungen gebraucht, die sonst keine bemerkenswerten Eigenschaften aufweisen. Hier aber trifft es den Kern. Das Wesen dieser „Komödie“ ist nicht ihr (konventioneller) Plot, sondern die dramatische Stimmung, in der dieser abgehandelt wird. Die Mittel, mit denen diese „Atmosphäre“ (der Luftraum der Figuren) im Volkstheater hergestellt wird, sind genauso offenkundig künstlich wie die Figuren, die sich in ihr bewegen; das Bühnenbild von Peter Schulz besteht aus eindimensionalen Stellwänden; die Scheinwerfer sind – wie in einem Filmstudio – deutlich sichtbar; die Tangoplatte hat einen Sprung. In dieser Künstlichkeit entsteht, sehr kunstvoll, eine zweite theatralische Natürlichkeit. Die Inszenierung von Michael Gruner lässt die Sehnsucht der Frauen spüren. Selbst die alte Baronin hat sich einen Rest von Sehnsucht nach dem Besseren bewahrt und die sentimentale Christine schwelgt geradezu in Kitschvorstellungen. Weniger Gespür beweist der Regisseur im Umgang mit den Männerrollen. In der dunklen Inszenierung Michael Gruners ist die Endzeit-Metaphorik dieses komischen Trauerspiels fein herausgearbeitet. Im schönsten, zurückgeblendeten Licht, das dieses Theater seit langem gesehen hat, geistern die verlorenen, verwegenen und gemeinen Gestalten gleichsam ferngesteuert durch Foyer und Zimmer. Die Bühne von Peter Schulz bietet die bestmögliche Folie für eine atmosphärische Dichte von Strindbergschen Ausmaßen, märchenhaft und surreal. Der Regisseur versteht es, die Schauspieler über das Gewohnte hinaus zu motivieren. Mit diesem selten gespielten Horvath positioniert sich das Volkstheater höchst achtbar, eigenständig und sehenswert in diesem Wiener Theaterherbst. Gruner kann das moralische Anliegen des Stücks zwar eindringlich vermitteln, doch das Spiel läuft allzu gedehnt, hölzern, ohne Temposteigerungen ab. |