emmy werner

Interview

„Keine Sonne, keine Hormone, wenig Sport“

Aus einem Gespräch
mit Elisabeth Nöstlinger
(Die Furche, 11. August 2005)

 
Vor 17 Jahren wurde Emmy Werner als erster Frau im deutschsprachigen Raum die Leitung eines so großen Theaters, wie es das Wiener Volkstheater ist, übertragen. Mit Ende dieser Spielsaison hat sie ihren Abschied genommen. Kein Mann hatte zuvor so lange dieses Amt inne. Sie überraschte durch die Wahl der Autoren, provozierte die Kritiker, indem sie ungewöhnliche Inszenierungen akzeptierte, und begeisterte das Publikum durch Engagement – auch feministisches Engagement. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie gegen die Männer gewesen wäre. Viel wichtiger war und ist der Prinzipalin, die keine Feministin sein will, dass Männer erkennen, wie wunderbar es ist, mit selbstbewussten, aufgeklärten Frauen zu leben. Auch im Alter. Dahingehend will sie auch das Selbstbewusstsein der Frauen stärken.

Das ist etwas, was mich noch interessieren würde: das Selbstbewusstsein der älteren Menschen zu stärken. Das geht auch Männer an. Leider ist es noch immer so, dass der Alte mit dem Spitzbauch die Junge hin und her zerren darf – und umgekehrt geht es nicht. Ja glauben Sie, ich hätte nicht auch Gusto gehabt auf einen jungen Gefährten? Das traut man sich als Frau aber nicht, wenn man schon ein bisschen in die Jahre gekommen ist.

Hat das nicht auch biologische Gründe?

Also dieses Gekreische um den Wechsel! Ich versteh es nicht. Der Wechsel ist etwas Wunderbares, er macht alles leichter. Der Wechsel befreit von sehr vielen Dingen. Von Ärzten, Pharmazeuten und jenen, die Hormonpräparate verkaufen wollen, wird da viel hineininterpretiert. Die Folge ist: die Frauen werden verunsichert. Mein Rezept gegen das Altern lautet: keine Sonne, keine Hormone, keine Drogen, wenig Sport und billige Kosmetika. Ich beuge mich nicht dem Wahn unserer Gesellschaft, jung bleiben zu müssen. Mein Gesicht zeigt doch alles, was ich gemacht habe, dass ich gelebt habe.

Nach vier Jahren Theater der Courage, sieben Jahren Drachengasse und 17 Jahren Volkstheaterdirektion war es wohl ein Leben fürs Theater …

Theater ist nicht mein Leben. Ich bin mit dem Theater aufgewachsen, und ich lebe Theater. Ich habe mir immer sehr viele Interessen außerhalb des Theaters gegönnt. Theater ist nicht mein Leben – Theater ist mein Beruf. Ich möchte nicht einmal sagen, es ist meine Berufung. Das ist für mich so etwas Selbstverständliches. Ich liebe es auch nicht. Ich bin damit groß geworden wie mit der Luft, die ich atme. Ich sage auch nicht: Ach Gott, wie ich die Luft liebe! Ich wollte mich selbst erhalten, ich wollte für mich sorgen, ich hatte ganz große Lust, ein Theater zu leiten und zu bestimmen, was sich dort tut. Das war ein ganz starker Impetus. Ich war in meiner Ehe sehr fremdbestimmt. Aber ich möchte keine Minute missen, weil mir die Erfahrungen, die ich in dieser Ehe gemacht habe, später sehr geholfen haben. Ich habe einen selbständigen Sohn erzogen, einen so genannten neuen Mann … Also ich habe mein Leben auf mehreren Ebenen gelebt. Ich muss aber auch gar nichts tun. Ich kann auch drei Stunden in den Bach hinein schauen. Das gibt mir neue Kraft. Hätte ich dauernd meinen Motor maximal hochgefahren, hätte ich das nicht so lange ausgehalten.

Wie haben Sie sich regeneriert? Theaterdirektorin ist ja kein Acht-Stunden-Job.

Ich hatte keine Kommunikationsgeräte zu Hause. Keinen Anrufbeantworter, kein Fax, schon gar kein E-Mail. Wenn das Telefon läutet, wird der Polster draufgedrückt, und ich bin nicht erreichbar. Für ein, zwei Menschen gibt’s eine andere Möglichkeit mich zu erreichen. Ich schalte so ab, als gäbe es alles rundherum nicht. Ich versinke in meiner Wohnung im Kämmerchen.

Was machen Sie dort?

Da wird herumgeschlichtet. In diesen Regalen sind Schätze an Büchern mit Widmungen verborgen. Viele habe ich noch nicht gelesen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie es Leuten langweilig sein kann, solange sie ungelesene Bücher haben. Dann habe ich eine Eulensammlung – die muss man putzen; das hat etwas Kontemplatives. Das ist mir wichtig. Sonst wäre ich ja Supermaus, und die bin ich wirklich nicht.

Sie können auf Erfolge zurückgreifen: Das Callas-Stück „Meisterklasse“ war ein Longseller; österreichische Dramatiker wie Elfriede Jelinek, Wolfgang Bauer, Peter Turrini, Gert Jonke, Franzobel und viele andere sind aufgeführt worden; Autoren wie Martin Crimp, Theresia Walser oder Biljana Srbljanovic haben Sie als erste in Wien gespielt; viele Schauspieler haben auf Ihren Brettern angefangen. Werden Sie im Herbst Ihrem Nachfolger mit ihrem Erfahrungsschatz zur Seite stehen?

Um Gottes Willen, nein! Ich habe in meinem Leben fünfmal einen Schlussstrich gezogen. Das kann ich gut. Das Schiff hat man verlassen, ein anderer Kapitän hat das Schiff bestiegen. Ich werde jetzt auch lange nicht hineingehen. Denn ich verreise bis September – das habe ich besprochen, dass mir das gestattet sei. Ich habe sehr interessante Angebote etwas zu tun, aber ich habe alles abgesagt. Ich möchte jetzt nichts tun. Das sei mir nach all den Jahren schon gegönnt.

Werden Sie das aushalten?

Selbstverständlich, weil ich ja ein kontemplativer Mensch bin. Auch wenn man mir das nicht ansieht.

Haben Sie schon Pläne für die nächste Zeit gemacht, wo und wie Sie die Beschaulichkeit finden werden?

Ich fahre ein bisschen weg. Ich reise ja ungern, aber ich muss ein bisschen weg. Ich fliege auch nicht. Ich bin ein schrecklich altmodisches Geschöpf, das so gern mit der Bahn fährt. Ich möchte einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn fahren, aber es will keiner mit mir mitfahren. Also werde ich nicht fahren. Eigentlich halte ich ja die Frage, wie ich es ohne eine so schwierige Aufgabe aushalten werde, immer ein bisschen für eine Fopperei. Ich bin in einem Alter, in dem andere Leute längst in Pension sind. Ich bin begrenzt, aber doch etwas intelligent. Ich kann mich daher mit sehr vielen Dingen beschäftigen. Ich möchte das soziale Leben wieder auffrischen, mehr mit anderen Menschen zusammen sein. Ich habe mir ein kleines Büro gemietet – wieder in einem sehr lebendigen Kosmos. Dort werde ich versuchen, die 25 Jahre meiner Theaterarbeit aufzuarbeiten, werde versuchen, meine Erlebnisse niederzuschreiben. Ohne Leistungsdruck. Wenn es nichts wird – wir haben einen Kamin am Land, da wird das dann eingeheizt. Alles.

→ „Ich bin sehr gern per Sie“ – Presse-Interview, 18.12.2009

 

Margarete Affenzeller

12. September 2023, DerStandard

HAPPY BIRTHDAY

Theaterdirektorin von den entern Gründ'

Emmy Werner hat Frauen am Theater Platz erstritten.

Als Drachengasse-Gründerin und Direktorin des Volkstheaters hat sie Wiener Theatergeschichte geschrieben. Am Mittwoch feiert sie Geburtstag. Alles Gute!

Mit Chuzpe war und ist bei Emmy Werner immer zu rechnen. So bot die zwischen 1988 und 2005 amtierende Volkstheaterdirektorin einem Schauspieler, der gierig Titelrollen einforderte, den Part der Möwe aus Tschechows gleichnamigem Drama an. Nie wieder habe der Mime sich beschwert, heißt es, ist diese "Titelfigur" doch erstens stumm und zweitens bei Auftritt tot.

Chuzpe hat die Wiener Theaterleiterin, die morgen, Mittwoch, ihren 85. Geburtstag feiert, auch gebraucht, als sie 1981 das Theater Drachengasse aus dem Nichts stampfte und danach 1988 das Volkstheater und damit als eine der ersten Frauen im deutschen Sprachraum ein Stadttheater dieser Größe übernahm. Abgesehen von den historischen Erfolgen von Helene Weigel und darauffolgend Ruth Berghaus als Intendantinnen am Berliner Ensemble war Werners Direktion ein Dammbruch. Wurde Frauen doch sogar das Hosentragen bis in die 1970er-Jahre als kulturelle Aneignung vorgeworfen.

"Frau führt Regie"

Weibliche Führungskräfte galten bis zur Ära Kreisky als Abnormität. Auch Werner musste sich noch als "Kinderl" bezeichnen lassen. Aber die Tochter einer kunstaffinen Wiener Familie hat auf ihren Moment zielstrebig hingearbeitet und damit über viele Hürden hinweg Theatermacherinnen den Weg geebnet. Anlässlich ihres Volkstheater-Antritts sagte sie trocken: "Es gibt nur ganz wenige Berufe, für die primäre Geschlechtsmerkmale wirklich erforderlich sind, und Theaterleitung gehört sicher nicht dazu."

Das Volkstheater ist die ungleich größere Bühne, doch bis heute ist das Theater Drachengasse Emmy Werners Liebkind geblieben, wie sie in einem STANDARD-Interview bekannte. War es doch ein aus eigener Kraft stur erkämpfter Ort, der abseits männlicher Netzwerke funktionierte und der Regisseurinnen und Autorinnen Platz gewährte, der woanders nicht zu kriegen war. Die Drachengasse war ein Novum. "Frau führt Regie", lautete die Schlagzeile nach einer Premiere.

Dank der Unterstützung von Politikerinnen wie Hilde Hawlicek und Johanna Dohnal, auch dank prominenter Personen im Publikum wie Friedrich Achleitner, Erhard Busek oder Maria Rauch-Kallat wurde die Drachengasse ein bekannter und bald pulsierender Ort für zeitgenössische Dramatik und ist es bis heute geblieben. Heute kaum vorstellbar, aber damals kam sogar der amtierende Bundeskanzler Franz Vranitzky in die Drachengasse.

Mit dem neuen kleinen Theater waren plötzlich auch neue Texte da, von Autorinnen wie Friederike Roth, Christa Wolf, Erika Molny, Ingeborg Bachmann, Käthe Kratz, Brigitte Schwaiger, Marguerite Duras oder Margarethe von Trotta.

Jelinek versus Anzengruber

Wahrlich Geschichte aber schrieb Werner später am Volkstheater mit ihrer Entdeckung von Elfriede Jelinek für die Bühne. Erstmals hat sie 1990 mit Krankheit oder Moderne Frauen ein Stück der im Land geradezu geächteten, von Peymanns Burgtheater lange Zeit ignorierten späteren Nobelpreisträgerin an einem großen österreichischen Theater gezeigt. Emmy Werner musste dafür bei einem tätlichen Übergriff echte Prügel einstecken. Der Angreifer hätte lieber Anzengruber auf dem Spielplan gehabt.

Mag Werners Volkstheater-Ära insgesamt zu wenig international ausgerichtet gewesen sein, so hat sie umgekehrt mutig heimischen Autorinnen und Autoren ein Publikum erschlossen, von Gert Jonke bis Kathrin Röggla, von Wolfgang Bauer bis Franzobel oder Marlene Streeruwitz. In vielem hat ihr Programm, wenn auch nicht immer mit Fortune in der Umsetzung, deutlich weiter in die Zukunft geleuchtet als das ihrer Kollegen. Kämpferisch ist Emmy Werner in frauenpolitischen Fragen geblieben. Im Gespräch 2021 sagte sie: "Ich bin zu alt für die Barrikaden, aber manchmal denke ich mir, ich geh zum Stock-im-Eisen-Platz und halte eine Brandrede. (Margarete Affenzeller, 12.9.2023)

emmy werner
Foto: Hans Leitner / First Look / Picturedesk



Volkstheater Wien 1988 bis 2005: Alle Personen und Produktionen

Gestaltung © Wolfgang Palka, Wien 2007/2008

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