2004/05
Haupthaus |
Change Premiere 27. Februar 2005 Fery: Toni Böhm Inszenierung: Georg Schmiedleitner Ein rasantes Intrigenstück um eine wahnwitzige, skrupellose Manipulation im Kunstbetrieb, ein Existenztheater, ein gnadenloser Zweikampf ungleicher Männer, in dem der Manipulator zum Manipulierten wird, das ist Wolfgang Bauers Austroklassiker „Change“ aus dem Jahr 1969, der seit seiner Entstehung nichts von seiner Kraft und seinem frechen Witz eingebüßt hat. Am Volkstheater wagt man nun das Kühnste: Man belässt „Change“ in den späten sechziger Jahren. Das Gelingen ist beträchtlich, und so festigt das Stück seinen Rang als zeitloses Meisterwerk der Jugend- und Subkultur. Großartige Personen und Dialoge, eine Dramaturgie von enormem Sog – dergleichen wird heute nur noch selten geschrieben. Der Regisseur Georg Schmiedleitner nützt diese theatralischen Gottesgaben für einen Alptraum von grotesker Komik. Im Zentrum steht Erwin Steinhauer als Maler Blasi, der von der Kunstschickeria für ein niederträchtiges Experiment ausersehen ist und die Situation mit letalen Folgen umkehrt. Schmiedleitner exemplifiziert an ihm die Mechanismen einer faschistischen Machtergreifung. Toni Böhm, Fritz Hammel, Heinz Petters und Johanna Mertinz zeigen, welches Potenzial in Emmy Werners Ensemble steckt. Anna Franziska Srna aber führt diesen Beweis auf furioser Höhe: eine fast schon allegorische Kunstfigur, ein altersloses Kind, rätselhaft in seiner ordinären Anmut.
Mehrmals weichgespült ist von Bauers Satire eine ulkige Kleinbürger-Komöde mit verlässlichem Starensemble übriggeblieben. Musikalisch hat Schmiedleitner die Fadesse und Aggressivität einer entmoralisierten Gesellschaft elegant illustriert. Bei aller schauspielerischen Leistung blinkt aber ein riesiges Fragezeichen über der Volkstheater-Besetzungspolitik. So amüsant das Duo Steinhauer-Böhm auch sein mag, der drive, den „Change“ bekommt, wenn sich unter der Oberfläche des Spiels die Brutalität dieser grausamen Manipulation entblättert, der fehlt. Bei genauerer Betrachtung stellt sich denn auch die Frage, welche Chancen ein Regisseur für eine echte Reanimierung gehabt hätte: Auch Wolgang Bauers Milieu-Sprache ist der heute dort üblichen stark entfremdet. Bliebe also nur noch die völlige Dekonstruktion des Werkes. Und die wurde nicht gewagt. Zu sehen ist ein gut dispioniertes Darstellerteam mit einem kernigen Brutalo Erwin Steinhauer, einem genial verstörten Toni Böhm, einem gekonnt schmierigen Fritz Hammel und einem moshammerigen Heinz Petters im Vordergrund.
Mehr als 35 Jahre nach der Uraufführung war bei der Neuproduktion durch Regisseur Georg Schmiedleitner die Hauptfrage, ob das Verfallsdatum bereits überschritten ist. Doch die Premiere zeigte: Das Stück funktioniert nach wie vor – nicht zuletzt dank intensiver Darsteller. Toni Böhm (Fery) und Erwin Steinhauer (Blasi) treten in einer von Florian Parbs geschickt mit je nach Beleuchtung unterschiedlich wirkenden Farbstreifen ausgemalten Bühnen-Box zum Duell an: Fery erfindet eine Manipulation als Kunstaktion, bei der Blasi zunächst künstlich prominent gemacht und danach in Erfolglosigkeit und Selbstmord getrieben werden soll. Als schüchternes, linkisches Landei betritt Erwin Steinhauer die Bühne, scheinbar ein Fressen für die hungrigen Stadtwölfe. Keine Rede davon. Blasi kapiert sehr schnell, punktet mit seinem rauen, naiven Charme bei den Frauen und dreht das Spiel bald um. Zum Vorschein kommt ein gefährlicher Egozentriker, der den Zynikern überlegen ist, weil er skrupellos alle Mittel einsetzt, die ihm zur Verfügung stehen. Exzellent auch die Nebenrollen mit Fritz Hammel als schmierigem Kunstkritiker Reicher, Heinz Petters als tuntigem Fädenzieher Antoine, Anna Franziska Srna als Guggi und Johanna Mertinz als deren Mutter. Gerade durch das körperbetonte Spiel aller Beteiligten wird jedoch deutlich, wie eindimensional Wolfgang Bauer seine Frauenrollen als hilflose Geschöpfe zeichnete, mit denen die Männer machen, was sie wollen, ohne ihrer Liebe verlustig zu gehen. Schmiedleitner hebt zwar ihre Tragik deutlich hervor, zu ihrer Emanzipation fällt ihm jedoch weniger ein. Eine dichte, zweistündige Aufführung, die ohne besonderen Firlefanz die Haltbarkeit des Bauer-Klassikers beweist.
Pop-Art-Prinzen wie den Provinzkunstmaler „Blasi“ (Erwin Steinhauer), der sein Unwesen als Kunstbetriebsgeschöpf und als gemütvoll widerlicher Zerstörer in einer wunderbar sachverständigen, trockenen Aufführung des Wiener Volkstheaters treibt, muss man nicht neu erfinden. Man darf von dem „Blasi“ nicht einmal sagen, dass er blasiert sei. Er tut ja nur, was ihm ein hysterisch zuckender Manipulator (Toni Böhm) vor einer Bühne aus lauter hingemalten Anzugsnadelstreifen (Florian Parbs) vormacht. Derjenige, der aus einem „Geschöpf“ einen Golem machen will, ist aber das Opfer. Böhms „Fery“ ist ein deutlich gealterter Vitalitätsfrosch im Kunstbetriebsteich, dem die Liebesentzugsmaßnahmen eines wunderbar alterslosen Groupie-Girls (Anna-Franziska Srna) die eigentliche Lebensgrundlage entziehen. Der seiner eigenen „Manipuläschn“ – nämlich aus einem Provinzidioten eine Kunstbetriebsaktie mit Rendite zu machen – wie ein gestandener Ritter aus der Gascogne angstverschwitzt beiwohnt. Böhm als augenzuckendes, schmähführendes Szenebetriebskind, das sich einen Golem aus der Gosse des seine Vitalitätspfunde wuchtenden Steinhauer knetet: Es ist einer der wirklich unvermeidlich schönen, herzerweichenden, lauteren Bühnenzweikämpfe dieser Saison. Guggi (Srna), die mit Fery (Böhm) verbandelt ist und zum Wechsel zu Blasi (Steinhauer) förmlich gezwungen wird, zitiert die gliederzuckenden Beischlafanbahnungen eines „bürgerlichen“ Mädchens als Stationen auf einem Kreuzweg. Die beiden Künstler, der vermeintliche Manipulator und sein Mündel, treten das Kind in ihrem Bauch irgendwann tot – verheeren ihre wunderbar zeitlose Mutter (Johanna Mertinz) und exekutieren ihren Zweikampf auf Kosten eines schwulen Impresarios (Heinz Petters als Antoine). Regisseur Georg Schmiedleitner drückt Bauers Verschiebungen und Jargon-Verhebungen zu Wellen eines Sturms zusammen. Er peitscht den Jargon-Mist von 1969 („Mein Körper grüßt deinen Körper!“) hoch zu Erregungen im Seelenhaushalt der post-postmodernen Bohème. Ein großer Volkstheater-Abend. In „Change“ entfaltet sich das Psychodrama im Künstlermilieu reichlich altbacken und entwickelt eher unfreiwillige Komik als nachhaltige Spannung. Angesiedelt im historischen Nirgendwo, das weder mit klug-ironischen Brüchen etwas über Künstler von heute auszusagen vermag noch einen frech-witzigen Blick zurück in die späten 60er Jahre wirft, hängt die Inszenierung im luftleeren Raum, gibt den Schauspielern keinen Halt und spannt kein Feld, in dem sich der Psychokrimi entfalten könnte.
Mit „Change“, einem anarchischen, kraftvollen Stück des 28 Jahre alten Bauer, konnte 1969 im Volkstheater noch ein passabler Aufruhr ausgelöst werden. Heute reicht es im selben Haus nur für höflichen Applaus. „Change“ war einst ein echter Reißer und darf heute durchaus als Klassiker gelten. Schockieren aber kann Bauers grelles, bitterböses Spiel um Kunst, Manipulation, Sex, Gier, Gewalt und Spießbürgertum nicht mehr. Dafür umso mehr amüsieren. Das dachte sich wohl auch Regisseur Georg Schmiedleitner, der Bauers schräges Künstler-Panoptikum wieder auf die Bühne gebracht hat. Und das in einer Besetzung, die dem einstigen Aufreger auch zeitlich einen Spiegel vorhalten soll. Ein weites Einheitsbühnenbild (Florian Parbs) mit wenigen Versatzstücken suggeriert den jeweiligen Ort des Geschehens; fast in Cartoon-Manier laufen Sex- und Gewaltexzesse ab. Eine Herausforderung für die Darsteller, inmitten dieser Überhöhung einen Charakter zu finden: Erwin Stienhauer als Blasi gelingt das sehr gut. Beiläufig wandelt er sich vom Opfer zu einer brutalen, saturierten Bestie.
Die Figuren der Geeellschaft, die sich Blasi mit Gewalt unterwirft, müssen sich auch dem Schwank und der Outrage ergeben. Dabei würde sich ein Teil der Schauspieler, zumindest Toni Böhm als berechnender Fery, Anna Franziska Srna als naive Guggi, Heinz Petters als parfümierter Mäzen Antoine oder Fritz Hammel als korrupter Kunstkritiker Reicher, für eine bissige Zeit-Satire bestens eignen. 35 Jahre später hat man auf der Bühne Schlimmeres gesehen als Bauers Psychospielchen, Sexszenen und Brutalität. Um „Change“ zu spielen, braucht es heute einen sehr guten Grund. – Die Aufführung im Wiener Volkstheater landet indes am Ende bei wenig mehr als der Virtuosenrolle für den Virtuosenschauspieler Erwin Steinhauer – flirrend faszinierend durch und durch. Was bestimmt auch kein schlechter Grund ist ins Theater zu gehen. Auch die anderen können, was sie sollen: Anna Franziska Srna das Früchtchen Guggi; Johanna Mertinz das Opfer; schließlich Heinz Petters in der Figur des schwulen Kunstmoguls. Die einstige Betroffenheit konnte aber durch keine adäquate heutige abgelöst werden. Am Ensemble lag es nicht, dass „Change“ nicht mehr explodierte – es ist die Zeit, die einfach alles ändert. |