1993/94
Haupthaus

Clara S.
Musikalische Tragödie in zwei Teilen und einem Epilog
von Elfriede Jelinek

Premiere 27. März 1994

Clara S.: Andrea Eckert
Robert S.: Fritz Hammel
Marie: Vera Borek
Gabriele D’Annunzio: Wolfgang Hübsch
Luisa Baccara: Viktoria Schubert
Aélis Mazoyer: Michaela Pilss
Donna Maria di Gallese: Brigitte Antonius
Carlota Barra: Judith Keller
Zwei Irrenwärter: Ronald Seboth, Günther Wiederschwinger
Zwei Dienstmädchen: Ingrid Fallmann, Irene Sollat
Ein Mädchen: Ursula Strauss

Inszenierung Beverly Blankenship
Bühne Adolf Frohner
Kostüme Elisabeth Neururer
Musik Peter Kaizar
Klavieraufnahmen Emilia Goleminov
Choreographische Mitarbeit Kim Duddy
Training Kuku Sangaré

Sie konnten einander natürlich nie begegnet sein, die gefeierte Pianistin und wenig beachtete Komponistin Clara S(chumann) aus dem Deutschland des 19. Jahrhunderts und der Erfolgsautor und Kriegsheld Gabriele d’Annunzio aus dem Italien des frühen 20. Jahrhunderts. Doch Elfriede Jelinek schubst Clara samt familiärem Anhang bedenkenlos und wohlbedacht ins Italien Mussolinis und konfrontiert sie mit dem Über-Macho und seinem weiblichen Hofstaat. Weiblicher Prototyp gegen männlichen Prototyp. Künstlerin versus Künstler. „Großes Frauenleben“ und „männliche Größe“. Und natürlich nimmt da die „musikalische Tragödie“ – wie die Jelinek ihr Stück nennt – die Form einer bösen Farce an. Denn Clara ist nicht nur engelsgleiches Wunderkind und Hohepriesterin der Kunst, sie ist auch Gattin eines geisteskranken Genies, Mutter viel zu vieler Kinder und daher permanent in Geldnöten. Und d’Annunzio ist nicht nur Kriegsheld von eigenen Gnaden und Produzent schwülstig-kitschiger Romane, er verfügt auch über Geld und Macht in einem für Künstler und selbst für Kriegshelden ungewöhnlichen Ausmaß. Die Frau bietet Kunst zum Verkauf an, ihre eigene, europaweit gerühmte, die ihres genialen Gatten, die ihrer vielversprechenden Tochter. Doch der Mann will von Frauen nicht Kunst kaufen, die macht er bei Bedarf selbst, sondern Körper. Den Körper will die Frau nicht verkaufen. Macht auch nichts, käufliche Frauenkörper gibt es zur Genüge und in jeder Preislage. Auf dieser Grundsituation baut Elfriede Jelinek ihr wütendes Stück auf: wütend über den bürgerlichen Kunstbetrieb, wütend über männliche Kunstideologien, wütend über die Vernichtung weiblicher Kreativität. Luft macht sich ihre Wut in Gelächter. Und lächerlich sind sie schließlich alle, die Käufer und die Käuflichen, und am lächerlichsten die, die die Marktgesetze nicht kennen.

 
Pressestimmen

Elfriede Jelinke fordert für ihr Stück als Bühnenbild ein geschmackloses „Prunkzimmer, das jedoch irgendwie einer Tropfsteinhöhle gleicht – stalaktitenähnliche Gebilde hängen von der Decke herab.“ Als Bühnenbildner hat der Maler Adolf Frohner die szenischen Wünsche der Dramatikerin auf höchst eigenwillige Weise erfüllt und zugleich für sich weitergedacht. Er hat einen aberwitzigen Kunstraum gebaut, eine Kruezung aus Kammerkonzertsaal, Museumsdepot, Friedhofskitsch und Bordell. Von der Decke hängen tatsächlich „stalaktitenähnliche Gebilde“, die sich aber auch als Riesen-Kondome dechiffrieren lassen: da hat Frohners bildnerische Phantasie den szenischen Anweisungen der Elfriede Jelinek noch extra auf die Sprünge geholfen.
Wie in allen Stücken führt die Jelinek auch in diesem eher Prototypen als Individualitäten vor, lauter exemplarische Wortführer ideologischer Positionen. Und wie in allen ihren Stücken geistern und toben Popanze, Monster und Scheintote durch ihr Theater. Eigentlich treten Figuren nur auf, um sich hochartifiziell zu verlautbaren. Weil sie sprechen und indem sie sprechen, sind sie. Sie stehen unter Redestrom. Die Tirade ist ihre Existenzform. außerhalb ihrer Selbstverlautbarungssuada haben sie kein Leben. Und auch keine Entwicklung. Jelineks Bühnenfiguren neigen zum Stillstand, ihre dramatische Handlungsform ist die Stagnation.
Dieser wohlbekannten Schwäche der Jelinek'schen Dramaturgie begegnet die Aufführung durch geschickte Straffungen und Streichungen. Die Sache kriegt Tempo, Schneid und Drive. Beverly Blankenship verschleppt nichts, sie steuert ihr Bühnenpersonal mit heiterem Hohn durch alle Exaltationen und Hysterien. Eine Stimmung von sakastischem Ingrimm liegt über der böse hochstilisierten Szene.
Das Volkstheater hat mit dieser „Clara S.“ seine verdienstvolle Jelinek-Serie um eine weitere sehr ansehnliche Produktion vermehrt.
Sigrid Löffler, ORF-Theatermagazin

Was sich auf der Bühne begibt, ist kein Stück im landläufigen Sinn, sondern pure Ideologie, Diskussion, Spott und Hohn, Kampf bis aufs Messer mit den Mitteln der Sprache, aber auch jenen der Körperlichkeit, sprich Sexualität.
Das Chaos dieses Stückwerks, das seinen Haß in alle Richtungen sprüht, ist programmiert, aber auf der Bühne des Volkstheaters begibt sich das Wunder, daß Beverly Blankenship dies auf den Nenner eines in sich geschlossenen und stimmigen Theaterabends bringen konnte, der die Radikalität der Autorin voll zur Geltung bringt. Unerlässlicher Helfer war dabei Adolf Frohner als Bühnenbildner. In Plüsch und Gigantomanie beschwor er den Ästhetizismus des Faschismus. Durch den Abend schwebt, trippelt, tänzelt Andrea Eckert als Clara S., die schöne Puppe des Frauenideals, unter deren zart-reinen Outfit die schwarze, rachsüchtige Seele der Erniedrigten und Beleidigten steckt. Wolfgang Hübsch als d'Annunzio, glatzköpfig, widerlich, auf Gewalt und Sexualität fixirt, und Fritz Hammel als Robert Schumann, kreischend, zuckend, wahnsinnig, sind ihre Gegenpole. Michaela Pilss, Vera Borek, Viktoria Schubert und die anderen setzten das Unerträgliche mit viel Witz um.
Renate Wagner, Neues Volksblatt

Ihre Sprache ist ein kaltes Feuer, in dem die Männerwelt für jahrtausendelanges Unrecht Buße tut: Elfriede Jelinek wird endlich auch als Theaterautorin ihrer Qualität entsprechend gewürdigt. Das Volkstheater zeigt ihren Klassiker „Clara S.“
Elfriede Jelinek nähert sich den Gestalten mit der Präzision eines Pathologen und präpariert sie zu Fallbeispielen gesellschaftlicher Zustände.
Am Volkstheater müht sich Beverly Blankenship um eine synthetische Welt der Alpträume und der Kreaturen. Doch die entsteht eher in Adolf Frohners faszinierender, zwischen E.T.A. Hoffmann und dem Duce beheimateter Ausstattung. Hervorragende Schauspieler machen die Causa dennoch sehenswert: Andrea Eckert als Clara S., Wolfgang Hübsch als hochpräziser, packender d'Annunzio, Fritz Hammel als Schumann, Vera Borek als bizarres, gestörtes Kind: Ein Ensemble mit Star-Qualitäten.
Heinz Sichrovsky, Kronenzeitung

Fatal ins Ambiente eines Feydeau-Schwanks gerückt. Und so bleibt im gemütlich warmen Kitsch die Eiseskälte der Frauenverachtung ausgespart.
APA / Tiroler Tageszeitung

Beverly Blankenship arbeitet an dem linearen Psychogramm eine aufsteigende Handlung heraus und gruppiert die Darsteller so, als ob sie einem traditionellen Gesellschaftsstück angehören, läßt sie aber wie in einer Sternheim’schen Komödie agieRen. Sie wären aber wohl auch in einem wirklich guten Stück gut gewesen.
Paul Wimmer, Wiener Zeitung

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