1998/99
Haupthaus |
Mirandolina Premiere 6. September 1998 Mit Regie: Michael Schottenberg
Toller Saisonstart mit „Mirandolina“. Carlo Goldonis kluge Wirtin aus dem Jahre 1750 erweist sich in der Inszenierung von Michael Schottenberg und der Ausstattung von Christoph Kanter/Erika Navas ganz als Frau von heute. Und das, obwohl die Produktion das historische Ambiente ihrer Entstehungszeit wahrt. Das Spiel ist bunt, aber nie grell, chaotisch, nie oberflächlich, turbulent und nie platt. Die Seelennöte schlagen in Lachen um, das Lachen erzeugt Erkenntnis und Mitgefühl.
Wesentlichen Anteil am beträchtlichen Publikumserfolg hat vor allem Franziska Sztavjanik in der Titelrolle. Es ist eine Freude ihr zuzusehen, wie sie die Männer reihenweise um ihren Finger wickelt, wie sie ihre Reize – vor allem ihren reizenden An-(Blick) – einsetzt, ohne eine bestimmte Grenze zu überschreiten: Das Ganze bleibt ein Spiel, und sie führt dabei überlegen Regie. Thomas Kamper und Georges Kern geben zwei köstliche Freier, Toni Böhm ist ein frauenfeindlicher Hagestolz, der vor den Verführungskünsten Mirandolinas schließlich total kapitulieren muß: Eine höchst erfolgreiche Therapie, die ihn von seiner Angst vor dem anderen Geschlecht befreit. Piroska Szekely und Meriam Abbas als Schauspielerinnen tragen ebenso wie Wolf Dähne als Diener zum komödiantischen Genuß bei.
Mit der „Locandiera“ hat Goldoni eine der bezauberndsten Frauenfiguren der Weltliteratur geschaffen: schön, schlau und ein bißchen frivol, ein spontaner Sinnenmensch, der erst handelt und dann denkt, mit den Männern spielt und sich letztendlich selbst beinahe die Finger verbrennt. Und so wird sie von Franziska Sztavjanik im Volkstheater auch gestaltet. Kokett wickelt sie alle um den Finger, auch den erklärten Weiberfeind Ripafratta. Toni Böhm gestaltet ihn mit geradezu beklemmender Jämmerlichkeit. Köstlich affektiert Georges Kern als neureicher Conte und Thomas Kamper als verarmter Marchese. Mit vielen Nuancen und Details sind auch die anderen Rollen sehr genau charakterisiert, etwa Piroska Szekely und Meriam Abbas als Schauspielerinnen auf Abwegen. Und Thomas Stolzeti als Arlecchino, Mirandolinas eiserne Reserve in Sachen männlicher Beschützer. Eine spritzige, poetische, amüsante Saisoneröffnung am Wiener Volkstheater. Schottenbergs „Mirandolina“ ist voll Liebreiz, der Männer und Publikum betört. Sie heißt Franziska Sztavjanik. Bei Thomas Kamper als abgewirtschaftetem Marchese di Forlipopoli und Georges Kern als aufgeputztem Conte d’Albafiorita ist jedes Bonmot ebenso wohldosiert wie jeder Kratzfuß. Und Toni Böhm als Frauenhasser Cavaliere di Ripafratta verliert Todesmiene, Perücke und Contenance. Sieger bleibt Thomas Stolzetis Arlecchino: Er gewinnt mit Lautenspiel das Herz der schönen Wirtin. Schottenbergs Bearbeitung bewahrt Goldonis Spiel – nur scheinbarer – Zufälligkeiten: Seine Inszenierung ist nette Illusion. Dank Ausstatter Christoph Kanter entführt er in jenes Theaterland, in dem die Zitronen blühen. In Schottenbergs Fassung kommt zum Schluß Ernst und Nachdenklichkeit ins Spiel. Die Zuschauer dürfen mit nach Hause nehmen: Mit der Liebe ist nicht zu spaßen, Scherz reimt sich auf Schmerz. Michael Schottenbergs Inszenierung setzt auf Commedia-dell’arte-Heiterkeit. Auf der Bühne herrscht luftige, flexible Simplizität. Üppig dagegen die witzige Kostümparade (Erika Navas), die auf ein lustvolles Theaterfest einstimmt. Franziska Sztavjanik hat die Hauptrolle. Keck, struppig, ausgelassen ist sie eine jugendfrische Verführerin, die gerne mit ihren Hemdchen spielt und tief ins Dekolleté blicken läßt. Mit fast kindlicher Freude treibt sie ihr Spiel mit den Männern, gekonnt setzt sie Blicke, umkreist sie springlebendig ihr Opfer. … Es bleibt letztlich doch mehr eine nette, mehr liebliche als aufregende Aufführung. Unverständlich in der Anfangphase, wieso Schottenberg sowenig auf Tempo und Temperament achtet.
Die Aufführung des Volkstheaters beweist, daß dem Original lang Unrecht geschehen ist. Die Regie ist effektsicher, die Personenführung glänzend.
Mirandolina ist entzückend „weiblich“, die Verehrer verblödet „männlich“, nur selten ist ein echter Ton zu hören. Merkwürdigerweise formt sich das Ganze zu so etwas wie einem „Stil“. Zu erkennen ist nur, daß Schottenberg offenbar etwas wollte, was nicht aufgegangen ist. Das typische Spiel einer Frau, die sich in der Männerwelt behaupten will? Doch dann müßte das Ganze schärfer, nicht so gewollt bezaubernd sein. Nur Thomas Stolzeti und Wolf Dähne steuern gelegentlich natürliche Töne bei.
Eine für Goldoni gar nicht typische, ein bißchen altersweise, doch umso bösere Intrigenkomödie hat Michael Schottenberg ganz behend im Volkstheater serviert. So schön verbaut hat die sperrige Volkstheaterbühne schon lange niemand wie Christoph Kanter: in einem goldenen Rahmen, unterm originalgetreuen Schild Carlo Goldoni tut sich eine Bilderlandschaft im Stile der am Pariser Hof so geschätzten Comédie Italienne auf. Mehr als im Wort fand Michael Schottenberg im Bild zu raren Höhen.
Franziska Sztavjanik in der Titelrolle ist eine kokette, selbstbewußte Person mit wilder roter Mähne. Perfekt emotionslos in Sprache und Mimik spielt Toni Böhm den Cavaliere. Thomas Kamper und Georges Kern geben als adelige Stammgäste ein witziges Paar ab. Mit ihrem Bediensteten Arlecchino (Thomas Stolzeti) pflegt Mirandolina einen kameradschaftlichen Ton, bis die beiden schlußendlich zusammenfinden.
Nach ‚Diener zweier Herren’ am Burgtheater ist das jetzt schon die zweite Goldoni-Pleite in diesem Jahr. |