2002/03
Haupthaus

Phädra
von Jean Racine
(Deutsch von Simon Werle)

Premiere 1. September 2002

Phädra Andrea Jonasson
Oenone Vera Borek
Arikia Anna Franziska Srna
Theseus Thomas Evertz
Hippolytos Christoph von Friedl
Theramenes Hannes Gastinger
Ismene Johanna Mertinz
Panope Jaschka Lämmert

Inszenierung: Beverly Blankenship
Bühne: John Lloyd Davies
Kostüme: Susanne Hubrich
Musik: Peter Kaizar

 
Eine Frau, eine Königin, liebt ihren Stiefsohn und diese unglückliche, verbotene Liebe reißt ihn und sie selbst in eine blutige Tragödie. Eine uralte Geschichte. Erstmals von Euripides im Jahr 428 vor Christus dramatisch bearbeitet und dann immer wieder, von Seneca, von Racine, von d‘Annunzio, zuletzt von der jungen Engländerin Sarah Kane. Sie scheinen ihre Faszination nie zu verlieren, diese uralten Geschichten, die sich die Menschen erzählten, lange bevor sie sie aufschreiben konnten und deren ursprüngliche Bedeutung schon vergessen oder nicht mehr zu verstehen war, als sie zum ersten Mal niedergeschrieben wurden. Sie sind offen für neue Interpretationen, neue Bedeutungen, neue Erzählformen, aber sie behalten ihre archaische Gewalt, ihre mythische Kraft. Der Blick von heute auf die formvollendete Phèdre des Racine aus dem Jahr 1677 und durch sie hindurch auf die Phädratragödie des Euripides und weiter zurück auf die mythischen Ursprünge des Stoffs ähnelt einer Entdeckungsreise durch die Wildnis der Leidenschaften oder einer Archäologie der Gefühle .

 
Pressestimmen

Das Volkstheater hat zum Auftakt der neuen Saison viel Mut bewiesen und mit Jean Racines fünfaktiger Vers-Tragödie „Phädra“ einen Ausflug in die antike Mythologie und den französischen Klassizismus gewagt. Ein hohes Risiko, das sich bezahlt gemacht hat. Denn mit Andrea Jonasson steht eine grandiose Dramatikerin auf der Bühne, die auch dank der Regie von Beverly Blankenship einem „alten“ Stoff neues Leben einhauchen kann. Eine stringente Personenführung und die gute deutsche Übersetzung von Simon Werle illustrieren den sehr heutigen Totentanz. Ein Rahmen, in dem Andrea Jonasson all ihre Vorzüge perfekt ausspielen kann: Sie gibt eine wilde, rasende, verzweifelnde, sehnsüchtige, verlorene, um Liebe und Tod gleichermaßen bettelnde Frau und bewältigt den Spagat zwischen hehrem Kunstwesen und realem Leid mit Bravour. Neben der intensiven Andrea Jonasson sind es vor allem die Frauen, die in dem subtil gekürzten Drama dominieren. So ist Vera Borek eine in jeder Phase glaubhafte, ihr ganzes Leben allein Phädras Glück weihende, zum Scheitern verurteilte Önone. Und Anna Franziska Srna verleiht der Figur der Arikia auch berechnende Facetten. Die selbst ernannten Herren der Schöpfung sind ideal nach Typ besetzt. Christoph von Friedl als ungestümer, von Heldentaten träumender Schwärmer Hippolytos, und Thomas Evertz als selbstgefälliger Macho Theseus führen das in sich homogene Ensemble (Johanna Mertinz, Hannes Gastinger, Jaschka Lämmert) an.
P. Jarolin, Kurier

Andrea Jonasson ist der Star des Abends, sie gibt ihm Farbe und Attraktivität. Zur Eröffnung der Saison präsentiert das Volkstheater eine große Schauspielerin, die das Publikum kennt und liebt, noch dazu in der Rolle einer großen, mythischen, vom Schicksal geschlagenen Frau. Önone (Vera Borek) und Phädra bilden eine klassische Amme-Kind-Beziehung. Der Bruch zwischen den beiden ist einer der Höhepunkte der Inszenierung. Regisseurin Beverly Blankenship hat die moderne Übersetzung von Simon Werle eingekürzt und eine kompakte, durchgehend gespielte Zwei-Stunden-Fassung daraus geformt.
A. Pfoser, Salzburger Nachrichten

In der Szenerie mit archaisch anmutenden expressionistischen Elementen (Bühne und Lichtdesign: John Lloyd Davies) dominierte Andrea Jonasson als hochdramatische Phädra, die für ihre furios-verletzliche Interpretation vom Publikum gefeiert wurde. Der Bühnenbildner hat die Geschichte um die verbotene Liebe der Frau von Theseus, dem König von Athen, zu ihrem Stiefsohn Hippolytos in eine Art Gerichtssaal gestellt, mit düsterem Horizont und schwarzen hochlehnigen Stühlen. Die Sonne ist ein greller Scheinwerfer, der wie bei einem Verhör die Angeklagten blendet.
Oberösterreichische Nachrichten

Die Szenenfolge, die Blankenship auf der drehbaren Bühnenkonstruktion entwickelte, zeigte in erster Linie die wechselseitigen Verstrickungen der einzelnen Protagonisten an einer letzendlich kollektiven (seelischen) Katastrophe. Ein offen zur Schau getragener pathetischer Ansatz, der auch ein akustisches Echo (Musik: Peter Kaizar) findet. Andrea Jonasson gibt eine zwischen Verzweiflung und Raserei schwankende Phädra, die letztlich ihr Schicksal genau so wenig besiegen kann wie der gebrochene Theseus bzw. Hippolytos, der tragische Held des Trauerspiels. Ihre Phädra ist eine gebrochene Frau,
Ch. Dobretsberger, Wiener Zeitung

Ob der ruppig-männliche Thomas Evertz als König oder Hannes Gastinger als Prinzenerzieher: Jeder spricht zwei verschiedenen Körpersprachen– zackig als Militär, aber bisweilen wie Heroinen aus anno Schnee sich auf dem Boden wälzend. Beim rasend stürmischen Christoph von Friedl als Hippolytos aber kommt noch ein aufregendes Mienenspiel dazu: jugendliche Ratlosigkeit, Scheu – und dann und wann ein Aufblitzen von Eigensinn. Anna Franziska Srna als Arikia, der er zugetan ist: eine rundum kräftige jugendliche Naive. Der Ismene der Johanna Mertinz möchte man in keinem dunklen Gefängnisgang begegnen: verstört, gierig, unberechenbar. Vera Borek zeigt die zur Schicksalsmacherin aufgestiegene Bediente mit schmerzverzerrtem Gesicht und bebendem Busen, wenn sie Böses flicht. Eine Unwirkliche, eine Geheimnisträgerin wie aus dem Märchen bellt Worte, als wären sie nicht von ihr. Auch die nach Wien zurückgekehrte Andrea Jonasson ist kein in der Psychologie verwurzeltes Königsweib, sondern mehr: eine Erscheinung von Lust und Gier und Rache, hoch aufschäumend, tief niedersinkend, mit der allen Virtuosen eigenen Leichtigkeit.
H. Haider, Die Presse

Mit Theaterstar Andrea Jonasson als Racines „Phädra“ gelang Emmy Werner ein glanzvoller Einstieg in die Saison 2002/03. Andrea Jonasson spielt bis zur körperlichen Erschöpfung die Gefangene der Götter-Willkür. Gefühle, Regungen, Seelenstimmung werden an jeder Faser ihres schönen Leibes sichtbar, spürbar. Die Liebe zu ihren Stiefsohn Hippolyte brannte schon lange in ihr. Die Spuren dieses Feuers, vorerst königlich verhüllt durch einen Brokatmantel (Kostüme: Susanne Hubrich) werden bis zum Finale offenbart: in kindlicher, zusammengekauerter Haltung versinkt sie in die Nacht. Christoph von Friedls Hippolytos reüssiert an ihrer Seite vor allem mit sprachlicher Perfektion und jugendlicher Frische. Vera Boreks Önone und Hannes Gastingers Theramenes zeigen Zurückhaltung. Anna Franziska Srna gefällt durch aufblühende Theaterleidenschaft als gefangene Arikia, Thomas Evertz als König Theseus beim Zusammenbruch, beim Erkennen der Tragödie im eigenen Haus.
T. Gabler, Kronenzeitung

Jonasson ankert im Guten, Wahren und Schönen, während sie, noch ganz in Seide, Spitze und roten Samthandschuhen, das Unerhörte, Anstößige wie eine schlichte Notwendigkeit einbekennt. Spielt vor dem Stiefsohn in einer atemlos gehetzten Fall- und Wahnorgie nacheinander den Wildfang, die Kokette und die sanft vergorene Edeltragödin, die sich sozusagen kopfüber, von Kothurn herab, in ihr tragisch heiteres Liebesunglück stürzt.
R. Pohl, Der Standard

Regisseurin Beverly Blankenship hat leider nicht die harte, archaische Fassung des Euripides gewählt, sondern die weitgehend entmythologisierte Version des Franzosen, hatte aber Bedenken vor dem Pathos des gebundenen Nachdichtungen von Schiller und Schröder.
Sie bevorzugt die glatte, kühle Übersetzung von Simon Werle und zeigte auch in ihrer unentschlossenen Inszenierung zuwenig Mut für die großen Gefühle dieser mitleidlosen Tragödie. Viele äußerliche Modernismen ersetzen aber keine zeitgemäße, entschlossene Interpretation.
Volkmar Parschalk, Samstag

Produktionen P