Prinzessinnendramen
von Elfriede Jelinek
Premiere 1. Mai 2005
Der Tod und das Mädchen I
(Schneewittchen)
Schneewittchen: Erni Mangold
Der Jäger: Michael Rastl
Der Tod und das Mädchen II
(Dornröschen)
Prinzessin: Julia Cencig
Prinz: Christoph von Friedl
Der Tod und das Mädchen III
(Rosamunde)
Rosamunde: Jaschka Lämmert
Fulvio: Rainer Frieb
Der Tod und das Mädchen V
(Die Wand)
Sylvia: Babett Arens
Inge: Vera Borek
Inszenierung und Bühne: Alexander Kubelka
Kostüme: Birgit Hutter
Musik/Video: Karl Möstl
Elfriede Jelineks Zyklus „Prinzessinnendramen“ (Der Tod und das Mädchen I–V), 2002 uraufgeführt und 2003 als Buch erschienen, wird erstmals in Wien gespielt: Schneewittchen irrt als Wahrheitssucherin „auch in sprachlichen Angelegenheiten“ durch den Wald, Dornröschen wird von „einem lieben Herrn Prinz“, ihrem „Mr. Right“ wachgeküsst – „Ich bin die Macht. Wer sich gegen mich stellt, verliert sich selbst, gerade indem er auf sich pocht“ –, Rosamunde versucht als Schreibende sichtbar zu werden – „Ich schreib und schreib, die Königin der Welt bin ich, nur sieht mich wieder einmal keiner“ – und in „Die Wand“ feiern Ingeborg und Sylvia, zwei Literaturprinzessinnen, die vielleicht Ingeborg Bachmann und Sylvia Plath sind, ein rituelles Schlachtfest. Hier hat sich der Wald, durch den Schneewittchen irrt, die Hecke, die Dornröschen einschließt, in eine Wand verwandelt. „Als wir sie sahen, die Wand, da konnten wir sie schon nicht mehr umgehen. Wir konnten mit ihr nicht umgehen.“ Die „Prinzessinnendramen“ wirken leichter, spielerischer als viele andere Stücke von Elfriede Jelinek, doch weder ist das Politische aus ihnen verschwunden noch ihr Zorn.
Pressestimmen
Ronald Pohl, Der Standard, 3. Mai 2005
Blutschlucker mit Wahrheitsdurst
Die von Alexander Kubelka inszenierte Auswahl aus Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“ überzeugt im Wiener Volkstheater mit zweierlei Vorschlägen zur szenischen Güte. Erstens: Jelinek macht brauchbare Spielvorschläge. Zweitens: Man muss nur die besten nutzen.
Der Anbeginn, der jedem unabwendbaren Geschlechterzerwürfnis vorausgeht, gehört: einer im Abendrot ihrer Ära sitzenden Frau Direktor. Es ist Emmy Werners resignierte Stimme, die aus dem Off heraus Hesiods Theogonie im Wiener Volkstheater rezitiert. Denn in dieser Gründungsakte für Elfriede Jelineks Prinzessinnendramen werden dem Uranos von Sohn Kronos die Hoden abgeschnitten und blutspritzend in die Gegend geworfen.
Aus der verkleckerten Suppe steigen die rachedürstenden Erinnyen aus dem Schmutz der Überlieferung herauf. Zwei Putzfrauen, die jeweils auch noch die untröstlichen Dichterinnen Ingeborg Bachmann (Vera Borek) und Sylvia Plath (Babett Arens) personifizieren sollen. Die eine schlägt den Widder (Arens). Die andere raucht schon einmal vorsorglich diejenige Zigarette, die ihr im römischen Exil den Garaus via Brand machen wird.
Von nun an gelten Reinheitsgebote. Was in der genial durchdrehenden, durch sämtliche Bedeutungszentrifugen gedrehten Aggressionssprache der Jelinek nichts anderes meint als: Scheidungsakte, Unterwerfungsdiktate, Entblößungsvorgänge.
Stehaufmänner aus den Buntprospekten der Begehrlichkeitsindustrie klettern aus Bilderbüchern heraus und penetrieren die ihnen vorgesetzten Märchenprinzessinnen. Je nach Gemütsverfassung und Traditionsabkunft mit Jagdgewehr, Handkamera oder mit ihrer schamlosen Nacktheit.
Regisseur Alexander Kubelka ist, von den Suaden des Textes überströmt und wie besudelt, einen Mittelweg gelaufen. Er hat, als sein eigener Bühnenbildner, aus den aufklappbaren Buchseiten eine bewegliche Wandschachtel gezimmert. Er treibt nacheinander Schneewittchen, Dornröschen, Rosamunde (Jaschka Lämmert plus Ensemble) in ein kupfernes Deklamieren hinein. Was diesen überschnappenden Sätzen – die tief in Martin Heideggers Seinsgrund wühlen, um nichts als Worttrüffel und Gesinnungsmaden herauszustöbern – merkwürdig gut zu Gesicht steht.
Der ideologische Schmutz fliegt nur so dahin vor den Schüttwänden einer Zivilisationskloake. Das flächige Räsonieren eines greisen Schneewittchens (Erni Mangold), das nach „Wahrheit“ sucht, die Hutzelschwänzchen der sieben Zwerge verfehlt und den Tod durch die Flinte des steinernen Försters (Michael Rastl) findet, atmet den Dunst einer gehässigen, leichenblassen Schönheit.
Von bemerkenswerter Güte auch die „Dornröschen“-Szene. Eine wunderschöne Rollschuhprinzessin (Julia Cencig) wird von einem Kraftkammer-Beau (Christoph von Friedl) in einen Zustand der fundamentalontologischen Wahrhaftigkeit hinaufgeküsst. Das burschikose Wollhaubenmädchen turnt umstandslos aus dem Schlummer seiner existenziellen Nicht-Befindlichkeit in eine buntpapiere- ne Euphorie hinüber. Cencig mimt den Bunny, der aus dem Kussmund eines haarwerfenden Prinzen das bisschen Beatmung zum Leben als leibhaftige Masturbationsvorlage förmlich heraussaugt.
Von solchen, im Gelärme der Satzfluten leicht untergehenden Paradoxa lebt die unüberbietbare Statuierungskunst Jelineks.
Kubelka erlaubt sich keinerlei Eigenmächtigkeiten (was den „Rosamunde“-Szenen leider gar nicht gut bekommt). Er hält aber auch erstaunlich stilsicher die Mitte zwischen toter Anbetung und lebendiger Anverwandlung. Er besitzt in Babett Arens eine der besten Jelinek-Sprecherinnen des Sprachraums. Und er macht sich mit Frohner-Kulissen und asiatischen Schubert-Sängerinnen gehörig lustig über einen Furor, der sich – an der Stelle des missliebigen Patriarchats – an sich selbst verschluckt.
Vom göttlichen Absturzplatz Hesiods in den Bühnenhimmel des Volkstheaters ist es ein weiter Weg. Kubelka und sein Team sind erstaunlich hoch geklettert.
Norbert Mayer, Die Presse, 3. Mai 2005
Jelinek: „Sie sind ja ein Tier, Herr Prinz!“
Emmy Werners Stimme aus dem Off; die scheidende Direktorin des Volks theaters zitiert den schrecklichen Uranos-Mythos, die blutige Mär vom Kinder-Verzehrer. Zur Bestätigung werden auf der in blaues Licht getauchten Bühne griechische Buchstaben auf einen riesigen Ringordner projiziert. „Hesiod. Theogonie“ steht ganz oben drauf. Eine Göttergeburt also. Das muss ironisch gemeint sein, denn die Götter sind hier tot und den Göttinnen geht es auch nicht gerade prächtig. Dann bewegt sich was, der Ordner wird zur Wand, zum Haus, auf treten die putzig gekleideten Frauen Sylvia (Babett Arens) und Inge (Vera Borek). Sie weiden mit bloßen Händen einen Bock aus.
So archaisch und grandios beginnen Jelineks „Prinzessinnendramen“, am Sonntag erstmals in Wien aufgeführt. Genauer gesagt handelt es sich um die Dramen eins bis drei, eingebettet in „Die Wand“ eins bis vier, Minidramen, die einem die Wahl der Lieblings-Prinzessin schwer machen: Erni Mangold als eitles Schneewittchen, Julia Cencig als frisch erwecktes und hurtig missbrauchtes Dornröschen, Jaschka Lämmert, Arens und Cencig als schräges Rosamunde-Trio.
Die Herren haben da nicht viel zu vermelden, dem Jäger (Michael Rastl) verschlägt es gar die Sprache, eine Souffleuse springt ein, der Prinz (Christoph von Friedl) manipuliert geschickter mit der Videokamera als mit der Partnerin, und der köstliche Fulvio (Rainer Frieb) säuft, von den drei Grazien gefordert, fast in der Badewanne ab.
Aber die Männer kann man beiseite lassen wie ausgeweidetes Vieh in diesem starken Frauenstück. Es ist auch nicht wesentlich, dass sich Regisseur Alexander Kubelka, der zudem die Bühne (mit schmucken Wandzeichnungen nach Adolf Frohner) gestaltet hat, brav an den Text hält und das Orgiastische beinahe bieder administriert. Es sind die Schauspielerinnen, die diese ungeheuren Texte zu einem Erlebnis machen. Frau Mangold kämmt ihr goldenes Haar: „Für die Zwerge werde ich mich gern hinlegen, damit die auch ihre Ego-Erfahrungen machen können“, sagt sie in einem bitterböse vorgetragenen Monolog. Sie hat den Titania-Kampf gegen die Stiefmutter gewonnen und wird dann doch vom Jäger kalt gemacht. Die Zwerge kommen zu spät, als Einspielung eines Comic-Videos an der Wand. Das Schöne könne ohnehin keine Berge versetzen, meinen sie läppisch blöd.
Frau Cencig ist nach hundert Jahren Schlaf von einer ansteckenden Frische. Gelenkig turnt sie sich durch ihren Akt, gibt eine fabelhafte Vorstellung, verheddert sich nicht in der von Existenzphilosophie getränkten Sprache. „Sie sind ja ein Tier, Herr Prinz! Ich hingegen glaube, ich bin ein Ereignis, weil ich mich ereigne, nicht weil ich mir was anziehe“, sagt Dornröschen. Da ist ihr Bespringer schon ganz atemlos.
Weniger überzeugend wirkt der Rosamunde-Akt mit seiner rhythmischen, von eitler Werbung durchzogenen Sprache, die von Lämmert, Arens und Cencig wie ein einschläfernder Sprechgesang vorgetragen wird, ein schwesterliches Klagelied: „Ungeheuer! O meine Mutter, vergib mir! O mein Schreiben vergib mir!“, tönt es da von der Bühne, während sich Fulvio unter Aufbietung ziemlich blanker Verse entblößt. Rosamunde endet wie im Off: „Meine Stimme. Meine Stimme. Meine Stimme. Meine Stimme. Sagt nichts.“
Das ist schon recht ephemeres Geleier, die einzige Schwäche an einem sonst so starken Abend, das Pathos will nicht bewegen. Umso besser, dass Arens und Borek solch amüsante Zwischenspiele geben. Sie sind die Königinnen dieser Klassefrauen, sie weiden ihre Lämmer gründlich aus, sie wissen, dass der Ozean einer ist, der tötet und dann die Toten verschlingt. Sie haben keine Illusionen über Papi: „Wir wollen von jemandem verschlungen werden, aber so, dass man uns danach noch sieht. Dass man uns sogar noch viel mehr sieht als zuvor, bevor wir vernascht wurden“, sagt Sylvia. Das genügt ihnen schon. Solch edle Töchter braucht das Land.
Peter Jarolin, Kurier, 2. Mai 2005
Der ewige Kampf der Geschlechter
Schneewittchen irrt durch den Wald, auf der Suche nach ihren Zwergen. Doch sie trifft nur den Tod. Dornröschen hat ganz andere Probleme: Sie wird von einem Herrn Prinz wachgeküsst, ist fortan der Vergänglichkeit ausgeliefert. Rosamunde versucht, als Schreibende sichtbar zu werden und verschwindet letztlich. Wie auch Inge(borg) und Sylvia, die Tote beschwören und an einer Wand scheitern.
In ihren „Prinzessinnendramen“ spielt Elfriede Jelinek auf höchst vergnügliche, dabei gewohnt sprachgewaltige Weise mit Mythen, Märchen, Wahrheiten und dem Kampf der Geschlechter. Wie aber lassen sich Jelineks gigantische Textflächen auf dem Theater umsetzen? Zertrümmern, zerfleddern, zerschlagen oder bildgewaltige Gegenwelten entwerfen ? Der Literatur-Nobelpreisträgerin ist bekanntlich alles recht.
Im Wiener Volkstheater jedoch hat Regisseur Alexander Kubelka einen anderen, weniger modischen Weg gewählt: Kubelka – er zeichnet auch für die Ausstattung verantwortlich – bleibt konsequent am Text, bebildert diesen und bekommt Jelineks Sprachgebilde – den vierten Teil der „Prinzessinnendramen“ hat man ausgeklammert – dabei erstaunlich gut in den Griff.
Eine aufklappbare, nach allen Seiten dreh-und faltbare Wand dient als Bühnenbild; an wechselnden Schauplätzen kommt es zu den Begegnungen zwischen Frau und Mann. Da wird mit allen Mitteln um die (sexuelle) Vorherrschaft gekämpft, da gibt Dornröschen ihrem Prinzen Saures, da wird in Badewannen geplantscht, da liefern einander die Geschlechter Duelle.
Kubelka hat das alles sehr leicht und (nach etwas zähem Beginn) kurzweilig in Szene gesetzt. Es darf viel gelacht und noch mehr gedacht werden. Denn trotz vieler Späße, ein bisschen nackter Haut und gut gesetzten Regie-Gags werden Jelineks Schärfe und Wut immer wieder sichtbar. Das liegt auch am Ensemble. Zwar hatte die Souffleuse bei der Premiere (hörbare) Einsätze; das Tempo und die ironische Distanz aber stimmen.
Vor allem dann, wenn Julia Cencig auf der Bühne steht: Sie ist als Dornröschen das Ereignis der Aufführung, perfekt in Spiel und Diktion. Ihre rasant-schrille Erweckungs- und Liebes-Szene wird zum absoluten Höhepunkt.
Christoph von Friedl (witzig) als selbstverliebter Prinz kann einem bei so viel Frauenpower fast schon Leid tun. Wie auch Michael Rastl (blass) als Jäger, der gegen die wunderbar subtil irrlichternde Erni Mangold (Schneewittchen!) keine Chance hat.
Auch Babett Arens (Sylvia) und Vera Borek – sie kann als Inge noch am Text arbeiten – zeichnen präzise Frauenbilder. Und Rainer Frieb wehrt sich mehr als tapfer gegen die in drei Figuren aufgesplitterte Rosamunde einer Jaschka Lämmert, Babett Arens und (auch hier ausgezeichnet) Julia Cencig. Jubel!
Werner Thuswaldner, Salzburger Nachrichten, 3. Mai 2005
Aus Jelinek wird Volkstheater
Volksmärchen und Volkstheater gehören zusammen. Davon geht in Wien Regisseur Alexander Kubelka bei Elfriede Jelineks „Prinzessinnendramen“ aus.
Meist kriegen sich Prinz und Prinzessin am Ende. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. So glatt wie im Volksmärchen geht es bei Elfriede Jelinek selbstverständlich nicht ab. Aus der Beziehung zwischen Mann und Frau hat nämlich das Schicksal (oder sonst jemand) eine tödliche Feindschaft gemacht. Die Frau führt zwar ihre Schönheit ins Treffen, aber das nützt ihr nichts. Auch ihr Versuch, sich schreibend zu behaupten, geht schief. Zwischen dem Vater und den Kindern ist es übrigens auch nicht zum Besten bestellt. Das sagt schon der antike Mythos. Der Vater trachtet ihnen nach dem Leben, will sie auffressen.
Elfriede Jelinek bedient sich virtuos verschiedener Quellen. Mythos, Märchen, Triviales, aktuelle Politik und anderes mehr geben den Stoff ab, aus dem sie kunstvolle, sprachmächtige Prosa-Arien baut. Auch die „Prinzessinnendramen“ aus dem Jahr 2002 erweisen sich – nicht überraschend – als ein Parforceritt über philosophische Höhen und durch Tiefen platter Alltäglichkeit. Ständig wird vom Publikum verlangt, anstrengende Kopfarbeit zu leisten. Wie wird es dafür sinnlich entschädigt?
Im Wiener Volkstheater läuft alles prächtig. Die Zuschauer haben offensichtlich keinerlei Probleme mit Kaskaden dichtesten Textes, die von der Bühne kommen, zurechtzukommen. Sie können den Episoden von Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde jede Menge Unterhaltungswert abgewinnen und danken enthusiastisch.
Ursache dazu gibt Regisseur Alexander Kubelka. Er geht wohl von der Überlegung aus, dass es vom Volksmärchen zum Volkstheater nur ein kurzer Schritt sein könne.
Erni Mangold als Schneewittchen, das schon allerhand mitgemacht hat, das durch den Wald irrt und schließlich vom grausamen Jägersmann (Michael Rastl) erlegt wird, ist ja wirklich sehr komisch. Weniger lustig, dafür am ehesten in der Nähe eines Dramas, bewegt sich die „Rosamunde“-Episode, in der der existenziell bedrohten Frau (Jaschka Lämmert) der Mann als personifizierte Widerlichkeit (Rainer Frieb) entgegentritt. Im Mittelteil wird Dornröschen (Julia Cencig) von einem harmlosen Prinzen (Christoph von Friedl) wach geküsst, bevor der Kampf der Geschlechter beginnt.
Stoff schlägt die Schriftstellerin auch aus dem Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer. Regisseur und Ausstatter Kubelka nimmt die Wand wörtlich und baute daraus das Bühnenbild. Als zwei gemütvolle Rachegöttinnen in Putzweiber-Gestalt treten Eva Borek und Babette Arens auf. Mit ihnen kommt Kubelka dem Konzept, aus Elfriede Jelinek Volkstheater zu machen, am nächsten.