1993/94
Haupthaus |
Restwärme Österreichische Erstaufführung Premiere 6. Februar 1994 Mit Inszenierung: Stephan Bruckmeier Ein Mann übt. Er übt nicht für eine außergewöhnliche Leistung oder eine schwere Prüfung. Nein, nur für ein ganz normales Einstellungsgespräch. Aber was ist da alles zu bedenken und zu beherrschen. Bei früheren Einstellungsgesprächen hat er Fehler gemacht. Zuwenig auf seine Haltung geachtet, zuwenig auf sein Lächeln, zuwenig auf seinen Atem. Es gibt ja so viele Fehlerquellen: Die Unterwäsche und die Ernährung und die Weltanschauung … Doch diesmal darf nichts schiefgehen, diesmal muß alles unter Kontrolle sein: kein Mundgeruch, keine feuchten Handflächen, keine farblich schlecht abgestimmte Krawatte. Doch je mehr der Mann übt, desto unerreichbarer wird das Ziel, desto aussichtsloser wird der Kampf um Perfektion. Eugen Ruge, der Autor aus der früheren DDR, meint mit seinem Stück die postkommunistische Gesellschaft – die erbärmliche Selbstentwertung von Menschen, die sich den unbegriffenen Gesetzen der Marktwirtschaft anbiedern. Stephan Bruckmeier und Toni Böhm transferieren das Stück mit glänzendem Erfolg in unsere Verhältnisse. Ein alter Linker versucht in Zeiten der Rezession verzweifelt, seine aus der Mode geratene Ideologie im Austausch gegen einen Posten zu verschachern. Schwitzend probt er das möglichst reibungsfreie Eindringen in ein Abdomen der unteren Führungsebene.
Grandioses Volkstheater. Eine verblüffend grandiose Erstaufführung. Das Gedeihen der Volkstheater-Auslastung wird nicht zuletzt von der oftmaligen Ansetzung dieser furiosen Ein-Mann-Produktion abhängen: Selten hat man Toni Böhm so auftrumpfend gesehen wie in dieser seiner Verwandlung vom Tugendbold in einen Tunichtgut. Die Seelen-Kompostierung findet in pausenlosen eineinhalb Stunden statt. Da mutiert Böhm vom selbstgewiss Deklamierenden zum Häufchen Elend, das, einen Joint rauchend, gerade noch ein Tänzchen mit dm Bügelbrett wagt. Toni Böhm unternimmt eine grandiose Tour de Force, ohne je ein Selbstzweck-Kunststück auf die Bühne zu bringen. Er vollbringt vielmehr in der Inszenierung von Stephan Bruckmeier das Kunststück, den vom Autor vorgestellten politisch ganz konkreten Fall so darzustellen, daß die Parabel voll und ganz auch für uns gilt. Toni Böhm wäre nicht der großartige Schauspieler, der er ist, könnte er ‚Restwärme’ nicht noch den letzten Restwitz abgewinnen. Doch der Autor vergab alle Chancen auf das aktuelle Stück über Arbeitslosigkeit, zu dem der Einfall herausgefordert hätte. |