1994/95
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Sonnenstich Uraufführung Premiere 9. März 1995 Mit Inszenierung: Wolfgang Palka Hippolyt, 22 Jahre alt, trainiert für den Weltrekord im Stabhochspringen; für einige Zeit hat er sein Trainingslager im Haus seines Vaters, Konrad, der im Ausland seinen Geschäften nachgeht, aufgeschlagen. Seine junge Stiefmutter, Vera, siecht seit Hippolyts Eintreffen an einer rätselvollen Krankheit dahin; die Ärztin kann physische Ursachen nicht feststellen und rät zu einer psychotherapeutischen Behandlung; Hippolyt vermutet, daß das lange Fernbleiben seines Vaters Vera gemütskrank macht, aber er kann sich auch vorstellen, daß sie unter ihrer Situation als Ehefrau im goldnen Käfig eines allmächtigen Mannes leidet. Tatsächlich jedoch ist Hippolyt die Ursache von Veras Siechtum: sie hat sich in die Krankheit geflüchtet, um sich zu schützen vor verbotenen Gefühlen, die sie zu überwältigen drohen, und um sich verachtender Zurückweisung nicht auszusetzen, die sie befürchten muß, wenn sie sich zu ihrer Leidenschaft bekennt – denn Hippolyt hat sich ganz seinem Sport geweiht, dem großen Ziel, das nichts duldet neben sich. Vera sucht Rat bei Julia, die sie für ihre Freundin hält; aber Julia verfolgt im eigenen Interesse unerbittlich gänzlich andere Zwecke … Eine „Phaedra“-Variation, heute, im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert; im Zeitalter von Beziehungs-Gemurmel und Bedürfnisbefriedigungs-Geschwätz große Gefühle; unzeitgemäße Leidenschaft alles riskierender Liebe, die sich dem von praktischer Vernunft diktierten Verzicht auf die Fülle des Lebens nicht fügen kann. Palka adaptierte den Phaedra-Mythos für die heutige Zeit, änderte das Ambiente der Hauptfiguren und inszenierte sogar mit leicht anmutender Hand in der passenden Ausstattung von Mimi Zuzanek gleich selbst. Fazit: Eine Leidenschaft wie ehedem bei den alten Griechen, die unter den Beteiligten viel Unruhe stiftet, doch die hehre Tragik ist hier etwas grotesk übermalt. (Ob es allerdings nötig ist, daß Vera gegen Ende des Geschehens die Sage zu erzählen beginnt, möchte ich zur Diskussion stellen.) Das sonst zügig ablaufende Stück liegt bei den Darstellern in den besten Händen: Viktoria Schubert erfühlt intensiv die vor sich hinleidende, in die Krankheit flüchtende, vernachlässigte Ehefrau, die aber nicht nur zur stillen Dulderin geboren ist, sondern auch über viel Härte verfügt; Axel Sichrovsky gibt einen sehr natürlichen, seine Atouts locker ausspielenden Hippolyt, der aber auch glaubhaft zu machen versteht, daß er dem Platzhirsch, seinem erfolgreichen Vater, lieber das Feld räumen möchte. Als dieser, Konrad mit Namen, ist Peter Uray kraftvoll, listig, erfolgsgewohnt – und dennoch mit seinem Latein am Ende. Eine blendende Leistung! Ihm entspricht Hertha Schell als Exfreundin Julia, die nun zur Gegnerin wurde. Brigitte Antonlus verleiht last not least der Arztin mit ihrer Persönlichkeit Kontur.
Eine Paraphrase auf den klassischen Phädra-Stoff, den Euripides in die Weltliteratur einbrachte. Unerwiderte Liebe hat den Selbstmord zur Konsequenz. Fast 2500 Jahre später wird die Geschichte durch Ironisierung spannend: Das Wortwörtliche meint mehr und enthüllt eine Leere, der Phädra durch Weggehen entkommen könnte. Regisseur Palka ist dem Autor ein wenig in den Arm gefallen: Er hat naturalistischen Verlockungen nachgegeben, wo Stilisierung angesagt gewesen wäre. Einige Darsteller plumpsen in jenes Loch, das sich bei mehr inszenatorischem und schauspielerischem Mut gar nicht aufgetan hätte. Trotz allem: Eine von den Wiener Kritikern weit unter ihrem Wert geschlagene Theaterproduktion. Das Stück, sehr frei der „Phädra“ des Euripides nachgeschrieben, funktioniert als Tragödie gar nicht schlecht. Am Sofa gibt sich Vera-Phädra ihrem Leiden hin: der Einsamkeit und unerfüllten Liebe. Ihr Gatte Konrad, moderner Theseus, reist von Geschäftstermin zu Geschäftstermin durch die Lande, ihr Stiefsohn, Hippolvt, sportelt sich dumm. Phädra will ihn, beichtet sie Julia, der besten Freundin. Doch diese rohe Frohnatur will nur den Weltrekord. Axel Sichrovskv sprintet um’s Sofa, ein blödes Grinsen im Gesicht. Er begreift nichts. „Dummkopf. Pferd“, schimpft ihn Vera. Doch kommt, was kommen muß: Verführung, doppelter Verrat. Hippolyt verrät die Liebe: Das Vatersöhnchen wünscht nach der gemeinsamen Nacht feige, es wäre nichts geschehen. Julia verrät die Freundschaft: Sie hat die beiden in ihrem Liebesspiel auf Polaroid gebannt. So weit, so dramatisch, auch berührend. Viktoria Schubert als Vera weiß mit unverwandten Blicken, mit Tönen zwischen Trotz und Hoffnung zu bannen. Komisch ist das Stück auch dort nicht, wo die Figuren – der Tolpatsch Hippolvt etwa oder die Tratschtante Julia – es nahelegen, verlangen. Plötzlich betritt jedoch gegen Ende des kurzen Spiels Peter Uray als polternder Gatte die Szenerie und macht uns befremdet lachen. Also doch eine Komödie? Dieser Weltmann mit schlechten Manieren der, der alles niederredet: Auch er begreift nichts. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Es kommt anders, als man denkt, denn Vera wählt nicht wie bei Euripides, Seneca, Racine den Freitod, sondern erstarkt unvermutet und verläßt die öde Stätte als emanzipierte Frau. Das Finale will zu gar nichts passen: zur Tragödie nicht, zur Komödie auch nicht. |