1992/93
Haupthaus

frontal

Wolken.Heim.
von Elfriede Jelinek
Und Nachtrag
(für die Aufführung am Volkstheater von der Autorin geschriebener Zusatztext): An den, den’‚s angeht

Österreichische Erstaufführung

Premiere 5. April 1993

Mit Babett Arens (die Andere), Toni Böhm (der Wanderer), Hannes Gastinger (Er), Judith Keller (die Junge), Brigitte Neumeister (Sie)

Inszenierung: Michael Wallner
Bühne nach einem Entwurf von Laszlo Varvasovszky

 
Eine Geschichte von Menschen, die sich ihre Legitimität und Identität ersprechen (müssen), eine bitterböse Auseinandersetzung mit Deutschtum und Heimatsuche.

 
Pressestimmen

Jelineks Wolken.Heim ist eine unerhörte Behauptung, eine Gratwanderung zwischen geschichtlicher Abraumhalde und Sprach-Geröll. Was die Dichterin nahelegt: In dieses taube Gestein wurde einst das Saatkorn gelegt für Krieg, Holocaust, Fremdenhaß.
Nichts von alledem wird spürbar. Da wird die Berauschung an den Prosodien eines Hölderlin zur bloßen Heurigenseligkeit, Jelineks Sprach-Oratorium zum Operetten-Libretto. Lazzi und Lappalien.“
Das theatralische Ingenium der Elfriede Jelinek herauszustellen mit neuen, unerhörten Bildern – diese Tat steht trotz dankenswerter Bemühungen des Volkstheaters noch aus. Denn Jelineks Theater ist ein Theater der Grausamkeit. Es ist schmerzlich, das Schöne, weil Wahre und Gute, auf dem Komposthaufen der Geschichte landen zu sehen.
Der Standard

Untote, Sprachhülsen sind unterwegs, um die brüchige Ortlosigkeit in der Gegenwart wegzuscheuchen. Poetische Anleihen aus der Vergangenheit müssen herhalten, um im zwanghaften Refrain die gefährdetet Identität der Gegenwartsdeutschen auszuleuchten. Die Österreicher dürfen sich bei diesen exorzistischen Rundumschlägen durchaus getroffen fühlen; durch einen Nachtrag hat Elfriede Jelinek dies unterstrichen.
Die Inszenierung segelt sicher durchs Grenzland zwischen politischer Parodie und narzistischem Gelaber, zwischen manieristischem Sprachspiel und entlarvendem Schnitt.
Hannes Gastinger führt im Steierer wieder einmal vor, wie herrlich ironisch er rezitieren kann. Brigitte Neumeister ist ihm die kleinbürgerliche Gefährtin. Babett Arens tritt als selbstbewußte junge Frau an, und Toni Böhm wird mit Rucksack, Stab und Anorak zum Wanderprediger, der das Heldische preist. Allesamt meistern sie das vertrackte Sprachgebilde bestens.
Salzburger Nachrichten

Nach „Krankheit“ und „Nora“ zwei Jelinek-Aufführungen des VT, bei denen Witz und Tand zum Tansport der Sprachkunst aufgeboten waren, gibt es diesmal Jelinek pur. Im bestechend simplen Bühnenbild können sich Er, Sie, der Wanderer, die Andere, die Junge ganz im Wort begegnen.
Was den Älteren das „Hoamatl“ mit rauschenden Wäldern, Haus und Heim – die es unter allen Umständen zu verteidigen gilt – ist der Jungen der Existenzkampf mit dem und gegen das Fremde.
Zitate von Kleist, Hölderlin, Fichte, Hegel, Heidegger sind in den Text vrewoben. Die Botschaft ist klar: Deutsche Philosophie und Dichtkunst als Nährboden für nationale und nationalistische Mystifikationen, die sich in der Romantik verdichteten und später ins Dritte Reich führten. Spröde ist dieses Werk _ handlungsarm, ohne nachvollziehbare Dramaturgie. Und doch zeigt es die latent vorhandenen vagen Mythen von Heimat, Blut und Boden, aus denen sich bei passender Gelegenheit politisches Kapital schlagen lässt.
Den Strip des Textes auf seinen eigentlichen Gehalt hat Michael Wallner sehr gut bewältigt. Daß Jelineks Sprache zu grellen Effekten verführt, ließ Wallner offenbar unbeeindruckt – zum Vorteil der Inszenierung.
Die Presse

Die Aufführung dauert nur eine Stunde, doch die ist absolut abendfüllend. Auf der Bühne stehen fünf deutsche Menschen unserer Zeit. Monster wie du und ich. Michael Wallner zeichnet fünf scharfe, böse Karikaturen und vertraut ihnen das Sprachkunstwerk ohne falsche Dramatisierungsversuche an. Brillant die Schauspieler.
Kronen Zeitung

Produktionen W