2001/02
Haupthaus |
Woyzeck Premiere 5. Mai 2002 Franz Woyzeck: Karl Markovics Inszenierung: Alexander Kubelka Ein einfacher Mann versteht, als sein Mädchen sich mit einem anderen, imposanteren einlässt, die Welt nicht mehr und läuft Amok: Erst tötet er die Geliebte, dann sich selber. Ein Allerweltsfall, beinahe täglich auf den Lokalseiten der Zeitungen zu lesen – und ein großer, in seiner Einmaligkeit unerreichter Tragödienentwurf des Welttheaters. An seinem Franz Woyzeck, Soldat und Barbier in niedriger Stellung, exemplifiziert Georg Büchner die Tragik des schlichten, gutmütigen Mannes, der das Weltgetriebe mitträgt und sich doch darin verloren, ausgestoßen wiederfindet. Ein ewiger Verlierer, den die oberflächlichen Gewinnertypen – der dummdreiste Hauptmann, der eine mörderische Medizin praktizierende Doktor, der Jahrmarktsmob einer egoistischen Gesellschaft – wie in einem gemeingefährlichen Kesseltreiben vor sich her hetzen. Woyzeck erfährt auch die Liebe nicht als das Brot der Armen: Marie, die ein Kind von ihm hat, wird in aller Unschuld ihrer sinnlichen Begierde von dem Männlichkeitsprotz Tambourmajor wie ein Magnet angezogen. Ehe Woyzeck sie im Leben verliert, möchte er sie lieber im Tod für sich behalten: „Unsereins ist doch einmal unselig in der und der anderen Welt, ich glaub’ wenn wir in den Himmel kämen, so müssten wir donnern helfen“, beschreibt er hellsichtig seine verzweifelte Lage. Büchners Drama des Woyzeck ist der existenzialistische Aufschrei seines Exponenten aller Erniedrigten und Beleidigten. Zugleich ist es seine erschütternde Anklage vor dem Tribunal der Menschlichkeit. Es fordert desto eindringlicher zu Mitleid und Solidarität auf, je weiter sich die Gesellschaft von diesen Werten fortbewegt. Selten war der Beifall so herzlich und einhellig wie Sonntag Abend bei Büchners „Woyzeck“. Die kluge Textfassung und wirkungsvolle Regie von Alexander Kubelka wurde ebenso belohnt, wie die fast leere Kastenbühne von Gerhard Fresacher und die klaren, in die Entstehungszeit weisenden Kostüme von Andrea Hölzl. Vor Allem wurde das Volkstheater-Ensemble auf der Höhe seines erstaunlichen Könnens gefeiert. Karl Markovics ist eine Idealbesetzung des Woyzeck. Sein Fieber und seine Angst haben in den Auftritten von Arzt und Hauptmann, Hannes Gastinger und Fritz Hammel, ein stimmiges Pendant. Die Marie, einmal kokett, einmal verzweifelt, ist Anna Franziska Srna. Vor ihrer Ermordung wurde es totenstill im Volkstheater. Büchners Stück spanned-präzise inszeniert, verfehlt auch heute seine Wirkung nicht. Nicht vom Leiden des Einzelnen handelt „Woyzeck“, sondern davon, wie Einzelne von der Allgemeinheit unterdrückt werden. Am Volkstheater versucht Alexander Kubelka eine kühle Analyse. In weiten Teilen ein guter Abend. Hauptsächlich deshalb weil Kubelka nie auf Einfühlung setzt und auf keine Tränendrüse drückt. Um das Weltgetriebe selbst geht es. Dieses Getriebe wird schon in Gerhard Fresachers Bühnenbild sichtbar. Hohe hellgraue Wände an den Seiten mit Gitterfenstern zur Beobachtung des Individuums. Alles Klinik. In dieser treten auf: Die Systeme in großer Parade: Das Militär, die Medizin. Und unter diesen allen, planiert, der Woyzeck des Karl Markovics. Er spielt nicht den gequälten Einzelnen, sondern die Marionette im System und arbeitet das Maschinelle heraus. Die Macht dringt in die Körper vor. Büchner hat auch Woyzecks Sprache zerhackt und Markovics spricht die Sätze wie Hobelspäne. Karl Markovics brilliert. Sein Woyzeck ist keineswegs das sprach- und willenlose Opfer. Dieser Woyzeck scheint als Einziger zu begreifen, was hier vor sich geht. Mitten im eitlen Totentanz kämpft er um Würde. Markovics' Darstellung ist beeindruckend nüchtern. Er zeigt den Kern von Büchners Text: Das tiefe, ruhige Mitleid mit den Geschundenen, Erniedrigten, Ausweglosen. Am Ende – große, schmerzhaft wahre Theaterkunst. Karl Markovics ist ein guter, herber Woyzeck, dem man Leid Tief- und Schwachsinn glaubt. Der Doktor ist der furchtbare Ideologieverkünder in der hygienischen Tradition: Fritz Hammel gibt ihn grausig glatt, wie einen Nazi-Eugeniker. Hannes Gastingers Hauptmann ist kein Eisenfresser sondern ein Halbkranker. Eine klare, strenge Episode: Vera Borek als Großmutter, wenn sie ein Märchen erzählt. Die Bühne als grauer Laborkäfig, Büchners Wehrmann Franz als verschrecktes Versuchstier der arroganten Pächter einer obskuren Moral. Woyzeck schreitet von einer Situation in die nächste. Kaputt gemacht von allem, was ihm begegnet. Markovics macht klar, dass Woyzeck denkt und denkt und zu keinem Ergebnis kommt, was das Leben eigentlich ist…Aus dem Ensemble ragt Anna Franziska Srna heraus. Ihre Marie ist so heiß, dass sie hechelt. Büchners „Woyzeck“ überzeugte durch die kluge Regie von Alexander Kubelka und durch seine perfekte Besetzung. Karl Markovics in der Hauptrolle brillierte. Woyzeck im Volkstheater: nicht, wie gehabt, als Arme-Leute-Drama, sondern in der Fassung eines Marionettentheaters. Das erste Wort hat der buntscheckige Ausrufer (Gerhard Roiss), das letzte Wort nach dem Mord, ein lapidares Resümee über die Geschichte, hat er auch. Die Spielfläche ist nach Art einer nüchternen, sehr provisorischen Puppenstube angelegt. Alles stramm, bunt und ein bisschen martialisch, aber eher lächerlich und einfältig. Erst das drohende Ende und der sich abzeichnende Mord bringen Bewegung und Gefühle in die Mechanik des Spiels. Marie, ein Mensch, eine Frau, eine Sünderin, stemmt sich gegen das brutale Räderwerk. Anna Franziska Srna erhebt sich plötzlich himmelhoch über die ganze Puppenszenerie. Karl Markovics Woyzeck: ein geschlagener Hund. Einer von der tieftraurigen Sorte, der mit der inneren Gefühlskälte ringt. Der den Stau der Leidenschaften loswerden will. Große, bewegende Szenen. Begeisterung beim Publikum. Der Mord selbst und Woyzecks anschließende Selbstvernichtung ist der kühne nekrophile Grenzgang zweier Schauspieler von Ausnahmerang. Das Ensemble mit Hannes Gastinger, Christoph Zadra, Thomas Evertz, Vera Borek und Doris Weiner ist sehenswert. Kubelka lässt den Text über lange Strecken einfach laufen und vertraut auf seine Schauspieler, die mal mehr, mal weniger überfordert wirken. Eine Inszenierung, so unheimlich wie ein Stück trockenes Brot. Ein Woyzeck, dessen sozial bedingtes Scheitern nicht unter die Haut geht, ist kein Woyzeck. |