1989/90
Haupthaus

Loch im Kopf
von Wolfgang Deichsel

Österreichische Erstaufführung

Premiere 25. 2. 1990

Mit
Michael Totz (Naube)
Vera Borek (Julia)
Petra Morzé (Margarete)
Klaus Rohrmoser (Petzolt)
Erhard Pauer (Jean-Baptiste Schroh)
Toni Böhm (Fuchs Perdrigo)

Inszenierung: Rudolf Jusits
Bühne: Christian Feichtinger
Kostüme: Mimi Zuzanek

Labiche und Feydeau, die Klassiker des bürgerlichen Lachtheaters, sind - spätestens wieder seit den siebziger Jahren - aus den Spielplänen nicht wegzudenken; weil sie auf einmalige Art Klamotte mit Unterhaltung verbinden, der Witz in ihren Stücken ständig in Aberwitz umschlägt, die unverschämte Mechanik ihrer Komödien immer ans Absurde grenzt, und sich bei einigem inszenatorischen Geschick auch Kritik an bürgerlichen Verhaltensweisen vermitteln läßt. Doch die Farcen-Fabrikanten des Second Empire und der Belle Epoque waren sich wohl der Grausamkeit und Traurigkeit der Gesellschaft, die sie beschrieben, bewußt, sie waren aber auch selbst Opfer der selben Gesellschaft.
„Sie fabrizierten hektisch, fast besinnungslos Stücke - und waren deshalb den ewig umgetriebenen Helden ihrer Stücke ziemlich ähnlich.“ (Benjamin Henrichs)
Wolfgang Deichsel, Jahrgang 1939, nützt die historische Distanz, um in seiner Komödie nach Motiven von Labiche vorzuführen, „wie eine Labiche-Komödie funktioniert, und wie das Bürgertum funktioniert, das solche Komödien zu seiner Entlastung braucht“ (Benjamin Henrichs). Er schafft das nicht nur, indem er die Mechanik von Labiches „Mord in der Rue de Lourcine“ noch einige Umdrehungen schneller laufen läßt, sondern auch, indem er die Fabel des Franzosen aus dem Paris des Second Empire ins Frankfurt der Gründerzeit verlegt und seine Figuren ein aus dem Hessischen filtriertes Deutsch sprechen läßt, was ermöglicht, die auf der Bühne vertrauten Verhältnisse ungewöhnlich neu zu sehen. Deichsel zeichnet in aggressiver Schärfe das Nebeneinander von eiskaltem Geschäftssinn, abgründigen Ängsten, Sittsamkeit und Lüsternheit, Akkuratesse und Gewalttätigkeit.
Der Fabrikant Naube traut sich – nach einer durchsoffenen Nacht mit einem „Loch im Kopf“ erwacht – ohne weiteres zu, einen Mord begangen zu haben, und ist bereit, weitere zu begehen, um den ersten zu vertuschen. Die gescheiterte Leuchte der Wissenschaft, Dr. Fuchs-Perdrigo, sehnt sich geradezu danach, durch eine Bluttat die Grenzen seiner kleinbürgerlich-bohemehaften Existenz zu durchbrechen und sich in einer „sinnlosen Tat“ zu verwirklichen. Wenn sich zum glücklichen Ende herausstellt, daß alles nur eine sinnlose Verwechslung war, daß sich die beiden bürgerlichen Helden mit besoffenem Randalieren begnügt haben, so ist diese Rückkehr in die bürgerliche Wohlanständigkeit ein Happy-End ohne Perspektive. Der Mord, den die beiden nicht begangen haben, ist ihnen durchaus weiter zuzutrauen.

Wolfgang Deichsel über „Loch im Kopf“: Solche Stücke, die von bewährten Mitteln getragen werden, Stücke, die einen Anfang und ein Ende haben, eine überschaubare Handlung, überhaupt Handlung und Rollen, in denen die Schauspieler was zeigen können, sind wohl immer erstmal erfolgversprechend. Ob dann das, was ich über diese Mittel hinaus persönlich wollte, erfolgreich ist, kann ich nicht abschätzen. Ich strebe natürlich bewußt Anschaulichkeit, Äußerlichkeit, Zuspitzung an, sonst würde ich kein Theater machen. Es macht mir als Zuschauer und Schreiber Spaß, wenn was los ist. Personen, die sich sonst immer beherrschen müssen, sollen durch die Situation gezwungen sein, aus sich heraus zu gehen. Wenn das gelingt, dann kommt es auch an.
Es ist ganz klar, daß der Dialekt von den Verhältnissen dieser Welt nur sehr wenige und sehr enge erfaßt, aber die erfaßt er konkret und anschaulich. Ich bemühe mich um eine Sprache, in der sich affektive Haltungen und Haltungen zum Affekt plastisch ausprägen, eine Bühnensprache, mit der ich Umschläge von Haltungen, Brüche deutlich bezeichnen kann, und dabei hilft mir der Dialekt. Er hilft mir auch, mich an affekthaltige Situationen zu erinnern. Die Mundart ist für mich auch die Sprache, in der sich Zusammenhänge von heute, die längst gewöhnlich geworden sind, verfremden. In der Mundart, die für viele die gewöhnliche, die ordinäre Sprache ist, sehe ich Verhältnisse ungewöhnlich und neu.
Ich habe eine Fassung des Stücks hergestellt, die dem hessischen Duktus folgt, aber auch von Schauspielern sprechbar ist, die kein Hessisch können. Eine weitere Übertragung würde ich nur unter bestimmten Bedingungen zulassen. Der Wechsel des Schauplatzes muß einigermaßen plausibel, der bürgerliche Typ der Gründerzeit selbstverständlich sein. Ich gehöre ja auch zu der Sorte, die für alles, was man tut und fühlt, und für jeden Lacher gern seine Legitimation bekommt, und ich bin dankbar, wenn mir die Bühne das liefert, und mir geht es auch dauernd durch den Kopf, wie ich einen blöden Gag einem höheren, aufklärerischen Zweck dienstbar machen kann. Aber ich muß feststellen, daß mir die heruntergelassenen Hosen oder die Stürze in ein Kanalloch und die tausend Sachen auch einfach so gefallen, wenn es nur einigermaßen begründet ist, daß der Figur gerade jetzt dieses Mißgeschick widerfährt. Mir gefällt bei Labiche und seinen Nachfolgern beim Film gerade dieser eine Zug, die rücksichtslose Zuspitzung der Situation.

 
Pressestimmen

Da waren viele Spitzenkräfte am Werk! Dennoch hat sich’s streckenweise dahingeschleppt! Blackouts beim Publikum! Aber auch Irritationen! Auf die ich ja versessen bin! Ein eigenartiger Abend, kann man nur sagen ...
AZ/Tagblatt

Regisseur Rudolf Jusits soll nun beweisen, daß das alles saukomisch ist. Daran mußte er scheitern, so desperat er sich auch in den Text stürzt, um ihn ins Absurde hochzuprügeln. Er ist ebenso zu bedauern wie das exzellente Ensemble.
Kronenzeitung

Produktionen L