2000/01
Haupthaus frontal |
Wittgensteins Neffe Deutschsprachige Erstaufführung der Bühnenfassung Premiere 29. März 2001 Mit Toni Böhm und Hasija Boric Inszenierung und Bearbeitung: Patrick Guinand Bewunderswert ist die Präzision, mit der Regisseur Patrick Guinand Toni Böhm als großen Redner in Szene setzt. Begleitet von der stummen Dienerin (treffend graues Wesen zwischen Furcht und Bestimmtheit: Hasija Boric), erzählt Böhm von Dummheit und Perfidie der Menschen um sich und Paul Wittgenstein herum. Bernhards Nachruf auf das Leben und Sterben Pauls, seines „Retters“ aus großer Melancholie, wird plötzlich zum Abgesang auf eine leider auch schon wieder im Sterben begriffene Wiener Kultur-Blütezeit. … dass aus einem 160-Seiten-Buch eineinhalb Stunden auswendig vorgetragen … ein 1000 Plätze Auditorium nicht nur füllen, sondern auch unterhalten, muss freudig reportiert werden. Hat also jene literarische Tradition noch ihr Publikum, die von der Wissenschaft als spezifisch österreichische beschrieben wird: Sprachbetonung, sprachversessenheit, in Häme und Humor auszuckende, sonst monoton-skeptische Wortmusik. Insgesamt tut die Zurückhaltung gut, denn sie lässt dem Wort Raum und bringt das symphonische Gewebe der komplizierten Prosa zur Entfaltung. Erzählt wird, wie ich erst jetzt sehe, eine unerwiderte Liebesgeschichte zwischen seiner, die Glühbirnen geräuschvoll aushustenden Haushälterin (Hasija Boric), und ihm, dem Erzähler, der ja der Toni Böhm ist als die ideale Bernhard-Figur. Dieser Toni Böhm ist ja nichts als das verhuschte, nie im Erwachsenenalter angelangte, aber uns alle angehende Kind als der angemaßte Herr. Das ist er gewesen, und so soll es, wie gesagt werden muss, sein. Dieser gelungene „Wittgensteins Neffe“ ist Beispiel und Gegenbeispiel zugleich für Bernhards menschenfeindliche und -freundliche Konzeption von Glück. Letztendlich aber eine der schönsten literarischen Freundschaftsbekenntnisse der Welt. Berührend und doch völlig unsentimental wird einer der persönlichsten Bernhard-Texte glänzend für die Bühne adaptiert. Das Stück ist als eine Art Requiem für Paul gedacht. Gleichzeitig aber auch ein Selbstporträt des Ich-Erzählers – von Thomas Bernhard. Diese zwei Stimmen in einer Person zu vereinen, schafft Toni Böhm mit beeindruckender Klarheit und Schärfe. Toni Böhm also ist Thomas Bernhard. Besser: Er ist es erfreulicherweise nicht. Stets wahrt der Darsteller die Distanz zu seiner Figur, hebt die komplexen Monologe des Erzählers auf eine allgemein gültige Ebene. Zwischen Schuldgefühl und Verklärung kreiert Böhm gleich zwei Porträts: das Bildnis des Paul Wittgenstein als schillernden Abgesang auf eine Ära. Und die inneren Konflikte eines schöpferisch Tätigen, eines von der Hassliebe zu Wien und Österreich gezeichneten Menschen. Virtuos gespielt; sprachlich feinsinnig zelebriert. |