1995/96
1996/97 Haupthaus |
Der Alpenkönig und der Menschenfeind Premiere 12. Juni 1996 Astragalus: Rudolf Jusits Am Klavier: Otmar Binder Inszenierung: Michael Gruner In Raimunds „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ tritt ein moderner Charakter in die Märchenwelt des Wiener Zaubertheaters. Rappelkopf ist auf der Flucht vor sich und seinen Zeitgenossen, weil er sich und die Zeitgenossen erkannt hat. In ihm hat Raimund seine eigene gespaltene Persönlichkeit bis ins psychologische Detail getroffen. Sein Widerstand gegen die Welt ist ebenso berechtigt wie überzeichnet. Als Kunstfigur kann er Dinge aussprechen, die die Erkenntnisse der Psychoanalyse vorwegnehmen. Er versucht, sich selbst aus der Welt zu schaffen, indem er symbolisch sein Spiegelbild zerschlägt. Aber ein Spiegel ist nicht nur Symbol, die Glassplitter des wirklich zerschlagenen Spiegels schneiden ins Fleisch, und Blut strömt aus Rappelkopfs zerschnittener Hand. Der Realismus dieser Verzweiflungstat erhöht ihre Phantastik; Wahnwelt und Wirklichkeit stoßen zusammen, und es setzt buchstäblich Scherben. Aber statt sich von der Welt tatsächlich zu befreien, trägt Rappelkopf nur eine Schramme an der Hand davon: Diese Parodie einer pathetischen Geste ist die Quintessenz von Raimunds tragischer Komik. „Der Alpenkönig und der Menschenfeind“ im Volkstheater: http://ferdinandraimund.at/stuecke/alpenkoenig/index.html Plötzlich zeigt sich das Stück in völlig neuem, zugegebenermaßen harten Licht. Eine ungewöhnliche Raimund-Auslegung, aber durchaus legitim. Auf jeden Fall eine sehr interessante Produktion. Mit bemerkenswerter Konsequenz durchgezogen, realisiert Gruner (gegen jegliche Raimund-Tradition) die dunkle Seite des Dichters, bringt rabenschwarze Melancholie bis Nihilismus auf die Bühne, erlaubt keinen Lacher. Möglicherweise hat er das Stück auf die Bühne gebracht, das Raimund selbst gerne geschrieben hätte ... Eine Demontage des romantisch-komischen Zaubermärchens, dem mit deutscher Gründlichkeit der Zauber ausgetrieben wird. Raimund hat’s nicht verdient ... Den Amputationen am Werk, die Gruner in finster entschlossener Verbesserungsabsicht vornimmt, fällt nicht nur die Poesie zum Opfer, auch die Geisterwelt, selbst die Originalmusik müssen dran glauben. Ein Mißverständnis. So einfach ist es, wenn man es kann. Michael Gruner hat den Text genau gelesen, die Dialoge ein wenig gestrafft und ein Briefzitat voran gestellt. Er hat sich von Grillparzer sagen lassen, daß der Rappelkopf ein Raimundsches Selbstportrait ist. Er hat sich vom Text sagen lassen, daß man das Märchen nicht glauben muß, daß die Menschen besser werden. Und er nahm eine der schwarzen Bühnenboxen von Peter Schulz Und das Spiel kann beginnen: „Ich habe diese Welt bis zum Ekel durchschaut.“ Eine Stimmung sanfter Ironie begleitet das Geschehen. Das ändert sich jäh, wenn Rudolf Jusits als Alpenkönig schneidend scharf dem Gutsbesitzer vorführt, wie schlimm er sich seiner Familie gegenüber benimmt. Jusits zeigt als Rappelkopfs Alter ego mit schauspielerischer Brillanz besessene Unduldsamkeit und Bösartigkeit." Gruners Inszenierung überzeugt, bei fallweisen Einwänden, durch die Klugheit der Konzeption. Zwischen Gut und Böse gibt es plötzlich viele Facetten. Im Haus Rappelkopf hat sich eine Dienstboten-Kaste von nestroyscher Bösartigkeit eingenistet (exzellent: Toni Böhms Habakuk, Franziska Sztavjaniks Lieschen) Auch die Familie, virtuos in den labilen Zustnd am Rande des Nervenzusammenbruchs inszeniert, verharrt nicht in der Opferrolle: Vera Borek, sensationell in ihrer sadomasochistischen Dulder-Attitüde, ist ebenso zum Fürchten wie Günter Franzmeier als latent brutaler Schwiegersohn in spe. Wolfgang Hübsch (Rappelkopf) und Rudolf Jusits (Alpenkönig) sind ein gespenstisches Zwillingspaar – Angstgestalten aus der Tiefe der Seele. |